Beim Stöbern im Internet bin ich auf einen Beitrag von Jörg Lau gestoßen, der mich auch nach dem Lesen weiter beschäftigt hat. Es geht darin um die Integrationsdebatte. Diese sei, so der Autor vergiftet. Die Frage, die es zu lösen gelte: Wie will eine Gesellschaft zusammenleben, die aus Einwanderern und solchen besteht, die schon länger hier leben? Über die Frage, wie es in der Gesellschaft aussehen soll, solle es Debatten geben. Zur Debatte gehört Kommunikation, also Austausch, und der hält sich, da gebe ich Lau recht, in Grenzen. Der zentrale Satz: „Vergiftete Kommunikation ist eine schlechte Voraussetzung, wenn eine Gesellschaft eigentlich darangehen muss, ein neues WIR auszuhandeln. Weil man sich dann nur in wechselseitigen Beschimpfungen ergeht: Integrationsverweigerer! Rassist!“ Innerhalb dieses Rollenspiels war mein Part bislang jener des Integrationsverweigerers. Meine alte Rollenbezeichnung: Rassist.

Es herrscht Sprachlosigkeit, obwohl man, so Lau, doch ein gemeinsames WIR aushandeln müsste. Das entspricht meinen Erfahrungen. Alle Beteiligten der Debatte, wissen, dass es ein Problem gibt. Aber die Scharfmacher auf allen Seiten sorgen dafür, dass man gar nicht hören will, was der andere sagt, aber selbst beklagt, dass einem nicht zugehört wird. Besser kann man nicht Unfrieden stiften. Als „Rechter“ war die Logik für mich klar und holzhammermäßig: Entweder „die“ passen sich an – und damit ist am Ende eher Assimilation gemeint –, oder sie verlassen eben das Land. In der extremeren Form rechter Ideologie, die rein biologistisch argumentiert, geht man noch einen Schritt weiter: Anpassungsbemühungen seien gar nicht notwendig, denn jeder, der fremd ist, sollte ohnehin in seine Heimat zurückkehren. Diese Position hat kaum vermittelnde Potenziale. Aber sie ist auch so abstrus, dass sie in einer offenen Debatte leicht widerlegt werden könnte.

Die so genannten Islamisierungskritiker erscheinen auf den ersten Blick erst einmal als gemäßigter im Gegensatz zu den klassischen NS-Freaks. Das war für mich auch der Grund, auf meinem Weg in den Ausstieg, es noch einmal mit der PRO BEWEGUNG zu versuchen. Im Gegensatz zur NPD ist der geistige Bezugspunkt solcher Bewegungen, ob es sich nun um die FREIHEIT handelt, PRO NRW oder pro Deutschland, nicht das Dritte Reich. Im Gegenteil, man sei antitotalitär, so die Außendarstellung, weil man sich gegen eine totalitäre Ideologie stelle, den Islam. Außerdem stehe man für die Bewahrung der Identität. Im Gegensatz zu Lau, der von einer Identität nichts wissen will, bin ich schon der Überzeugung, dass jeder Mensch mit sich selbst identisch sein muss – jedenfalls über Phasen – und dass auch Gruppenidentitäten an sich nichts Schlechtes sind, jedenfalls, wenn sie sich nicht zu stark ins Absolute hineinsteigern.

Letztlich musste ich aber feststellen, dass der politische Beitrag der „Rechtspopulisten“, um im Bild Laus zu bleiben, die Atmosphäre doch nur vergiftet und nichts, aber auch gar nichts an den Problemen im Land löst. Ich denke schon, dass sich auch Muslime kritische Fragen zu ihrem Glauben gefallen lassen müssen (dem Islam kann man ebenso wenig eine Frage stellen wie dem Christentum). Ebenso wenig hilft es, kritische Fragen über die Folgen der Einwanderung einfach auszuklammern oder noch schlimmer zu tabuisieren. Am Ende seines Textes attestiert Lau, dass es nicht gemütlich sei in Einwanderungsländern – sie seien auf allen Seiten voller Konflikte und Ressentiments –, „Ängste und Vorbehalte, Konflikte und Ressentiments darf man nicht wegdrücken, weil sie ,der falschen Seite‘ nutzen.“ Insofern kann man den Islamkritikern nicht sagen, sie dürften diese oder jene Frage nicht stellen.

Diese Frageverbote sorgen meiner Erfahrung nach am Ende sogar noch mehr für eine Verfestigung der extremen Positionen als für deren Aufweichung. Die Frage ist eben nur, welche Antworten man findet. Als Islamkritiker kennt man eine ganze Reihe von merkwürdigen Koranversen (die es aus unserer Sicht des 21. Jahrhunderts in der Bibel auch gibt), die die angebliche totalitäre Ideologie, die sich hinter der Religion verbergen solle, belegen sollen. Aber man kennt, und auch das ist meine Erfahrung, keinen Gläubigen persönlich. Diese selektive Wahrnehmung ist konstituierend für das Feindbild Islam. Und so sorgt der gesellschaftliche Ausschluss der Islamkritiker, dafür, dass man diese selektive Wahrnehmung gar nicht mit der Wirklichkeit abgleichen muss. Der Dialog ist also nicht nur vergiftet, es findet eigentlich gar keiner statt. Der ist nämlich beendet, wenn der amtliche Stempel „Rechtsextremist“ auf der Stirn prangt. Das ist schade, denn das Konfliktpotential wird sich so immer weiter verschärfen. Stattdessen sollte man auf jede Frage eingehen, die im Raume steht.

Bedroht „der Islam“ unsere Freiheit und unsere Identität? Freiheit und Identität sind für mich wichtige Begriffe, die aber weder von der NPD noch von PRO oder PI-News verteidigt werden. Neuerdings gibt es „identitäre Gruppen“, die sich mit Masken verhüllen und in gezielten Störaktionen die „multikulturelle Gesellschaft“ bekämpfen wollen. Wenn man sich so ein Aktionsfilmchen anschaut, dann ist man genauso ratlos wie nach den Demonstrationsberichten von PRO NRW oder pro Deutschland. Wo ist da etwas von der „deutschen Identität“ zu spüren? Welche politische Konsequenz soll man denn aus den Forderungen, eine Moschee nicht zu bauen oder der Kampfansage an die „multikulturelle Gesellschaft“  ziehen? Kein Mensch hindert die Islamkritiker, ihre Werte darzustellen und vor allem zu leben. Innerhalb dieser Szene habe ich davon aber in den zwei Jahren meiner Tätigkeit nichts bemerkt.

Es ist sicher so, dass es in Saudi Arabien nicht möglich ist, als Christ bekenntnisoffen zu leben. Das bedeutet für mich, dass ich dort sicher nicht meinen Wohnsitz aufschlagen möchte. Es mag auch so sein, dass es in Deutschland Menschen gibt, denen so eine Gesellschaftsordnung vorschwebt. Mit Sicherheit kann man die Freiheit aber nicht verteidigen, wenn man sie abwürgt und Andersgläubigen das Recht auf ein aktives religiöses Leben zu nehmen versucht. Denn weder ist die islamkritische Szene bereit, die Dinge differenziert zu betrachten, noch sind weite Teile ehrlich. Denn ihnen geht es im Kern nur darum, wie der NPD, einen ethnisch oder zumindest kulturell homogenen Staat schaffen zu wollen, in dem jede Art von Anderssein als Bedrohung empfunden wird. Natürlich kann und sollte man offen diskutieren, wenn ein islamisches Zentrum, so wie in München, eröffnet werden soll.

Pro Deutschland möchte am 10. November mit einem Häuflein gegen die Errichtung des Zentrums demonstrieren, weil, so der Vorsitzende Manfred Rouhs, das Zentrum aus dem Ausland finanziert werden soll. Findet es Rouhs auch nicht gut, wenn das Goethe-Institut im Ausland die deutsche Kultur verbreitet? Wäre nicht eine passendere Demonstration für pro Deutschland ein Engagement, das sich auf die Vitalisierung der deutschen Kultur beziehen würde? Kann man überhaupt für so etwas demonstrieren, kann man Kultur verordnen? Diese Fragen schließlich leiten auf die Problematik über, die Lau zum Thema eines neuen WIR aufstellt. Merkwürdig finde ich seine eigene Position, denn bei der Integrationsdebatte muss es ja auch eine deutsche Sichtweise geben. Und da erlebt man bei Lau eine Selbstablehnung, die mich wirklich ratlos macht. Der Mann ist vier Jahre älter als ich, kann also kaum anders aufgewachsen sein. Es ist diese Gebrochenheit – die Deutschen können sich oft selbst nicht leiden –, die mich früher in meiner politischen Sozialisierung nach rechts getrieben hat. Lau schreibt: „Ich spreche also als artgerecht aufgewachsener ,Biodeutscher‘ (Aua!) aus der westdeutschen Provinz.“ Es habe in dem „dörflich-kleinbürgerlichen Milieu Westdeutschlands“ ein Umgangston geherrscht, den man heute als „rassistisch“ bezeichnen würde: „Man war stolz auf seine Vorurteile, und wer irgendetwas dagegen sagte, dass man gegen Itaker, Spanier, Türken und Griechen wetterte, hatte wahrscheinlich keinen Humor.“ Glaubt der Mann, dass es in der italienischen, spanischen, türkischen und griechischen Provinz anders ausgesehen hat?! Als sei das „Unbehagen an gesellschaftlicher Veränderung“ und das „Verfluchen der anderen“ ein deutsches Spezifikum. Bereits für die Griechen der Antike waren alle Nichtgriechen Barbaren, und in amerikanischen Großstädten sind die Gruppenidentitäten so wirr, dass schon das „falsche“ Stadtviertel das Gegenüber zum Feind macht.

Der Ethnozentrismus, den ich aus diesen Zeilen lese ist aus der gleichen Quelle gespeist, wie jener, der das Eigene als das allein Selig machende empfindet. Lau meint, der deutsche Selbsthass als Quelle der Ressentiments sei „berechtigt“. Ich finde Selbsthass ist so wenig wie übertriebene Selbstverliebtheit gesund. Wenn man Integration erreichen will, muss man Brücken bauen können. Wenn ich aber eine Brücke zu jemand anderem bauen möchte, dann geht das nur mit einem eigenen Standpunkt. Zu einem gemeinsamen WIR gehört auch, das, was mich als Deutschen ausmacht. Für Lau gibt es aber keine Identität. Es sei ein Merkmal des Lebens, nicht mit sich identisch zu sein. Es gebe keine zwei Muslime, die identisch wären. Warum immer dieses Entweder-Oder? Natürlich ist das Individuum schon per Wortsinn unteilbar, also einzigartig, und trotzdem gibt es etwas, was die Menschen verbindet. Warum sonst spricht Lau denn von einem WIR?

Man ist für Augenblicke vielleicht nur mit sich oder mit einer Gruppe identisch: Im gemeinsamen Torjubel, bei der gemeinsamen Freude oder beim gemeinsamen Gebet. Natürlich gibt es nicht den Deutschen, aber es gibt das Deutsche. Und das Deutsche verändert sich, wird angereichert durch Erfahrungen und Eindrücke. Wenn ich eine Integrationsdebatte führe und ein neues WIR diskutiere, dann bin ich durch meine Traditionen und Werte geprägt. Ich liebe die Romantik, Novalis und Eichendorff, aber auch George Simenon oder Orhan Pamuk. Ich schätze die deutsche Kultur – Bach, Beethoven, Mozart, Goethe, Schiller – und ich identifiziere mich mit vielen Dingen darin, aber ich kann damit leben, wenn andere Kulturen daneben stehen. Ich singe als Deutscher deutsche Volkslieder und muss sie nicht miefig-spießig finden. Andererseits will ich sie auch nicht anderen aufzwingen. Kultur kann man sowieso nicht zur Staatsdoktrin erheben. Um Kultur kann man höchstens werben. Kultur kann nur ein freiwilliges Plebiszit sein. Weil es aber dieses eigentlich selbstverständliche Bekenntnis zum Eigenen kaum gibt, entsteht überhaupt erst Extremismus.

Eine nicht vergiftete Kommunikation wäre es, den „Rassisten“ und „Integrationsverweigerern“ zu sagen: Kein Mensch nimmt Dir das Recht, Deine Kultur zu leben. Deine Identität, Deine Kultur wird nicht dadurch bedroht, dass es das Andere gibt, sondern nur durch Dich selbst. Deine Kultur wird nicht bedroht, indem Du auf das andere zugehst. Du wirst nicht bedroht, wenn Du Dich veränderst und mit Dir Deine Identität und Kultur. Denn Kultur ist nichts Statisches. Vor allem aber kann man nur zusammen leben, wenn man auch miteinander spricht und sich gegenseitig zuhört, aber auch, indem man Verschiedenheiten akzeptiert. Und trotz dieser Verschiedenheiten muss eine Ebene gefunden werden, wie in einer Sportmannschaft oder einem Orchester, in der gemeinsame Ziele verwirklicht werden. Das müsste das Ziel gelungener Integration sein.

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Ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er studierte Deutsch, Geschichte und Politik in Göttingen und war acht Jahre lang Lehrer an einer Waldorfschule. Als Publizist und Politiker arbeitete er viele Jahre im extrem rechten Milieu. Im Juli 2012 stieg er aus dieser Szene aus. Seitdem engagiert sich Molau in Sachen Extremismusprävention bei Seminaren, Vorträgen und in Aufsätzen. Heute ist er selbstständig für das Textbüro dat medienhus tätig.

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