Sowohl Politiker als auch Presse- und Medienvertreter sind darin bemüht, das Massaker der ägyptischen Militärdiktatur so aussehen zu lassen, als ob zwei gleichstark bewaffnete Gruppen einander wechselseitig niedermetzeln würden. Jedoch sieht die Realität anders aus: Die Demonstranten haben wochenlang friedlich gegen den antidemokratischen Militärputsch demonstriert. Bei diesen wochenlang andauernden Protesten an vielen Plätzen ist niemand zu Schaden gekommen, da diese Proteste völlig gewaltfrei, also nach demokratischen Werten und Regeln stattfanden. Ziel der Demonstranten war die Rettung der kürzlich eingeführten Demokratie in Ägypten. Sie wollten nicht hinnehmen, dass ihr Wahlergebnis annulliert wird und haben die Freilassung des Präsidenten Mursi gefordert, der mit 52{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} der Volksstimmen gewählt wurde.
Der ägyptische General Al-Sisi, der sich nach dem Putsch gleich auch selbst zum Verteidigungsminister ernannte, hat den friedlichen Demonstranten in seinen Reden immer wieder damit gedroht, mit Gewalt die Protestlager zu räumen. Als das Volk sich von diesen Drohungen nicht abschrecken ließ, ist es leider auch nicht nur bei Worten geblieben, sondern es folgten auch Taten. Al-Sisi hatte schon im Vorfeld zweimal versucht, das protestierende Volk einzuschüchtern, in dem er einige von den Demonstranten kaltblütig liquidieren ließ. Als er merkte, dass auch dieses Vorgehen nicht zum Erfolg führte, geriet er völlig außer Kontrolle und hat vor wenigen Tagen die blutige Räumung ohne Rücksicht auf Menschenleben vollzogen. Sein barbarisches Vorgehen vor den Augen der Welt endete in einem Blutbad. Es kostete bisher mehreren hundert friedlichen Demonstranten das Leben. Als diese unschuldigen Menschen starben, hatten sie höchstens Poster des ohne Rechtsgrundlage inhaftierten Präsidenten Mursi in der Hand und keine Schusswaffen. Dieses tyrannische Vorgehen der Putschisten hat weder etwas mit Demokratie gemein noch ist es mit Menschenrechten konform. Jedoch gibt es international keine angemessene Kritik für die kaltblütige Ermordung der friedlichen Demonstranten durch das Militär.
Das kurze Gedächtnis der „Weltgemeinschaft“
Regierungsvertreter führender Nationen sind auffällig kleinlaut in ihren Äußerungen zu den Gräueltaten am ägyptischen Volk. Es geht sogar soweit, dass der Umsturz des ägyptischen Präsidenten von vielen Regierungsvertretern bis heute nicht einmal als Militärputsch betitelt wurde. Das Ganze begann schon damit, dass Gründe für den antidemokratischen Umsturz des ägyptischen Präsidenten gesucht wurden, um dieses Treiben auf diese Weise vor der Weltöffentlichkeit zu legitimieren. Der Militärputsch wurde von vielen demokratischen Vorzeigestaaten nicht einfach nur hingenommen, sondern auch begrüßt. Es mag ironisch klingen, aber nach Auffassung dieser Staaten war der antidemokratische Umsturz des grad mal vor einem Jahr demokratisch gewählten Präsidenten Mursi notwendig, um auf diese Weise wieder zur Demokratie in Ägypten zurückzukehren. Deshalb wurde die durch die Putschisten gebildete Übergangsregierung ebenfalls sofort von diesen selbsternannten Vorzeigedemokraten anerkannt. Ihr aus Sicht der Demokratie sinnfreies Vorgehen versuchten sie dadurch in ein besseres Licht zu rücken, in dem sie der Übergangsregierung immer wieder nahe legten, so schnell wie möglich die Neuwahlen durchzuführen. Als ob der vor einem Jahr gewählte Präsident Mursi nicht in einer demokratischen Wahl von der Mehrheit des gleichen ägyptischen Volkes gewählt worden wäre. Bei solchen Forderungen der Regierungsvertreter entstand der äußerst naive Verdacht, dass sie unter Gedächtnisschwund leiden müssten.
Um das Vorgehen konkret vor Augen zu führen, möchte ich einige Beispiele aus der Praxis nennen. Der US-Präsident Barack Obama verurteilt die Gewalt in Ägypten, er scheut aber einen harten Kurs gegen die autoritäre Führung in Kairo. Ein Armeemanöver mit Ägypten wird abgesagt. Die jährliche Militärhilfe von 1,3 Milliarden Dollar bleibt hingegen unangetastet und wird weiter fließen. Diese zögerliche Haltung sorgt dafür, dass auch das Blut der friedlich protestierenden Menschen weiterhin in Strömen fließt. Ganz zu schweigen von dem US-Außenminister Kerry, der vor wenigen Tagen noch das ägyptische Militär lobte für die „Wiederherstellung der Demokratie“. Das muss Al-Sisi, der den Putsch in Ägypten durchgeführt hatte, soviel Mut und Bestätigung gegeben haben, dass er wenige Stunden später die gewaltsame Räumung der friedlichen Protestlager ohne jegliche Rücksichtnahme auf Menschenleben anordnete.
Schauen wir nach Europa. Die europäischen Regierungsvertreter führen nach Angaben der Presse immer wieder Telefonate und ziehen sich in Beratungsgespräche zurück, um eine gemeinsame Position festzulegen und ihr Vorgehen abzustimmen. Jedoch konnten sie bei keinem dieser Gespräche klare Worte finden. Anscheinend war der Schock über den Militärputsch und die Ermordung friedlicher Demonstranten so tiefgreifend, dass es den europäischen Politikern die Sprache verschlagen hat. Denn bisher wurden lediglich Statements über die wachsende Besorgnis abgegeben. Es wurde bei jeder Gelegenheit betont, dass der Lösungsfindungsprozess gewaltfrei erfolgen müsse. Und es gab zahlreiche Aufrufe an die beteiligten Konfliktparteien damit sie zur Vernunft und Dialog zurück finden. Können solche Äußerungen eigentlich ernst gemeint sein, wenn in ihnen noch nicht einmal zwischen Opfer und Täter getrennt wird, so dass alle Konfliktparteien über einen Kamm geschert werden. Fühlt sich die Militärdiktatur in Ägypten durch diese diplomatischen Floskeln in die Enge getrieben oder hat sie vielmehr das Gefühl, bei ihren Gewaltexzessen am ägyptischen Volk noch einen Zahn zulegen zu dürfen? Nachdem die Golfstaaten, allen voran die Saudis, Ägyptens Militärdiktatur Milliarden-Hilfen zugesprochen hatten, ist das Einfrieren der wenigen Millionen Hilfsgelder europäischer Staaten mehr als lächerlich und höchstens nur ein taktisches Agieren mit der fehlenden ernsthaften Absicht, eine Wirkung dadurch erzielen zu wollen.
Medienempörung über Erdoğans Tränengas größer als über Al-Sisis Massaker
Einzig und allein die Regierungsvertreter der Staaten Katar und Türkei haben den Militärputsch beim Namen genannt, die Militärdiktatur auf das Schärfste verurteilt, die Anerkennung der Übergangsregierung verweigert und die sofortige Wiederherstellung der Demokratie durch Rückgabe der Regierungsmacht an den demokratisch gewählten Mursi eingefordert.
Richten wir unseren Blick auch mal in die Presse- und Medienlandschaft. Die Berichterstattungen über Ägypten sind keineswegs objektiv. Denn auch die sonst angeblich so auf humane Werte bedachten Journalisten und Autoren verschiedener Nachrichtensender schlagen plötzlich gegenüber der Militärdiktatur sehr milde Töne an. Anstatt hier das Massaker zu kritisieren, wird vielmehr versucht, die friedlich Protestierenden als potenzielle Terroristen darzustellen. Dabei bedient man sich schon von Anfang an immer wieder des mittlerweile völlig beliebig und inhaltslos gewordenen Begriffs „Islamisten“, die allerdings dem Verständnis des deutschen Durchschnittsbürgers nach muslimische Terroristen sein sollen. Nicht umsonst waren die westlichen Medien jahrelang mit ihren Berichterstattungen darin bemüht, die Islamophobie in die westliche Gesellschaft zu streuen, jetzt können sie die Früchte ernten. Es ist so, als ob sie zwischen den Zeilen sagen wollen würden, dass Menschen zwar sterben, aber es handelt sich dabei doch bloß um die zuvor deklarierten Sündenböcke der Menschheit, Islamisten eben. Die Betonung, dass diese Menschen völlig gewaltfrei seit über 40 Tagen protestiert hatten, fehlt in vielen Berichten. Es wird vielmehr nach Gründen gesucht, die das Vorgehen der Militärdiktatur rechtfertigen. Um von dem eigentlichen Massaker abzulenken, wird immer wieder betont, dass nach der neuesten Stürmung der Protestlager Kirchen in Brand gesetzt wurden. Bei der Nennung der Zahlen über die Todesopfer wird nicht einmal konkretisiert, ob es sich um Anhänger der Muslimbrüder handelt oder nicht, damit so der einseitige Gewalteinsatz der Militärdiktatur von den westlichen Völkern vorerst unentdeckt bleibt, mit dem Ziel, keine Empörung in den westlichen Gesellschaften aufkommen zu lassen. Das Bemühen von Presse- und Medienvertretern, die Gräueltaten der Militärdiktatur in Ägypten zu relativieren, ist nicht zu übersehen. Als Beleg für die Doppelzüngigkeit in den Berichten möchte ich folgendes aufführen: Herr Erdoğan wurde kürzlich aufgrund seiner Tränengaseinsätze gegen Protestierende deutlich schärfer kritisiert als der Putschist Al-Sisi, der bereits jetzt schon mehrere hundert Menschenleben auf seinem Gewissen hat. Jeder kann gerne den Aufwand betreiben, um diesen Vergleich selbst anzustellen.
Eines Tages wird auch Al-Sisi seine Schuldigkeit getan haben und – unfreiwillig – gehen können
Das bisherige Vorgehen vieler westlicher Staaten spielt dem Militärregime ohne Zweifel in die Hände, denn auch auf politischer Ebene bedeutet kleinlaut zu sein oder gar zu schweigen die Akzeptanz einer Sache. Ich stelle die These auf, dass der blutrünstige General Ägyptens ohne internationale Zustimmung niemals soweit hätte gehen können. Deshalb sind auch die Demokratievertreter, welche die Haltung „wir dürfen es nicht gutheißen, aber wir drücken mal beide Augen ganz fest zu“ eingenommen haben, mitverantwortlich und mitschuldig an dem Gemetzel in Ägypten. Die Demokratiemaske dieser Staaten, die in Bezug auf Menschenrechte und Demokratie als Vorzeigestaaten gelten und anderen Ländern Lehrstunden erteilen, ist durch dieses Verhalten noch einmal gefallen. Zugleich möchte ich auch prophezeien, dass die gleichen Regierungsvertreter dieser Vorzeigestaaten versuchen werden, ihre Maske wieder aufzusetzen, in dem sie das Massaker ebenfalls aufs Schärfste verurteilen. Das machen sie aber erst dann, wenn ihr eigener Wille den des ägyptischen Volkes verdrängt hat. Dann wird der Ast, auf den sich Al-Sisi begeben hat, abgesägt. Genauso verlogen und unmoralisch haben sie es bisher mit zahlreichen anderen Diktatoren wie Mubarak, Gaddafi oder Saddam Hussein gemacht, um so ihre Hände immer wieder reinzuwaschen. Solange diesen Diktatoren nach der Pfeife der westlichen Mächte getanzt haben, konnten sie das eigene Volk vor den Augen der Welt leiden lassen, teilweise sogar ausrotten. Es wurde einfach darüber hinweggesehen. Diese Tyrannen wurden weiterhin eifrig mit Waffen beliefert. Die enge Zusammenarbeit oder genauer gesagt die Ausnutzung dieser Monarchen durch westliche Politiker ging immer nur so lange, bis entweder die Volksaufstände in diesen Ländern eine ernsthafte Gefährdung für diese Diktatoren bedeuteten oder diese Diktatoren eigenwillig wurden und ihren Gönnern nicht mehr gehorchten. Dann plötzlich wurden diese menschenverachtenden Tyrannen fallengelassen und mit den schärfsten Worten verurteilt. Diese Doppelmoral westlicher Regierungsvertretern hat leider nicht viel mit Menschenrechten gemein und kommt eher der – der Bibel entlehnten – Redewendung „Wolf im Schafspelz“ gleich.
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