Von Cecile Osler
Wir leben in einer globalen und stark vernetzten Welt, in der es auch immer mehr Menschen gibt, die mehr als eine Sprache beherrschen. Im deutschen Kontext, gerade auch in der muslimischen Community, ist Mehrsprachigkeit nahezu alltäglich.
Zum einen, weil viele Muslime in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben, die Familiensprache aber weiterhin eine andere bleibt. Zum anderen, weil auch der islamische Glaube selbst eine Mehrsprachigkeit begünstigt, dadurch, dass bestimmte Gottesdienstteile wie das Gebet oder die Quranrezitation grundsätzlich auf Arabisch durchgeführt werden.
Für eine Familie, in der mehr als eine Sprache gesprochen wird, stellt sich schnell die Frage, wie man die mehrsprachige Erziehung der Kinder unterstützen kann, bzw. wie man verhindert, dass die schwächste Sprache untergeht.
Doch zunächst stellt man sich vielleicht die folgende Frage:
Mehrsprachigkeit – Was bringt uns das überhaupt?
Mehrsprachige Erziehung ist eine Herausforderung und erfordert viel aktives Handeln von Seiten der Eltern. Da stellt man sich natürlich die Frage, warum man eigentlich versuchen sollte, den Kindern alle Sprachen, die in der Familie gesprochen werden, mitzugeben.
Es liegt natürlich auf der Hand, dass es von Vorteil ist, wenn man sich mit allen Familienmitgliedern in deren jeweiliger Muttersprache verständigen kann. Eine Sprache, die in der Familie sowieso von einigen gesprochen wird, lohnt es sich also in jedem Fall, zu bewahren.
Zum anderen sollte man die tiefgreifende Bedeutung einer Sprache nicht unterschätzen. Sprache ist ja nicht einfach nur eine Ansammlung von Vokabeln, sondern vielmehr auch unzertrennlich mit einer bestimmten Kultur und Denkweise verbunden sowie auch mit einer eigenen Gefühlswelt. Jede Sprache hat ihren ganz eigenen Blick auf die Welt. Und genau hier liegt der Mehrwert, für alle, die mehr als eine Sprache sprechen. Sie sehen die Welt nämlich ganz auf natürliche Weise aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie verstehen die Denkweise und Gefühle aus mehr als nur einer Kultur. Damit sind gerade sie bestens dafür geeignet, zwischen verschiedenen Kulturen zu vermitteln. Sie sehen alle Kulturen, die sie in sich tragen, mit einem Blick von innen heraus und können trotzdem auch objektiv zwischen ihnen vergleichen. Das ist eine sehr wertvolle Fähigkeit in unserer Welt der Multikultigesellschaft. Es braucht nämlich solche verständige, einfühlsame Menschen, um Spannungen ab- und ein kollektives “Wir-Gefühl” in der Gesellschaft aufzubauen.
Und zuletzt sei noch erwähnt, dass das Beherrschen mehrerer Sprachen auch für die kognitiven Fähigkeiten der Sprecher von Vorteil ist. So ist mittlerweile wissenschaftlich bewiesen, dass Mehrsprachigkeit zu einem leistungsfähigeren Arbeitsgedächtnis, zu besserem abstraktem Denken und einem leichteren Erlernen weiterer Sprachen führt. Nachzulesen zum Beispiel auch hier und hier.
Mehrsprachigkeit ist also auf jeden Fall eine Ressource, die wir nicht verlorengehen lassen sollten.
Stellt sich nur die Frage:
Mehrsprachigkeit – Wann? Wie? Was muss ich beachten?
Es empfiehlt sich, bei der mehrsprachigen Erziehung so früh wie möglich zu beginnen, sich also idealerweise schon in der Schwangerschaft mehr als einer Umgebungssprache auszusetzen. Diesen Gedanken legt die sogenannte Critical Period Hypothese nahe, die in der Sprachwissenschaft als einigermaßen gesichert gilt. Die Hypothese besagt, dass Lerner vor Erreichen der Pubertät wesentlich leichter und besser eine weitere Sprache erlernen. Für alle, die aber erst später mit einer weiteren Sprache beginnen, sei erwähnt, dass auch in höherem Alter durchaus noch eine Sprache auf hohem Niveau erlernt werden kann. Der Spracherwerb wird aber tendenziell schwieriger verlaufen, da die Leichtigkeit, mit der kleine Kinder eine Sprache erlernen, später verloren geht.
Ein weiterer sinnvoller Ansatz ist “OPOL”, One-parent-one-language. Dabei geht es darum, dass in der Familie jeder Elternteil nur eine bestimmte Sprache mit den Kindern spricht und die Sprachen nicht mischt. Der Ansatz relativiert sich jedoch, wenn es um mehr als zwei Familiensprachen geht. In diesem Fall müssen Eltern einfach sehen, welche Lösung für sie am praktikabelsten ist, um alle Sprachen in den Alltag zu integrieren.
Es sei auch erwähnt, dass mehrsprachige Erziehung durchaus ein anstrengendes Unterfangen sein kann. Vor allem dann, wenn man einen gefühlten endlosen Kampf gegen den Untergang der schwächsten Sprache führt. Es ist wichtig, dabei geduldig zu sein, nicht zu viel und keine sofort sichtbaren Ergebnisse zu erwarten, genauso aber auch beständig am Ball zu bleiben, sodass die schwächste Sprache nicht einschläft.
Das führt uns zu einem weiteren wichtigen Punkt, nämlich der praktischen Notwendigkeit einer Sprache. In der Regel haben Kinder kein Problem damit, eine Sprache zu erlernen und zu sprechen, wenn sie dafür in ihrem Leben eine Notwendigkeit sehen. Einmal die Woche eine Spielgruppe in einer Sprache zu besuchen, die das Kind sonst nie hört, wird höchstwahrscheinlich nicht viel Interesse beim Kind auslösen. Auch Kinder beherrschen in diesem Sinne schon eine eiskalte Berechnung und einen ausgeprägten Instinkt dafür, ob diese Ressource für das eigene, kleine Leben wirklich von Bedeutung ist oder nicht. Es wird sich für eine Sprache also nur interessieren, wenn es sie im eigenen Leben auch wirklich gebrauchen kann.
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass, obwohl mehrere Sprachen alle auf sehr hohem Niveau erlernt werden können, das Lernen an sich eher sprunghaft als geradlinig verläuft. Es ist also überhaupt nicht ungewöhnlich, wenn ein mehrsprachiges Kind sich zeitweise nur noch für eine Sprache interessiert. Dafür wird später eine Phase folgen, in der die andere Sprache nachzieht. Man sollte da keinen Druck ausüben, sondern die Kinder ihren eigenen Weg gehen lassen.
Abschließend mag man sich fragen:
Und was ist mit der Erstsprache?
Das ist eine gute Frage. Man kann zum Beispiel beobachten, dass anderssprachige Eltern oft versuchen, mit ihrem Kind plötzlich Deutsch zu sprechen, wenn es in den Kindergarten kommt, in der Hoffnung, damit die Deutschkenntnisse zu fördern.
Es scheint jedoch genau das Gegenteil der Fall zu sein. Überraschenderweise hängen die Fortschritte in der Zweitsprache direkt mit dem Sprachniveau in der Erstsprache zusammen. Dieses Prinzip nennt man Interdependenzhypothese. In der Sprachwissenschaft liegen dazu gemischte Ergebnisse vor. Einiges spricht dafür und nichts spricht grundsätzlich dagegen. Das heißt, dass es nicht schaden kann, die Erstsprache ebenfalls auf einem möglichst hohen Niveau zu halten. Die Vorteile liegen auf der Hand: Einerseits spricht das Kind dann beide Sprachen gut, andererseits wird das Erlernen der Zweitsprache erleichtert, wenn die Erstsprache gut beherrscht wird.
Worum es also geht, ist, langfristig eine Sprachumgebung aufzubauen, in der jede Sprache ihren Platz hat und Stück für Stück aufgebaut wird.
Bei weiterem Interesse am Thema und zur Vertiefung der sprachwissenschaftlichen Hintergründe empfehle ich auch meinen Artikel Evaluation neuerer Studien zum Thema Mehrsprachigkeit. Eine kritische Untersuchung der 2006 erschienenen Studie Sprache und Integration erschienen bei der Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht.
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