Foto: Futureorg-Institut

Vor einigen Wochen hat das Nachrichtenportal „DTJ-Online“ unter dem Titel „Merkel beliebter als Erdoğan und Özdemir“ eine gemeinsame Studie mit dem „Futureorg-Institut“ veröffentlicht. Diese erbrachte für uns ein völlig überraschendes Ergebnis. Kurz darauf erklärte Kamuran Sezer, Leiter des Futureorg-Instituts, an gleicher Stelle, dass es sich bei den Ergebnissen um einen Aprilscherz handele. Dass es jedoch jetzt „endaX“ gäbe und dieses künftig repräsentative Studien innerhalb der Migrantencommunity erarbeiten würde, sei jedoch kein Scherz gewesen.

Wir wollten wissen, was es mit der Studie auf sich hat und haben deshalb mit Kathleen Brüssow*, Mitarbeiterin am Futureorg-Institut, gesprochen:

DIB: Mit welchem Ziel wurde endaX gegründet?

Kathleen Brüssow: Die Initiative “endaX” wurde mit dem Ziel gegründet, die politischen Einstellungen, die Wahlentscheidungen und das Wahlverhalten von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland abzubilden. Ihre Meinungen, Wünsche, Bedürfnisse und Interessen sollen somit sichtbarer werden – egal, ob sie über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen oder nicht.

Langfristiges Ziel von endaX ist es aber, eine gravierende Lücke zu schließen, denn: Eine aussagekräftige Datengrundlage, die die Vielfalt der migrantischen Community repräsentieren würde, gibt es noch nicht. Das soll sich durch unsere Initiative ändern!

DIB: Wer finanziert endaX? Stecken private oder staatliche Geldgeber dahinter?

Kathleen Brüssow: Die Initiative endaX ist ein gemeinsames Projekt des futureorg Instituts und der World Media Group AG. Ein wichtiger Partner ist zudem das Deutsch-Türkische Journal. Da es eine private Initiative ist, ist es ein besonders emanzipatorisches Projekt.

Kein Staat, kein Bundesamt, keine Stiftung stehen dahinter! endaX wird ausschließlich aus den Ressourcen und Möglichkeiten der migrantischen Community realisiert. Deswegen sind wir unabhängig und überparteilich.

DIB: Wie funktioniert endaX, welches System steckt dahinter?

Kathleen Brüssow: EndaX stellt im Prinzip eine Datenbank von Freiwilligen dar, es ist ein so genanntes Online-Access-Panel. Die Freiwilligen sind im Falle von endaX in Deutschland lebende Menschen mit Migrationshintergrund, die sich bereit erklärt haben, sich in diesem Panel zu registrieren, um später an Befragungen teilzunehmen.

DIB: Wie viele Personen haben sich bisher innerhalb von welcher Zeit registriert und wie haben diese Leute Wind davon bekommen?

Kathleen Brüssow: Wir steuern auf die 500-Teilnehmer-Marke zu – und dies innerhalb von fünf Wochen, die seit dem Aprilscherz vergangen sind.

Wir machen über deutsch- und fremdsprachige Medien auf uns aufmerksam, insbesondere Zeitungen und Online-Nachrichten-Portale, wie das DeutschTürkische Journal-Online (DTJ). Auf Kulturfesten sind wir auch präsent und sprechen direkt mit den Leuten.

Außerdem sind wir im Begriff, ein Kooperationsnetzwerk um “endaX” herum aufzubauen. Über dieses Netzwerk, das dauerhaft arbeiten soll, werden weitere Kanäle in die migrantische Community erschlossen.

DIB: Interessant fanden wir auch die Kategorien, in welche die Probanden ihre eigene Person hineinkategorisieren dürfen. „Person mit Migrationshintergrund“, „Deutsch-Türke“, „Person mit Zuwanderungsgeschichte“, „Türkischstämmiger Deutscher“ usw. – Wie sind sie auf diese Kategorien gekommen?

Kathleen Brüssow: Sie müssen nur mal in die tägliche Berichterstattung oder in diesen Artikel schauen, es fallen immer wieder unterschiedliche Begriffe, die vermeintlich die gleiche Gruppe meinen: Migranten, Zuwanderer, Einwanderer, und es gibt noch so viele mehr. Aber diese Bezeichnungen haben immer eine unterschiedliche Bedeutung und sprechen nicht immer die gleiche Gruppe an. Würden Sie etwa das in Deutschland geborene Enkelkind eines ehemaligen in Deutschland lebenden türkischen Einwanderers auch als Einwanderer oder gar als Migrant bezeichnen? Fühlt sich das Enkelkind mit dem Begriff angesprochen? Nein, oder?! “Menschen mit einem so genannten Migrationshintergrund” finde ich persönlich als zutreffendere Bezeichnung – denn damit sind alle Generationen gemeint und egal welcher Herkunft. Aber das ist nur meine Meinung und leider ist dieser Begriff viel zu lang und sperrig.

DIB: Wieso wollten sie, dass sich die Probanden selbst aussuchen, wie sie angesprochen und kategorisiert werden wollen?

Kathleen Brüssow: Die Entscheidung darüber, wie eine Gruppe bezeichnet wird, wollten wir als endaX-Team nicht alleine und über den Köpfen der Menschen, die es betrifft, hinweg fällen. Nach etlichen Diskussionen über die eine “richtige” Bezeichnung, haben wir uns für diese Lösung entschieden und werden dies auch bei der Auswertung der Befragungen berücksichtigen.

Außerdem ist es eine gute Veranschaulichung dafür, dass die Community mithilfe von “endaX” nun endlich über sich selbst bestimmen kann. Sie hat die Definitionshoheit über sich. Mithilfe dieser simplen Umfrage bestimmt die Community selbst, wie sie genannt werden möchte. Das ist höchst emanzipatorisch!

DIB: Wieso haben sie nicht zusätzlich eine offene Kategorie für die Selbstzuschreibung des „Ausländergrades“ offen gelassen? Also, so etwas wie ein Schieberegler, durch den der Befragte angegeben kann, wie viel Prozent seiner Identität noch “Ausländer” ist.

Kathleen Brüssow: Sie meinen, dass das Enkelkind des einstigen Einwanderers zum Beispiel angeben kann, dass er sich “so und so viel Prozent” als “Ausländer” fühlt?! Das ist eine sehr gute Idee! Ich denke, wir werden diese Idee umsetzen.

DIB: Um welche Lebensbereiche soll es in den Umfragen von endaX gehen? (Sozialwissenschaften, Konsum, Besucherorientierung, Theater, Kino, Politiker, etc.)

Kathleen Brüssow: Geplant sind Befragungen, die sich auf das aktuelle Tagesgeschehen in Politik und Gesellschaft beziehen. Im Fokus stehen die politischen Einstellungen, die Wahlentscheidungen und das Wahlverhalten der Befragten. Wir möchten über das politische Kapital hinaus auch das soziale, kulturelle und ökonomische Kapital der migrantischen Community darstellen. Da “endaX” ein Instrument ist, können wir auf sehr schnelle und zuverlässige Weise die unterschiedlichsten Themen- und Fragestellungen behandeln.

DIB: Für wen könnte die Durchleuchtung von z.B. Türken als Ziel- und Konsumentengruppe interessant werden?

Kathleen Brüssow: Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat einen Migrationshintergrund. Sie gehen arbeiten, konsumieren, sparen, planen für die Zukunft, investieren, bauen, machen Urlaub – kurz: tragen zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung ganz normal bei. Angesichts dessen ist diese Gruppe für unterschiedliche Akteure interessant und relevant.

DIB: Ist die Durchleuchtung von Muslimen als Ziel-, Konsumenten-, Wähler- und Besuchergruppe ein neues Phänomen?

Kathleen Brüssow: Es geht hier eindeutig nicht um Muslime als Zielgruppe. Die Vielfalt der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland soll dargestellt werden, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit.

DIB: Wer sind die Kooperationspartner von endaX?

Kathleen Brüssow: Typisch Deutsch e.V., International Business Club e.V., Migranten in der Union – MIU e.V. und bald auch die Türkische Gemeinde zu Berlin e.V. Weitere Kooperationspartner werden sehr bald folgen.

Medienpartner haben wir aus der türkischen Community einige. Da wäre natürlich „DIB – Die Integrationsblogger“ als erstes Blog zu nennen, mit dem wir zusammengearbeitet haben. Dann das Deutsch-Türkische Journal, Zaman Avrupa und Samanyolu TV, also alle Medien der World Media Group AG. Wir hoffen und arbeiten auch an deutschen Medienpartnern.

DIB: Von wem bezieht endaX seine Forschungsaufträge?

Kathleen Brüssow: Das Instrument endaX kann für verschiedene Forschungsbereiche nützlich sein. Beispielsweise führt das futureorg Institut mit Unterstützung der Friedrich Naumann-Stiftung für die Freiheit die „HoMi-Studie“ durch. Dabei handelt es sich um ein sozialwissenschaftliches Projekt, das sich mit der politischen Partizipation und Demokratiebeteiligung von hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten in Deutschland befasst. Der Name „HoMi“ ist abgeleitet von „Hochqualifizierten mit Migrationshintergrund“.

DIB: Wo werden die Statistiken publiziert und verbreitet?

Kathleen Brüssow: Die Ergebnisse der noch folgenden Befragungen werden öffentlichkeitswirksam verbreitet. Dafür ist die Zusammenarbeit mit World Media Group AG sehr wichtig. Die Ergebnisse können wir über Fernsehen, Internet und Print in die Öffentlichkeit bringen. Außerdem werden die Ergebnisse über die Kanäle des futureorg Instituts, das ganz andere Fach- und Zielgruppen erreicht, verteilt. Selbstverständlich spielen Social Media eine sehr wichtige Rolle. Dazu gehören Partner aus der Blogsphäre, wie z.b. das DIB als erster Blogpartner oder eben soziale Netzwerke wie Facebook. Bei der Gelegenheit können Ihre Leser uns auch auf EndaX Ihre Stimme ein Deutschland abonnieren.

DIB: Wie repräsentativ kann endaX das Meinungsbild innerhalb der Migrantencommunity wiedergeben? Wird es nicht dadurch potenziell verzerrt, dass weltanschaulich gefestigtere Personen stärker bereit sind, sich zu registrieren, als unpolitischere?

Kathleen Brüssow: Eine Verzerrung und damit Beeinträchtigung der Repräsentativität kann es durch verschiedene Faktoren geben. Allein die unterschiedlich ausgeprägte Internetaffinität innerhalb der migrantischen Community spielt dabei eine Rolle. Wir versuchen, dem durch ein entsprechend ausgelegtes Umfragedesign entgegenzuwirken.

Das Konzept der Repräsentativität ist kompliziert. Dafür werden wir mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an deutschen Hochschulen zusammenarbeiten. Heute machen wir sehr wichtige Grundlagenarbeit! Das, was die deutsche Markt- und Meinungsforschung über Jahrzehnte aufgebaut, systematisiert und normiert hat, müssen wir für die migrantische Community erst aufbauen. Wir machen sozusagen Pionierarbeit. Aber – und das möchte ich betonen – wir fangen nicht bei null an! Es gibt einige spannende Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet, die für unsere eigene Arbeit gute Impulse gegeben haben. Im Übrigen werden wir in der kommenden Woche mit unserer ersten Umfrage beginnen. Themen werden die NSU-Morde, das Staatsvertrauen von Türkinnen und Türken und das NSU-Gerichtsverfahren sein.

DIB: Wir danken Ihnen für das umfangreiche Interview, Frau Brüssow und wünschen Ihnen weiterhin Erfolg mit endaX.

___________________________________________________________________________________________________________

* Kathleen Brüssow Jg. 1984, ist in Neubrandenburg geboren. Nach dem Studium der Internationalen Volkswirtschaft in Bamberg, Göttingen und Brasilien wirkt sie nun am futureorg Institut als Research-Analystin mit Schwerpunkt Statistik mit.

[twitter_hashtag hash= „endaX“ number= „3“ title=““Tweets für {http://i-blogger.de/endax-meinungsforschung-fuer-migranten-als-groses-emanzipationsprojekt/ }“]

Share.

Comments are closed.