Wie sehen Sie das Zusammenleben von Muslimen und Christen in Deutschland und welche Erfahrungen haben Sie bisher damit gemacht?
Ich persönlich habe nur gute Erfahrungen gemacht. Das liegt möglicherweise auch daran, mit welcher Haltung man den Menschen begegnet. Ich kann nicht in die Menschen hineinschauen, die mir aus bestimmten Vierteln in Großstädten berichten, sie würden dort aggressiv oder herablassend behandelt. Sie fühlten sich dort nicht sicher, denn selbst ein Einsatz der Polizei werde sogleich umzingelt und bedroht. Wenn wir einmal von solchen Ghettoerfahrungen absehen, ist das Verhältnis wohl gar nicht so schlecht. Aber es ist wohl eher ein Nebeneinander als ein Miteinander, und das ist gefährlich. Denn einerseits sind die Muslime präsent, andererseits kennt man sie nicht. Man gewinnt also seine Informationen über die Medien, über Multiplikatoren. Zugespitzt gesagt: „Ich habe zwar noch nie mit meinem muslimischen Nachbarn gesprochen, aber man weiß ja, was das für Leute sind …“ Deswegen freut es mich immer, wenn ich junge Leute sehe, die sich über diese Grenzen hinweg unterhalten und befreundet sind, weil sie die Schule oder die Uni zusammenbringt.
Ich möchte noch mal auf das Thema „Kampf der Kulturen“ und das Zusammenleben zwischen Christen und Muslime zurückkommen. Wie Sie wissen haben wir seit 2001 eine andauernde Integrationsdebatte die meist auf den Rücken muslimischer Mitbürgern geführt wird. Hierbei wird ein Kardinalfehler begangen, nämlich dass man die Tat einer Person mit der Religion in Verbindung bringt. Welche Lösungsmöglichkeiten würden Sie Ihren muslimischen Mitbürgern empfehlen?
Die Muslime sind ja großenteils zugewandert, und deshalb wird ihre Religionszugehörigkeit immer damit vermischt, dass sie anders aussehen, anders sprechen und kulturell anders sind. Außerdem ist die Unterschicht stärker vertreten, deshalb treten ungünstig verpackt auch Migranten- und Minderheitenprobleme auf. Diese Faktoren werden immer wieder auf die religiöse Ebene geschoben, wie das Ghettobeispiel zeigt, von dem ich vorhin gesprochen habe.
Was kann man tun? Meine erste Empfehlung wäre Transparenz. Wenn ich vor einer Moschee oder einem Gebetsraum stehe, würde ich gerne wissen, wer hier betet: Sunniten oder Schiiten? Türken, Araber oder Perser? Gibt es ein Büro, in dem ich Informationen bekommen kann, oder einen Ansprechpartner? Kann ich einfach reingehen oder ist das nicht erwünscht? – Ich weiß schon, einige Muslime würden sagen: „Was soll das? Ich weiß doch schon, wo ich hingehe. Warum können wir nicht einfach in Ruhe beten?“ Klar, für die Muslime braucht es keinen Aushang über Öffnungszeiten, wann das Freitagsgebet ist, wie der Imam heißt und wer der Ansprechpartner oder Moscheevorstand ist. Das ist in ihrer Community bekannt und manchem vielleicht sogar lieber, dass es die anderen nicht wissen. Schließlich gibt es überall Spinner und Radikale. Transparenz kann anstrengend sein. Aber für die Nicht-Muslime, die vorbeigehen, wirkt es freundlicher und weniger fremd, wenn es einen Schaukasten mit Informationen gibt, wie sie es von ihrer Kirche auch kennen. Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme.
Eine andere Sache ist die Bildung. In Deutschland ist das Verhältnis Schule-Familie ein anderes als in den Herkunftsländern der muslimischen Zuwanderer. Dadurch werden viele Kinder nicht optimal gefördert. Ich könnte mir vorstellen, dass die Moscheegemeinden hier einen guten Einfluss ausüben und auch Hilfe leisten könnten. Je mehr Handwerker, Geschäftsleute und Akademiker es unter den zugewanderten Muslimen gibt, desto mehr können sie andere mitziehen. Und die autochthonen Deutschen sind immer begeistert, wenn es heißt, jemand leiste etwas. Das war ja das Erfolgsticket von Sarrazin, zu sagen, die Muslime seien Loser und Schmarotzer.
Lassen Sie mich noch einen auf den ersten Blick provokativen Vorschlag machen: Muslime, tretet in die CDU/CSU ein! Die meisten Muslime wählen vermutlich rotgrün. Da sehen sie mehr Toleranz, da gibt es auch mehr Funktionäre und Mandatsträger mit Migrationshintergrund. Ich glaube aber, dass eine wertkonservative Politik mit religiösem Hintergrund viel besser zu den meisten Muslimen passt. Die Unionsparteien könnten eine Auffrischung vertragen – und eine Aufmischung. Mischt die Union auf! Es wird die Christen in der CDU/CSU bewegen, sich mehr mit ihrer religiösen Herkunft zu befassen, und es wird das Toleranzpotential in der Union vergrößern.
Was würden Sie den Politikern für ein friedvolles Leben in Deutschland, bezüglich der hier lebenden Migranten mit auf dem Weg geben wollen?
Mehr zu investieren. Das heißt nicht in erster Linie Geld, sondern Engagement. Es reicht nicht, in irgendwelchen hochrangigen Runden seine Position zu vertreten und dabei auf die Wähler zu schielen. Jeder Politiker sollte möglichst viel reingehen in die Communities und dort mit den Leuten reden: zuhören. Wissenschaftliche Studien, Experten sollten nicht als Kanonenfutter zur Steigerung der Popularität dienen, sondern als Berater für positive Maßnahmen herangezogen werden. Es sollte zum persönlichen Projekt möglichst vieler Politiker werden, in diesem Bereich Probleme zu lösen, Fortschritte zu machen. Und zwar nicht auf dem Wege des Zwangs, sondern der Kooperation.
Sie haben über Signale von oben gesprochen, die es ja in der deutschen Integrationsdebatte immer wieder gibt. Ein Beispiel wäre die Islamkonferenz, die durch den früheren Innen- und jetzigen Finanzminister, Herrn Schäuble initiiert wurde. Muslime haben den Eindruck, dass diese Konferenz eher den Interessen der Auseinandersetzung mit dem Islam, aber nicht dem Verständnis des Islams dient. Was würden Sie Politikern und muslimischen sowie christlichen Mitbürgern raten, dieser einseitigen Betrachtung von oben zu entgehen?
Ich bin nicht in dieser Konferenz und kann mir deshalb kein Urteil darüber erlauben. Sicher ist es besser, ein solches Forum zu haben als keines. Dass nicht allzuviel dabei herauskommt, weil die Sache mehr politstrategisch als positiv-pragmatisch durchgeführt wird, kann ich mir schon vorstellen.
Unabhängig davon halte ich es für sehr wichtig, dass sich die Muslime in Deutschland irgendwelche Formen der Institutionalisierung und repräsentativen Vertretung finden. Ich weiß, dass das sehr schwer ist, weil es dem Charakter des Islams nicht entspricht. Aber dann könnte es auch rechtlich sehr schnell und effektiv einen Schritt vorwärts geben.
Man muss immer wissen, was genau man mit einer Initiative oder Veranstaltung bezwecken will. Auf der Ebene Pfarrei-Moscheegemeinde, Ortsgemeinde oder Stadtviertel kann es sinnvoll sein, sich einfach regelmäßig zu treffen und einzuladen, um einander kennenzulernen, besser zu verstehen und Probleme anzupacken. Wenn ein Drittel der Deutschen sich vom Islam bedroht fühlt, sollten die übrigen zwei Drittel sich nicht zurücklehnen, sondern sich Gedanken darüber machen, wie man das ändern kann. Dieses eine Drittel wird von bestimmten Publizisten und Internetportalen regelmäßig bedient. Dass das höchst problematisch ist, flackert kurz auf, wenn ein Anders B. Breivik vom Hass zur Tat schreitet. Aber unabhängig davon ist es eben nicht automatisch so, daß alle langfristig von der Liebe statt vom Hass motiviert werden. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass sich eine breite Bewegung für Freundschaft und Miteinander entwickelt. Das wäre eine echte Investition in die Zukunft
Hier das Interview im Überblick:
1. Zusammenleben von Christen und Muslimen in der Pluralen Gesellschaft
2. Ein friedliches Miteinander oder doch ein Kampf der Kulturen?
3. Erfahrungen des Zusammenlebens: Ein Stimmungsbild aus Deutschland
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