Es gibt Menschen, die haben einen Namen und noch ein Bild dazu, doch wissen wir wirklich, wer dahinter steckt? Dann gibt es Menschen, die profilieren sich nicht über Name, Bild etc, sondern sie haben einen Blog, der Bände spricht – man erfährt was über die Persönlichkeit, politische Meinung, gesellschaftskritische Stellungnahme, den Humor, den Blick auf das Geschehene im In und Ausland. Das folgende Interview soll die Arbeit und die Intentionen des Bloggers „Dybth“ darstellen.
Seit wann betreibst du deinen Blog „Don´t you believe the hype“?
Seit ca. Maerz 2010. Damals noch ohne eigene Domain bei Blogspot, welches immer noch existiert. Im Juli 2010 bin ich dann auf die jetzige Domain umgezogen.
Warum heißt deine Seite so?
Uebersetzt heisst meine Seite so etwas wie „Wer dem Schwindel/Rummel glaubt, wird selig“. Oder auch „Sei nicht so naiv, dem ganzen Rummel/Schwindel zu glauben. Hinterfrage es“. Als Autor verwende ich das Pseudonym „Dybth“, was die Abkürzung für meinen Blognamen ist. Es ist auch angelehnt an den Song von Public Enemy „Don’t believe the hype“. Diese Aussage ging mir schon immer nicht aus dem Kopf. Als ich die Idee hatte, einen Blog zu starten, war innerhalb weniger Sekunden klar, wie ich es nennen wuerde.
Was waren deine Beweggründe, um mit dem Bloggen anzufangen?
Ich bin vor ca. 2 Jahren rein zufaellig auf die fremden- und islamfeindliche Hetzseite PI-News gestossen. Nach dem anfaenglichen Schock ueber soviel Hass und Hetze, habe ich gemerkt, dass Meckern und Empoerung nicht halfen, mich besser zu fuehlen. Um meine Ohnmacht zu ueberwinden, mein Gewissen zu erleichtern, und das Gefuehl zu haben, dass ich etwas tue, habe ich angefangen zu schreiben.
Auch ging es mir ein bissl auf die Nerven, wie die Keleks dieser Welt sich so von diesen rechtslastigen Hetzern vereinnahmen lassen. Inzwischen kann ich PI nicht mehr ernst nehmen. Eigentlich ist es traurig, aber wenn ich ab und zu mal deren Webseite aufrufe, dann nur, weil ich einen schlechten Tag hatte, und etwas zum lachen brauche : – )
Meine ausfuehrlichen Beweggruende und Ziele koennt ihr hier in meinem Blog lesen.
Hast Du Grundsätze/Prinzipien, die dir beim Bloggen wichtig sind?
Ich bin unabhaengig, gehoere keiner politischen Partei, keiner Organisation und keinem Verband an. Ich vertrete meine eigene Meinung und folge nur meiner Ueberzeugung und meinem Gewissen.
Verrat uns bitte, warum die Anonymität bei diesen Themen wichtig ist
Der Hauptgrund ist und war immer: Damit die Menschen meine Artikel lesen, ohne den Verfasser in eine Schublade stecken zu koennen. Wenn man nicht weiss, woher der Wind weht, ist man gezwungen, sich mit der Aussage auseinanderzusetzen. Ich habe frueher sehr oft in Diskussionen gemerkt, dass man eher den Ueberbringer der Nachricht angreift, als die Argumente. Unter dem Motto: „Das sagst du nur, weil Du Muslim/Jude/Christ/Gruener/CSUler/Deutscher/Tuerke etc etc. bist“. Ich schliesse mich da auch nicht gaenzlich aus.
Ich wurde schon einige Male damit konfrontiert, dass man mir misstraut, weil ich anonym auftrete. ich habe auch eine gewisse Naivitaet unter den Internetbenutzern festgestellt. Es gibt wirklich einige, die glauben, nur weil ein Mensch sich Markus Meier nennt, dass auch Markus Meier drin ist.
Man braucht sich heute diverse Diskussionen z.B. auf Facebook anzuschauen. Argumentiert z.B. eine Dame mit Kopftuch und hat einen tuerkischen/arabischen Namen, dann wird sie relativ schnell in die „islamistische Ecke’ gesteckt. Hat sie einen deutschen Namen, koennte sie eine gefaehrliche Konvertitin sein etc. Haette sie kein Foto von sich, und einen ‚neutralen’ Namen, wuerde sie diesen Leuten nicht diese Angriffsflaeche bieten, und man koennte diese Dame nicht voreingenommen kategorisieren. ich will damit nicht sagen, dass man anonym diskutieren sollte. Das muss jede/r fuer sich selber entscheiden, und die Entscheidung ist auch zu respektieren. Ich kann mit beiden Vorgehensweisen leben.
Ein zweitrangiger Grund ist, dass ich es von meinem Privatleben trennen moechte. Ich bin kein Publizist oder Journalist, der damit seinen Lebensunterhalt bestreitet und ich bin froh, wenn ich im privaten Umfeld meine Ruhe habe.
Auf welche Themen spezialisierst du dich ganz besonders?
In meinem Blog geht es eigentlich fast nur um Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung, Diskriminierung und Doppelmoral.
Frueher hat man die Gruppen, gegen die man heute hetzt, Araber, Tuerken, Gastarbeiter, Auslaender etc. genannt. Heute nennt man sie pauschalisierend „Muslime’. Die aktuellen Hetzer verstecken sich hinter dem Begriff „Islamkritik’, aber ist nichts anderes, als was es schon immer war: Fremdenfeindlichkeit. Gegen fundierte wissenschaftliche Islamkritik haben sicherlich die wenigsten etwas einzuwenden. Soviel ich weiß, gab es Kritik und verschiedene Auslegungen des Glaubens schon immer in der islamischen Geschichte.
Ich wuerde meinen Blog unter ‚Infotainment’ und ‚Medienkritik’ einordnen. Neben Umweltthemen, Humor, Musik, Film- und Buchtipps nehme ich meistens zu den aktuellen Nachrichten aus Deutschland und aus dem Ausland Stellung (USA, Nahostkonflikt etc.). Ich betrachte meinen Blog als eine Art ‚Archiv’ zu diesen Themen. Sehr oft teile ich Nachrichten, die ich interessant finde, ohne viel dazu zu schreiben. Wer etwas zu diesem Themenkomplex sucht, wird bei mir fuendig.
Ich wuerde meinen Blog auch gerne ausweiten, einen englischen Teil hinzufuegen, eine Kategorie ueber technische Neuheiten zum Bespiel, aber dazu fehlt mir leider die Zeit. Es ist jetzt schon relativ aufwendig genug.
Hast du eine besondere Zielgruppe?
Nein, eigentlich nicht. Aber natuerlich wird mein Blog hauptsaechlich von den Menschen gelesen, die sich fuer diese Themen interessieren, und die sich mit dem identifizieren koennen, ueber das ich schreibe. Es waere natuerlich auch schoen, wenn ich durch das Aufzeigen der anderen Seite der Medaille einige aus dem ‚fremdenfeindlichen’ Lager ueberzeugen koennte. Aber da habe ich nicht allzu viel Hoffnung.
Wer waren deine größten Unterstützer?
Das ist schwer zu sagen. Von dem Feedback her zu beurteilen, sind sehr viele juengere Menschen, Studenten dabei. Sie sind sehr dankbar fuer die Argumente, die ich liefere. Es gibt sehr viel Hintergrundwissen, die sie nicht haben, und es scheint, dass mein Blog einigen schon geholfen hat, sich mit diesen Argumenten gegen Diskriminierungen, Pauschalisierungen und Angriffe anderer Art zu wehren.
Natuerlich erhalte ich auch Unterstuetzung von ‚gleichgesinnten’ Menschen, die in diesen Themengebieten sich engagieren. Ueber die Gruppe der stillen Leser weiss ich leider nicht viel.
Gibt es auch Kritik an deinem Blog, und wenn ja, von wem?
Ja, natuerlich. Hauptsaechlich von diesen Rechtspopulisten, die sich auch manchmal ihren Toetungsphantasien hingeben, mich an einem Galgen baumeln sehen moechten. Aber das sind eher Ausnahmen. Die meisten halten mich fuer einen Islamisten, einen Islamversteher, Gutmenschen, einen Deutschenfeind, eine ‚linke Zecke’, einen gruen- und/oder rotfaschistischen Nazi, dabei bin ich weder links noch rechts eingestellt. Ich finde mich mehr oder weniger in (fast) allen Parteien wieder.
Es gibt wiederum andere, die sich aufregen, dass ich nicht ueber die unterdrueckten Christen in Indonesien schreibe und halten mich deswegen fuer einen Heuchler. Ich schlage diesen Menschen dann vor, selber einen Blog zu starten, und etwas dagegen zu tun. Es ist doch logisch, dass ich mich nur auf ein begrenztes Themengebiet spezialisieren kann. Ich habe auch gar nicht die Zeit ueber alle unterdrueckten und diskriminierten Voelker dieser Welt, wie z.B. die koreanische Minderheit in Japan, zu schreiben.
Vielen ist es ein Dorn im Auge, dass ich Positives ueber die Muslime und Migranten schreibe. Das passt ihnen nicht ins Weltbild, wo der Muslim/Migrant per se ein getarnter Schlaefer zu sein hat, der nur auf einen Telefonanruf wartet, um sich und seine Mitmenschen in die Luft zu sprengen.
Grundsaetzlich handele ich nach dem Motto: Es gibt viele Wege zum Erfolg. Aber einen sicheren zum Misserfolg: Zu versuchen, es jedem Recht zu machen.
Du betreibst dein Blog hobbymäßig, obwohl du einen Volltime-Job hast. Was spricht dagegen, dass du dein Blog kommerziell betreibst?
Ich habe von Anfang an nie die Idee gehabt, es kommerziell betreiben zu wollen. Die Idee zu bloggen kam aus dem Bauch heraus. Es hat mehrere Gruende, warum ich es nicht kommerziell betreiben moechte:
1. Ich moechte ‚relaxed’ bloggen, also keinem Druck ausgesetzt sein 2. Ich sehe nicht, dass ich mit meinem Blog Geld verdienen koennte, und Geld verdirbt ja auch den Character 😉 3. Ich moechte die Kontrolle ueber meinen Blog behalten. Ich moechte nicht durch kommerzielle Gruende beeinflusst werden, ueber Dinge zu schreiben, nur weil sie lukrativer sind. 4. Ich habe schon einen ausfuellenden Job. Ich haette einfach keine Zeit es kommerziell zu betreiben. 6. Ich fuehle mich wohl in meiner Nische. Mehr Aufmerksamkeit moechte ich eigentlich gar nicht. 7. Wenn Microsoft mir eine 7-Stellige Summe bieten wuerde, dann waere ich natuerlich bereit, all meine Prinzipien ueber Bord zu werfen : -)
Mir ist aufgefallen, dass viele deiner Artikel mit einem Augenzwinkern geschrieben sind. Welche Absicht steckt dahinter?
Es gibt viele Wege nach Rom, und Satire ist ein gutes Mittel, um den Leuten einen Spiegel vorzuhalten. Ausserdem moechte ich nicht immer alles zu ernst nehmen. Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich selten ernst bin. Das Leben ist kurz, und es soll auch Spass machen.
In kurzer Zeit hast du auf Facebook eine gewisse Prominenz erreicht, wem verdankst du das?
Die Frage ist, ob die besagte Prominenz eher negativ oder positiv ist : -)
Lass uns mal auf dem Teppich bleiben. Aber ich muss schon zugeben, dass ich mit diesem bescheidenen Erfolg nicht gerechnet haette, denn ich habe mit dem Bloggen ganz am Anfang eigentlich nur fuer mich selber begonnen. Wie bereits oben erwaehnt, wollte ich eigentlich nur mein Gewissen erleichtern, indem ich nicht nur tatenlos zuschaue, sondern meinen bescheidenen Beitrag dazu leiste. Natuerlich hatte ich gehofft, dass einige meine Artikel lesen, und vielleicht genauso denken, aber mit diesem Zuspruch hatte ich nie gerechnet.
Es scheint, dass ich bei einigen Menschen einen Nerv getroffen habe. Ich denke auch, dass meine Teilnahme an den Diskussionen, und meine satirische Vorgehensweise auch auf anderen Pinnwaenden zu dieser ‚Prominenz’, sowohl positiv als auch negativ, beigetragen hat.
Welche Erfahrungen hast du mit Rechtspopulisten etc. gemacht auf Facebook und wie würdest du sie charakterisieren?
Das sind Menschen, die nur geradeaus denken koennen. Fuer sie ist alles schwarz-weiss. Die Loesungen fuer alle Probleme sind einfach gestrickt. Wer differenziert, hat verloren. Denken tut weh.
Natuerlich geben sie sich nach aussen ‚freiheitlich’, und wollen uns einreden, dass sie nicht alle Muslime, Migranten etc. meinen. Das ist Bloedsinn. Diese Menschen leben nur von ihrer Angst und vom Hass. Es ist ihre Triebkraft. Ihr Sauerstoff zum Leben, ihre Lebensenergie. Wenn sie mit einer Gruppe ‚durch’ sind, dann kommt die naechste.
Gemaess der alten Rassisten-Regel „Lass Migranten Boeses ueber Migranten sagen, dann kann es die Mehrheitsgesellschaft nicht mehr so anstoessig finden“ vereinnahmen sie gerne auch die Menschen mit Migrationshintergrund, die ihrer Sache dienlich sind. Auf diese Menschen koennen sie sich dann auch berufen, wenn sie fuer ihre teilweise rassistischen Aussagen kritisiert werden. Siehe z.B. Thilo Sarrazin, der sein Buch von Necla Kelek vorstellen liess. Das ist sicherlich kein Zufall (Nur zur Klarstellung: Ich will damit nicht sagen, dass ich Thilo fuer einen Rechtspopulisten halte, obwohl er die Rechtspopulisten sehr gut bedient).
Argumentieren gegen diese Menschen ist relativ einfach finde ich, weil sie, wie schon erwaehnt, relativ einfach gestrickt sind. Auch habe ich sehr oft erlebt, dass – von Ausnahmen abgesehen – eine vernuenftige Diskussion mit diesen Menschen nicht viel Sinn macht. Deswegen halte ich ihnen den Spiegel vor, zeige ihre Doppelmoral auf.
Ich erinnere mich z.B. an einen Fall, wo solch ein Mensch das Kopftuch von den deutschen Strassen verbannen wollte, weil er es fuer undeutsch hielt. Ich fragte ihn, ob er das fuer orthodoxe Juedinnen auch durchsetzen moechte. Natuerlich wurde ausgewichen, und es kam keine klare Antwort. Diese Menschen sind sich der Tragweite ihrer Argumente gar nicht bewusst.
Diese Diskussionen machen mir Spass, obwohl es eigentlich traurig ist.
Was bedeutet Integration für Dich?
Integriert ist man fuer mich, wenn man die Landessprache spricht und sich an die bestehenden Gesetze haelt, und dass man versucht, einer geregelten Arbeit nachzugehen und sich selber zu versorgen. Alles andere hat keinen etwas anzugehen.
Allerdings ist natuerlich Toleranz gefragt, und es ist zu beachten, dass die Freiheiten des einen da aufhoeren, wo sie die Freiheiten des anderen einschraenken. Das erachte ich als selbstverstaendlich.
Dass Minderheiten auch in einer Demokratie einen besonderen Schutz und Rechte brauchen, davon bin ich fest ueberzeugt. Das ist in Deutschland auch schon seit langem der Fall bei einigen Minderheiten (z.B. die daenische Minderheit in Schleswig-Holstein).
Ich hatte mal einen sehr gutes Zitat gelesen, was gut passt: Wenn man es der Mehrheitsgesellschaft in einer Demokratie ueberlaessen wuerde, wie mit Minderheiten umzugehen ist, dann ist es in etwa so, als wenn 2 Woelfe und ein Schaf demokratisch darueber abstimmen, was es zum Abendessen gibt.
Wer sind für dich die Integrationsverweigerer, die du immer wieder satirisch durch den Kakao ziehst?
Die groesste Gruppe der Integrationsverweigerer in DE sind wahrscheinlich unter der urdeutschen Bevoelkerung zu finden: Es sind unsere rechten Pappkameraden. Man schaue sich z.B. mal die Wahlerfolge der NPD, besonders im Osten der Republik an.
Wuerden diese Kameraden Ali statt Hans heissen, alle einen Vollbart tragen, sich wie die Salafisten anziehen anstatt Anzug und Krawatte, dann wuerde man sie wahrscheinlich in der Oeffentlichkeit viel mehr wahrnehmen. So sind sie halt auf den Strassen, bei der Arbeit etc. unsichtbar und gut buergerlich. Sie tummeln sich in Foren, empoeren sich hinter verschlossenen Tueren und traeumen heimlich weiter von einem Staat mit einem starken Mann an der Spitze, der es den „Musels“ endlich mal zeigt.
Natuerlich muss man auch bei den Rechten differenzieren. Es gibt dort Menschen mit einer rechtsextremistischen Vergangenheit, die auf der jetzigen ‚islamkritischen‘ Welle mitreiten, weil es opportun ist. Diese Menschen sind leider noch nicht in Deutschland des 21. Jahrhunderts angekommen und haben immer noch die Illusion von der ‚Heilen Welt“ von den 1930ern Jahren, vom Nationalstaat, welches auf eine bestimmte Ethnie beruht. Dass sich die Bevoelkerungen immer veraendern, Voelkerwanderung es schon immer gegeben hat, scheinen sie nicht verstehen zu wollen.“
Sie haben auch gemerkt, dass mit Antisemitismus in Deutschland keine Wahl zu gewinnen ist. Nun haben sie eine neue Zielgruppe gefunden, und verstecken ihre Feindseligkeit gegenueber den Muslimen hinter begriffen wie „Islamkritiker“ und „Israelfreunde“. Es gibt gute Gruende, warum sich auch juedische Organisationen, wie z.B. der Zentralrat der Juden, von solchen Woelfen im Schafspelz distanzieren.
Man sollte Integrationskurse nicht nur den Einwanderern anbieten ; -) Eine Studie der FES hat ja aufgezeigt, wie hoch das Potenzial in DE ist, um das Grundgesetz abzuschaffen, oder es einzuschränken (siehe hier).
Falls sie sich nicht integrieren moegen und sich in Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht mehr wohlfuehlen, dann sage ich immer, dass Auswandern eine Option ist. Einige ihrer Vorfahren haben ja auch kurz nach dem 2. Weltkrieg (unfreiwillig) den Weg nach Suedamerika gefunden ; -)
Wie steht es mit der Integration in den anderen Ländern, im Vergleich zu Deutschland, hast Du Erfahrung damit?
Ich habe in vielen Laendern gelebt, und bin immer noch relativ viel unterwegs. Integration scheint, bis auf wenige Laender, keine grosse Rolle zu spielen. Vielleicht, weil man es gelassener sieht, weil man die Hausaufgaben schon vor vielen Jahren gemacht hat, die Einreisebestimmungen eh strikt sind, und auch, weil viele dieser Laender von der Natur her Einwanderungslaender sind. In diesen Laendern spielt die groesste Rolle, dass man sich dort an die Gesetze haelt. In welcher Sprache sich die Bevoelkerungsgruppen neben der Landessprache untereinander unterhalten, spielt z.B. keine Rolle. Es geht mehr um leben, und leben lassen.
Auch ist mir aufgefallen, dass die Einwanderer sich in den anderen Laendern viel schneller mit dem Land identifizieren, als z.B. in Deutschland. Das hat meiner Meinung nach sehr viel mit der Willkommenskultur zu tun. Ich arbeite mit sehr vielen Menschen aus verschiedenen Nationen zusammen. Und die wenigsten davon koennen sich vorstellen, in Deutschland zu arbeiten, ausser vielleicht fuer einen kurzen Aufenthalt. Die Auswahl an Laendern fuer diese Fachkraefte ist einfach zu gross, und die Alternativen oft besser: Kanada, USA, Grossbritannien, Singapur, Australien, die skandinavischen Laender etc etc. Diese Fachkraefte werden in Deutschland noch zu oft wie Bittsteller behandelt. Man scheint zu uebersehen, dass Deutschland diese Menschen mehr braucht, als umgekehrt.
Diese besondere Art der Fremdenfeindlichkeit und Integrationsdebatte scheint nur in einigen europaeischen Laendern ein grosses Thema zu sein. Fuer die Amerikaner ist man z.B. ein Amerikaner, wenn man dort geboren ist. Dabei ist es egal, ob es ein Krimineller, oder ein Superstar ist. In Deutschland ist man z.B. sehr stolz auf einen Mesut Oezil, waehrend man einen kriminellen Deutschen mit Migrationshintergrund am liebsten in sein „Heimatland“ ausweisen moechte. Dabei sind beide das Produkt der deutschen Gesellschaft. Es geht nicht, dass man die Lorbeeren fuer die positiven Beispiele erntet, aber die Schuld fuer die negativen Beispiele in der Herkunft oder der Religion sucht, und sie loswerden moechte. Diese Unterscheidung macht man doch in der urdeutschen Bevoelkerung auch nicht, obwohl es dort sowohl positive, als auch negative Beispiele gibt.
In Deutschland wird z.B. ein Buerger tuerkischer Abstammung in der 3. Generation immer noch gefragt, wann er wieder vor hat, in seine „Heimat“ zurueckzukehren. Dabei meint man es nicht unbedingt boese, aber es zeigt, dass sich einiges am Denken der Menschen aendern muss. Das „Gastarbeitersyndrom“ muss ueberwunden werden, und man sollte endlich einsehen, dass DE die Heimat fuer diese Menschen ist. Sie haben genauso viel Recht in DE zu leben wie ein Markus Meier, der ebenso rein zufaellig in der Bundesrepublik geboren wurde.
Dass in den verschiedenen Laendern die Problemgruppen immer unterschiedlich sind, zeigt doch auf, dass es kein Problem mit dem Islam sein kann: In den USA sind es hauptsaechlich die Mexikaner (katholisch), in Polen sind es die Vietnamesen (Buddhisten). Es ist durchaus normal, dass man die groessten ‚Probleme’ in einem Land mit der groessten Minderheit hat. Daher sind Vergleiche wie, dass man mit den Japanern in Deutschland keine Probleme haette, sehr albern und zeigen, dass die Menschen von der Materie keine Ahnung haben. Wieviele Japaner leben in DE? Wie kann man einen japanischen Manager, der von seiner Firma fuer eine bestimmte Zeit nach Duesseldorf geschickt wurde, mit einem Einwanderer aus einer bildungsfernen Schicht vergleichen, der nur einfache Arbeiten machen sollte? Diesen japanischen Manager sollte man dann auch mit einem aus der Tuerkei entsandten tuerkischen Manager vergleichen. Ich bin mir relativ sicher, dass es bei der Integration von Beiden kaum Unterschiede gibt.
Es spielt eine grosse Rolle, aus welchen sozialen Schichten diese Menschen eingewandert sind. Daher ist fuer mich diese ‚Islamdebatte’ mal wieder eine Scheindebatte von vielen.
Wie stehst du zur innerislamischen Debatte „Liberal“ vs. „Konservativ“ in Deutschland?
Es ist eher eine innermuslimische Debatte, als eine ‚innerislamische’. Weil sich Muslime streiten, muss es nicht immer islamisch sein. Es hat meiner Meinung nach keine innerislamische Debatte stattgefunden, weil es nicht um den Islam ging. Es ging nicht um Pluralitaet im Islam, oder wer wie sein Leben gestalten sollte. Das wurde, soweit ich es mitverfolgen konnte, von keinem der ‚Streithaehne’ in Frage gestellt. Es ging meiner Meinung nach um persoenliche Probleme untereinander, um gekraenkte Eitelkeiten, big Egos, Macht und Einfluss in der Politik.
Diese Debatte wurde vor der Politik und der Mehrheitsgesellschaft ausgetragen, um Druck auszuueben, um fuer deren Gunst zu werben, und um Unterstuetzung bei den zukuenftig anstehenden politischen Entscheidungen zu bekommen. Es ist das uebliche Gerangel darum, wer wo was wie mitbestimmen, und in welchen Gremien sitzen darf. Hierbei ging es nur drittrangig um die Stellung des Islam, und das Leben der Muslime/Migranten in Deutschland. Traurig ist, dass die AhmetNormal-Muslime auf der Strasse die Konsequenzen dieser Debatte ausbaden werden. Sie werden um eine weitere Diskriminierungserfahrung reicher werden. Die Hetzer aus der Mehrheitsgesellschaft suchen doch nur nach diesen spalterischen, diskriminierenden Floskeln. Man erinnere sich, wie einige in der Vergangenheit versucht haben und immer noch versuchen, z.B. die Sunniten gegen die Aleviten auszuspielen.
Weder an ‚liberal’ noch ‚konservativ’ ist etwas auszusetzen. Es ist keine Schande weder das eine, noch das andere zu sein. Wenn man allerdings anfaengt, die eigene Gruppe mit der Anderen zu vergleichen, dann entsteht leicht der Eindruck, als wolle man sich als etwas ‚Besseres’ verkaufen. Ich hatte den Eindruck, je nach dem welche Gruppe man sich anhoerte, dass diese gegenueber der Mehrheitsgesellschaft versuchten, den Begriffen eine negative Bedeutung anzuhaengen. Das finde ich fatal und verantwortungslos. Denn ich weiss aus vielen Gespraechen, dass sich sehr viele weder der einen, noch der anderen Gruppe zuordnen koennen. Die meisten springen eh hin und her, je nach Themengebiet.
Haette man das Wohl der Muslime und Migranten bei dieser Debatte im Sinne gehabt, dann haette man es sicher anders fuehren koennen. Man haette regelmaessige Meetings arrangieren, oder diese Diskussionen in den Medien fuehren koennen, die hauptsaechlich die muslimische Zielgruppe anspricht. So hatte es den Anschein fuer mich, als wollte man sich auf Kosten der anderen Gruppe profilieren.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe nichts gegen solch eine Debatte an sich. Sie ist notwendig, und ich denke auch, dass es in jeder Religion normal ist, nicht immer einer Meinung zu sein. Aber ich fand die Art und Weise, und besonders das Timing unpassend. In den Hoch-zeiten der Islam- und Fremdenfeindlichkeit solch eine oeffentliche Debatte mit den Gehaessigkeiten und den Ausgrenzungsfloskeln vor der Mehrheitsgesellschaft zu fuehren, grenzt meiner Meinung nach schon fast an Fahrlaessigkeit und/oder Naivitaet. Das ist ein gefundenes Fressen fuer die PiPiFanten (die dumpfen Hetzer auf islamfeindlichen Hetzseiten wie PI-News), die Broders, die Keleks etc. Ich denke, dass man in diesen Zeiten diesen Menschen keine Argumente liefern sollte – ob bewusst oder unbewusst. Man sollte die Differenzen eher beiseite legen, sich auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren, und die Kraefte gegen die eigentlichen ‚Gegner’ buendeln. Wenn der Islam irgendwann mal einen eher ‚normalen’ Stellenwert in der deutschen Gesellschaft hat, dann habe ich auch gegen so eine oeffentliche, gesunde Streitkultur nichts einzuwenden.
Um ein unpassendes Beispiel zu nehmen: Man stelle sich vor, dass die Juden untereinander in den 1920ern eine Debatte auf diese Art und Weise gefuehrt haetten. Wem haette es genutzt? Wer haette sich deswegen die Haende gerieben? Ich will keinesweges damit sagen, dass die Muslime heute in der selben Lage wie die Juden in den 1920ern sind. Keineswegs. Aber ich hoffe, ihr versteht, was ich damit sagen moechte.
Vielen Dank für die Beantwortung der vielen Fragen, und dass du dir Zeit genommen hast!
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