Mit meinem furchtvollsten Gang ging ich die Treppen hoch hinauf auf die Berge der Erkenntnis, ohne meine Satteltasche zu füllen mit Essen und Trinken und Kleidung und Gold oder Silber. Die Wolken schauten auf mich hinab, die Worte versteckten sich wie eine rotbackige Jungfrau in den maskulinsten Winden der Höhe, denn sie ahnten meinen ewigen Willen, mich vom Gewand der Buchstaben loszureißen, das Hemd der Sätze auszuziehen, die gekritzelten Papiere, die mit meinen dumpfen Gedanken beschmutzten Schreibblöcke zu zerknüllen und in die Tiefe des wasserlosen Brunnens zu werfen, wie ich damals verfallenes Obst, verfaulte Bananenschalen bewusst in die Altpapiertonne geworfen hatte. Als ich an der Spitze des Berges war, sah ich sie: meine Vorbilder, meine Idole der Nacht.
Die sich mit den Wahnsinnigen befreundet habenden Irrsinnigen lachten, tanzten wie Kinder auf der Spitze, wo wirklich kein zu Tode Verurteilter mit seinen beiden Füßen Platz finden würde. Sie waren das Bild der Erlösung von Qualen, die Metaphern von all dem Guten, wovon Vorgänger der Schrift zu schreiben wagten. Sie waren die Gleichnisse, die von Tugenden berichten wollten. Sie gingen die Treppen hinab und hinauf. Hinauf und hinab.
Ein Irrsinniger stellte einem der Wahnsinnigen das Bein und beide lachten danach über ihren stumpfen Humor. „Das Lachen über sich selbst ist ein Trost Gottes für die Imperfektion des Menschen“, schleuderte einst mein Professor der Soziologie, Tillman Allert, in die Runde der Studierenden und nun sah ich die Praxis dieses mit wunderschönen Bildern geschmückten Esprits des geistreichen Mannes. Als ich an der Spitze des Berges angekommen zu sein glaubte, erweiterte sich die Spitze zu einem Feld der Idylle, wie ich mir in meinen Kindheitsträumen das Paradies im Jenseits vorstellte. Weder Sommer, noch Winter und schon überhaupt nicht der Herbst. Die Luft roch nach Frühling, der Wind wehte nicht mehr so männlich und stürmisch, sondern wie ein Hauch Aphrodites, die sich in den Sinn gesetzt hat, den Bewohnern dieses Paradieses mit all ihrer Weiblichkeit den zierlichen Atem der griechischen Mythologie zu schenken. Die Spitze des Berges verwandelte sich zu einer riesengroßen, breiten, grünen Weide, wo die Lilien Augen hatten und mir zuzwinkerten, mich anlächelten und wo Rosen ihre Dornen schon längst in die Tiefe hinuntergeschleudert hatten.
Jedoch waren die Wahnsinnigen und die Irrsinnigen wieder viel weiter weg in meinem Bilde der Schönheit, und ich machte mich auf den Weg, sie zu erreichen. Ich rannte und rannte und rannte und war außer Atem. Es waren die Zigaretten, dachte ich mir innerlich und verstand nicht, wie die im Schritttempo laufenden Vorbilder meiner tiefen, unberührten Seite der Seele im Stile der Schildkröte meinen Spurt immer wieder abhängen konnten. Was suchte diese Fata Morgana, die eigentlich ihren Platz in der Wüste gesichert
hatte, an der Spitze eines Berges. Ich fühlte mich wie der vom Pech des Schicksals betroffene Beduine, der mitten in der Wüste vom Eisbären vergewaltigt wurde, doch dies alles geschieht doch nur in der Wüste? Was suchen all diese Komponenten der Sahara auf dem Berg meiner Fantasie? Ich setzte mich einfach hin und zündete mir die einzige Zigarette an, die ich an mein Ohr gefestigt hatte wie meinen Stift am anderen Ohr. Der erste Zug war wieder lange und genussvoll. Oder ich malte diesen ekelvollen Nikotinstängel inszenierend in meinem Kopf lustvoll aus. Ich sah meine Vorbilder auf der Weide weiterhin rennend tanzen.
Die Irrsinnigen machten aber plötzlich einen Schritt zurück und verabschiedeten sich von den Wahnsinnigen. Sie küssten einander brüderlich, drehten sich um, liefen an mir vorbei, ohne mich zu bemerken und liefen die Treppen des Berges mit Ruhe und Verstand wieder hinunter. Sie hatten Anzüge an und trugen beim Zurückgehen Krawatten. Sie lachten auch nicht mehr. Ich ignorierte die zurückkehrenden Irrsinnigen und konzentrierte mich wieder auf die Wahnsinnigen.
Ich sah in nicht allzu weiter Ferne die Klippe dieses Berges, der mal idyllisch grün, paradiesisch meinen Verstand verzierte, mal die tödliche Luft der Spitze Himalayas symbolisierte, an der der junge Dostojewski hunderte Jahre verweilen würde, anstatt dem Tod durch die Kugel begegnen zu wollen.
Das Bild verschwamm immer wieder; die Wahnsinnigen kann man sich vorstellen wie kleine Figuren auf einem Schreibtisch. Der Berg ähnelte einem Schreibtisch; ja doch, jetzt habe ich das Bild, womit ich dem Leser das Ganze noch klarer zeigen kann. Stellt euch einen Schreibtisch in Form eines Berges vor und statt der Schreibblöcke, der Bücher, die auf diesem Tisch platziert sind, laufen kleine Wahnsinnige herum und nähern sich vom einen Anfang weg dem anderen Ende des Tisches, das dann die Klippe symbolisiert. Jetzt habe ich das Bild.
Die Wahnsinnigen begannen zu rennen in Richtung Klippe. Weiterhin verfolgten meine neugierigen Augen sie neugierig und bewundernd. Sie rannten lachend. Sie bespuckten einander, machten Späße, stellten sich wieder gegenseitig die Beine. Die, die hinfielen und aufstanden, rannten noch schneller zur Klippe. Alle sprangen sie von der Klippe in den tiefen Abgrund. Ich sah hinunter. Wir waren so hoch, dass die Wolken den Abgrund kurzweilig abschirmten. Alle, aber alle sprangen runter. Ich lief zur Klippe und schaute in den Abgrund, wo sie alle auf den steinigen Boden knallten. Alle waren sie in Stücke zerrissen, das Blut der Wahnsinnigen kochte und roch bis hoch zu mir. Lauter tote, nicht mehr zu erkennende Wahnsinnige.
Als ich mit meinen Vorbildern zu trauern begann, kam ein kleiner Junge zu mir. Er ging, glaube ich oder ich vermute es zumindest, in die erste Klasse oder so.
„Onkel, hast du diejenigen gesehen, die von der Klippe sprangen und ganz hoch in den Himmel flogen?“,
fragte er mich in naivem, kindlichem Ton.
„Wie sind sie in den Himmel geflogen, mein Neffe?! Sie sind doch alle auf den Boden geknallt und gestorben. Hast du es nicht gesehen?“, erwiderte ich ihn.
„Doch, ich habe gesehen. Aus den Wolken über uns sind grüne Wellensittiche hinuntergeflogen, haben die Männer, die von der Klippe gesprungen sind, auf ihre Flügel steigen lassen und sind dann in Richtung Sonne geflogen. Du hast doch auch geschaut, Onkel. Hast du es nicht gesehen?“
„Ich schaute, jedoch sah ich nicht.“
Prompt verließe ich den Platz. Ich kam zu Hause an. Ich ging ins Bad und schaute mich im Spiegel an. Es war unmöglich, ein Kind aus diesem bärtigen, vom Haarausfall bedrohten Mann hervorzuzaubern. Demnach hatte ich nur noch eine Möglichkeit: Da ich kein Kind mehr sein konnte, entschied ich mich zum Wahnsinn. Ein Wahnsinniger werden. Ein Wahnsinniger. Also ein Wahnsinniger. Zum Teufel mit dem Verstand, dachte ich mir, wo immer er auch herkam!
Aufzeichnungen eines wahnsinnigen Kanaken
So komme ich mit dem Stift,
mir vollkommen fremder Leser, zu dir und erhebe ihn im Namen Gottes, dem ich all meine Güte verdanke. Im Namen des Einen, des Einzigen, des Barmherzigen, des Allerbarmers. Ich komme mit dem Stift in der Hand, wo ich euch auch warnen muss vor meinem mir eigen gewordenen Teufel, der meinem inneren Schweinehund immer wieder mit seinem Flüstern etwas zu essen zu geben vermag, um ihn aus dem Kerker im Erdgeschoss meiner Seele zu befreien und ihn zum Herrscher über mich zu machen.
So komme ich mit dem Stift,
mit der Hoffnung, meinem Schweinehund, seiner Schweineseite mit den unbarmherzigen Schlägen meiner Sätze den Kopf abzuschlagen und dem übrig bleiben werdenden Hund die Leine anzufertigen, damit er nur noch zu bellen versteht, weil ich dann sicher bin, dass er nicht mehr beißt. Die Zähne will ich ihm zerschlagen und keinen Maulkorb anlegen, wenn ich ihm aus dem Kerker meiner Seele hinauslasse in die weite Welt der Lebenden. Nur an der Leine wird er verstehen zu gehorchen, denn das Schicksal des Hundes ist und bleibt der Gehorsam und nicht die Herrschaft über den Menschen.
So komme ich mit dem Stift, weil meine Fäuste nicht kräftig und schlagfertig genug sind, um Muhammad Ali in den Ring zu folgen, wo er seine Gegner durch die offenste, offensivste Art der Defensive zu Boden
schlug. Meine Hände, meine Finger sind nicht geboren, die Freiheit durch Fäuste zu erreichen. Nein, sie sind geboren, um Sätze zu komponieren, Bilder zu malen mit Buchstaben, wo ich die Technik Muhammad Alis in meine Eloquenz einbaue. Ich bin der Größte, werde ich in die Menge schreien, wenn ich anfange zu schreiben wie Muhammad Ali boxte, da man auch mein Fahrrad in der Kindheit gestohlen hatte und ich bluten musste.
So komme ich mit dem Stift, weil meine Füße nicht die Eleganz eines Zinedine Zidane haben. Weil meine Glatze meinem Lande keine Weltmeisterschaft verschaffen kann. Ich werde mit Aphorismen denjenigen die Kopfnuss im Finale verpassen, die es wagen, meine Familie zu beleidigen, denn wozu die Schrift, wenn man die Ehre der Familie nicht bewahren kann? Ich werde in der 116. Minute in einem der Finalspiele den perfekten Volley verpassen, wenn ich die schöne Flanke eines Roberto Carlos bekomme, mit dem ich dann den Sieg mit den Verdammten dieser Erde, insbesondere dieses Landes feiere, weil der Triumph der Kleinwüchsigen über die Hochmütigen der schönste aller Auswärtssiege ist.
So komme ich mit dem Stift,
weil andere mit der Krone, wiederum andere mit dem Schwert kamen und ich doch keine andere Kunst der Expression kenne, womit ich meine Weisheiten schweigend in der Höhle meines Herzens aufnahm und nun bereit bin, die Mauern mit der Axt meiner Tinte zu zerschlagen, die Brücken mit der Kraft meiner Eloquenz zu bauen.
So komme ich mit dem Stift,
denn er ist das Mittel zwischen Phantasie und Wort. Er ist die Brücke vom Ich zu dir. Der Stift ist der Hund der Worte, die jedoch aus seiner Spitze den Weg auf das Papier finden. Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Seinen Hauch in meine Seele werde ich mit dem Stift in der Form geschriebener Musik, im Stile eines gemalten Bildes allen Harmonieliebhabern zu schenken versuchen.
So komme ich mit dem Stift,
als Türke und Musel und Kanake und Gesocks und Hofnarr und Abtrünniger der gutbürgerlichen Gesellschaft eurer Intellektualität. Ich komme nicht von den Museen, sondern aus den Spielotheken, wo Hartz-IV-Empfänger ihr vom Staate geliehenes Geld ihm zurückzahlen, währenddessen sie noch etwas hoffen und spielen dürfen mit dem Buche des Ras.
So komme ich mit dem Stift,
als Bewahrer der deutschen Sprache, als hier geborener und aufgewachsener Türke mit türkischen Wurzeln, dessen Wurzel ganz weit weg in anatolischen Friedhöfen verwurzelt ist. Ich bewahre, beschütze die deutsche Sprache vor all dem Kolonialismus der Anglizismen.
So komme ich mit dem Stift, ehrwürdiger Leser dieser Zeilen,(ein wenig Schmeichelei für den Leser ist immer gut für die Lesebereitschaft der Leser),
mit einer hoffentlich guten, schönen, wahren Absicht.
So komme ich mit dem Stift der Schönheit und des Wahnsinns.
Ich verneige mich symbolhaft auf der Bühne in eurem Kopf, ohne euch anzubeten wie es ein Heide vor einem Götzen tut. Nein, nur um der guten Absicht und der artistischen Pose willen.
Ich komme mit dem Stift, so höret mir doch endlich zu!
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