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Eine alte Prophezeiung wird in islamischen Kreisen zurzeit heiß diskutiert. Der Prophet Mohammed soll eine Gruppe schwarz bekleideter Militanter mit schwarzen Flaggen vorausgesagt haben. Sie würden Unheil über die islamische Welt bringen. Viele muslimische Gelehrte haben diese Prophezeiung bereits aufgegriffen, ihre Details diskutiert, und Parallelen zur Terrorgruppe IS (Islamischer Staat) ausgemacht. So besagt die Prophezeiung zum Beispiel, dass die Kämpfer ihre richtigen Namen durch anonymisierte Titel ersetzen würden – Titel, die unter anderem den Herkunftsort beschreiben. Namen wie Abu-Misch’al (Vater von Misch’al) oder Al-Baghdadi (Aus Bagdad) würden zu dieser Umschreibung passen. Sie sollen „von unserer Haut“ also Araber oder zumindest arabisch aussehend sein. Sie sollen den Koran zitieren können, ihn aber nicht verinnerlichen. Sie sehen sich selbst als Männer des „Staates“ und ihnen sei nicht zu trauen, denn sie halten sich nicht an Versprechen. Sie sollen nach außen hin als so religiös erscheinen, dass Gläubige sich in ihrer Überzeugung schäbig vorkommen, doch es würde nur zum Schein sein. Sie sollen lange Haare haben, obwohl dies für ihre Zeit untypisch sei. Erkennen werde man sie vor allem an ihren Taten, die kaltherzig und hart seien und somit Angst und Verderben mit sich brächten.
Prophezeiung Echt oder Fake?
Kritiker meinen, dass die Prophezeiung eine Fabrikation sei. Das Hadith (Aussage des Propheten) erschien in der Kollektion „Kitaab Al Fitan“ von Nu’am bin Hammad. Dieser war immerhin der Lehrer eines der prominentesten Hadith-Experten überhaupt: Muḥammad ibn Ismā`il al-Bukhārī. Ob dies ausreicht, um das Hadith als authentisch bezeichnen zu können, sei dahingestellt. Interessant ist aber, dass es zumindest keine Neuerscheinung ist. Manche Kenner führen es, ob nun authentisch oder nicht, auf die Beschreibung einer ganz andere Gruppe zurück, die zur Zeit des vierten Kalifen, Ali bin Abi Talib, eine ähnlich radikale Richtung einschlug: die Khawarij.
Auch die Khawarij behaupteten von sich selbst, eine lupenreine Interpretation des Korans zu befolgen. Und das obwohl ihre gut belesenen Zeitgenossen und Kontrahenten dies mit Argumenten und Zitaten aus Koran und Sunnah (Autobiographie des Propheten) wiederlegten. Auch die Khawarij waren besessen von der Idee, Krieg führen zu müssen. Und auch sie töteten unzählige Muslime, deren Meinungen sich von ihrer unterschieden.
Sie taten dies unter denselben Vorwand, den auch IS gerne verwendet: Abtrünnigkeit. Dabei ignorieren beide Gruppen, ganz nebenbei, dass weder der Koran noch die Sunnah eine Strafe für Abtrünnigkeit vorsehen, und dass es ein schweres Vergehen ist, jemanden fälschlich der Abtrünnigkeit anzuklagen. Der Islam rät also eher davon ab, Leute derart zu beschuldigen. Dennoch nutzen bzw. nutzten beide Gruppen gerade diesen Vorwand uneingeschränkt, um gnadenlos ihre Gegner beiseite zu räumen. Wir haben also zwei Gruppen, die von sich behaupten, den Islam ganz genau zu nehmen, ihn aber im Wesentlichen völlig missachten, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen. Die Khawarij wurden schon damals wegen ihrer extremistischen Ansichten als Staatsfeinde bekämpft.
Schon damals ein ungelöstes Rätsel
Wer waren diese Menschen? Ähnlich wie der IS erschienen auch die Khawarij damals wie aus dem Nichts und verbreiteten sehr schnell Angst und Schrecken. Auch die Umstände, unter denen sie erschienen, geben bis heute ungelöste Rätsel auf. So wurde kurz zuvor der dritte Kalif, Othman Bin Affan, ermordet. Der Konflikt, der zu diesem Attentat führte, wurde durch anscheinend manipulierte und dadurch völlig widersprüchliche Nachrichten aus dem Hohen Sitz des Kalifen ausgelöst. Jemand wollte Unruhe stiften und hatte dabei Erfolg. Die dadurch entstandene Spaltung des Kalifats löste letztendlich einen Krieg aus. Als die beiden Kontrahenten, Ali und sein Kontrahent Muawiya Ibn Abi Sofian, einer versöhnenden Debatte zustimmten, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, erschienen erstmals die Khawarij in unserer Geschichte. Sie bezeichneten ein Versöhnungsgespräch als Sünde und verlangten den Krieg. Das Gespräch wäre jedoch trotzdem zustande gekommen, hätten nicht beide gegenüberliegenden Lager in jener Nacht jeweils auf „feindliche Angriffe“ reagiert.
Der mysteriöse Vorfall verlängerte den Krieg erneut. Hatten die Khawarij nachgeholfen? Und wenn ja, warum waren diese so besessen von der Idee, einen Krieg zu führen? Sie selbst behaupteten von sich, den Islam befolgen zu wollen. Doch schon damals überrannten sie in ihrem Fanatismus ihre eigene angebliche Überzeugung. Allein schon die Leichtigkeit, mit der sie, wie auch IS-Anhänger heute, andere Muslime exkommunizieren, wiederspricht islamischer Philosophie. Steckte vielleicht schon damals ein dubioser Kopf hinter der Aktion mit dem Ziel, das Kalifat zu spalten und somit zu schwächen? Der Erfolg dieser Spaltung ließ nicht lange auf sich warten, denn eben in dieser Zeit finden wir die historischen Wurzeln der klaren Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten.
IS – das neue Rätsel
Spulen wir nun zu unserem heutigen Zeitalter vor. Und ebenso plötzlich wie damals die Khawarij erschienen auch die IS-Kämpfer scheinbar wie aus dem Nichts. Verwirrung macht sich breit in der islamischen Welt. Wer sind diese Leute? Woher kommen die auf einmal? Wie eine schlechte Karikatur aller negativen Djihadisten-Klischees werfen sie mit irrsinnigen Parolen um sich, töten Menschen und terrorisieren ihre Umwelt. Und kurze Zeit nach ihrem ersten Auftreten verkünden sie plötzlich ein Kalifat, als ginge es um eine Einladung zum Kaffeeklatsch. Ebenso schnell wie die Terrorgruppe machen sich auch Verschwörungstheorien breit. Die Mehrzahl der Muslime ist sich einig: Da stimmt irgendetwas nicht.
Tatsächlich finden wir auch hier viele Ungereimtheiten. So wurden mindestens zwei der IS Hintermänner schon ein- oder zweimal von US-Medien als „getötet“ gemeldet, bevor sie unversehens in US-Gefangenschaft wieder auftauchten und dann wie durch Geisterhand als IS-Führer ihren großen Auftritt hinlegten. Der selbsternannte Kalif, Al-Baghdadi, war inhaftiert in Camp Bucca und wurde von seinen Mitinsassen als eher still und zurückhaltend bezeichnet. Als er das Camp verließ, soll er den zuständigen US-Soldaten gesagt haben „wir sehen uns in New York“, bevor er von der Bildfläche verschwand und plötzlich als Kalif wieder auftauchte. Und er ist nicht der einzige IS-Mann aus Camp Bucca. Auch sind die IS-Anhänger aus dem Camp Bucca Club nicht das einzige seltsame Phänomen. So bezeichnete 2006 das Hauptquartier der US-Streitkräfte laut Medienberichten das „Zarqawi PSYOP Program“ als die bislang erfolgreichste Informationskampagne überhaupt. Der Washington Post zufolge startete das US-Militär seinerzeit eine Aktion, die Zarqawi um vieles wichtiger erscheinen lassen sollte, als er in Wirklichkeit war. Nachdem Zarqawi dreimal als getötet gemeldet und einmal festgenommen wurde, machte er als einer der Gründer von IS Karriere.
Und nicht nur die USA scheinen auf seltsame Art und Weise mit dem IS verknüpft zu sein. Laut UN-Angaben soll die IDF (Israeli Defense Force) seit 2013 regelmäßigen Kontakt zu Kämpfern der lange Zeit mit dem IS verbundenen Terrororganisation Al-Nusra gehabt haben, die in der Nähe des Golan, der die Pufferzone an der Grenze zwischen Israel und Syrien fungiert, ihr Unwesen treibt. Die israelische Armee sagte dazu, sie habe lediglich Zivilisten medizinisch versorgt. Die UN hingegen meint zumindest medizinische Unterstützung für djihadistische Kämpfer nachweisen zu können, und weist darüber hinaus auf zwei Container hin, die von der IDF an diese übergeben worden sein sollen. Der Inhalt der Container sei jedoch nicht bekannt. Auch soll Israel in Syrien Truppen angegriffen haben, die gegen die Extremisten kämpften. Neben Israel und den USA stehen auch die Türkei und reiche Saudi-Araber im Verdacht, ihre Hände mit im Spiel zu haben.
Eine Sekte mit dubiosen Absichten?
Wer auch immer hinter den seltsamen Ereignissen steht, profitiert von einer Destabilisierung des Mittleren Ostens. Und wer auch immer das sein mag, scheint dieselbe Taktik gewählt zu haben, die auch damals die Hintermänner der Khawarij offenbar erfolgreich genutzt hatten. Sie haben eine Sekte hitzköpfiger Fanatiker erschaffen, die, wie die Prophezeiung beschreibt, den Koran zwar zitieren können, ihn aber nicht verinnerlichen. Die sich selbst als gläubig sehen, deren Taten aber das Gegenteil beweisen. Die kaltblütig und herzlos ihre Mitmenschen in Angst und Schrecken versetzen, und jeden, der ihnen im Weg steht, exkommunizieren und exekutieren. Eine Sekte, die über Leichen geht.
Der Wunsch nach Frieden
Ob die Prophezeiung nun authentisch ist oder nicht, darüber werden sich die Geister weiterhin streiten. Doch man kann immerhin hoffen, dass sich zumindest ihr Ende bewahrheitet. Denn nachdem die Prophezeiung allen Muslimen rät, sich von dieser Gruppe zu distanzieren, sagt sie auch ihren Untergang voraus. Die schwarz gekleideten Männer des Staates mit den schwarzen Flaggen, so die Prophezeiung, werden sich untereinander zerstreiten und ihr System letztendlich in sich zusammenfallen. Das dermaßen hitzköpfige Aggressoren auch untereinander streiten werden, scheint immerhin plausibel. Hoffen wir also, dass der Schrecken bald ein Ende nimmt und wir uns wieder dem widmen dürfen, dass uns alle verbindet: dem Wunsch nach Frieden.