Foto: Stambouliote / Wikimedia.org

Frankfurt und Istanbul liegen zwar 2.300 km und  2,5 Std. Flugstunden voneinander entfernt, aber die ähnlichen Formen der „Kapitalismuskritik“, die sich in diesen Tagen hier wie dort artikulieren, zeigen, dass Ideen und Gedanken keine Entfernungen kennen.

Beide Finanzmetropolen gehören zu demokratischen Staaten, die seit zwei oder drei Legislaturperioden von starken konservativen Führungsfiguren regiert werden. Angela Merkel, die unangefochtene Regentin, ist im Kabinett genauso gefürchtet wie Erdoğan in Ankara. Kabinettsumbildungen werden, wenn nötig, von beiden Parteivorsitzenden in Eiltempo vorgenommen. Sowohl Merkel als auch Erdoğan genießen persönlich in der eigenen Bevölkerung ein hohes Maß an Ansehen, was sich in regelmäßigen Erhebungen in den Beliebtheitswerten niederschlägt.  Die Opposition schwächelt und die globalen Herausforderungen, vor denen die Staaten stehen, sind ähnlich.

Auch wenn die politische und wirtschaftliche Entwicklung der beiden Länder in vielen Teilen nicht vergleichbar ist, kann man zumindest in der Innenpolitik diese Parallelen gut erkennen.

Zu viel des Guten, könnte man jetzt sagen und zu den Vergleichen einen Schlusspunkt setzen.

Denn zwischen Erdoğans emotionalem und selbstbewussten Auftreten und Merkels kühler und nüchterner Art, Politik zu betreiben, liegen ja wohl Welten. Ja, diesbezüglich mag vielleicht ein Unterschied sein, aber es ist nicht der Interessanteste.

Es wird erstaunlich interessanter, wenn man die mediale Berichterstattung in Deutschland über beide Politiker bei ähnlichen zeitnahen politischen Ereignissen in Frankfurt und in Istanbul vergleicht.

Die von Blockupy in Frankfurter Bankenviertel organisierte Versammlung mit ca. 10.000 Teilnehmern wurde von den Einsatzkräften der Polizei gewaltsam mit der Begründung, es befänden sich Linksextreme unter den Teilnehmern, aufgelöst.

Der Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken mit der Bilanz von 100 verletzten Demonstranten wurde in vielen Teilen den Medien als “grundlose Brutalität” kritisiert.

Weder hatte man in der Berichterstattung als Leser das Gefühl, es gehe um das Krisenmanagement der Frau Merkel, noch wurde das Ganze als ein Volksaufstand gegen einen autoritären Machthaber à la Mubarak gesehen. Es schien so, als ob die EU, die Bundesrepublik, die Polizei und das kritisierte Krisenmanagement in Euro-Raum nicht im Verantwortungsbereich der Kanzlerin lägen. Schuldzuweisungen und Kritik an ihrer Person? Fehlanzeige.

 

Irrationaler Antikapitalismus hier wie dort

Auch die Istanbuler Blockade-Versammlung, die ursprünglich eine Protestaktion gegen die Errichtung eines Einkaufszentrums in Istanbuler Stadtteil Taksim sein sollte, wurde von den Istanbuler Einsatzkräften aufgelöst.

Kritisiert wurde auch hier, wie im Falle Frankfurts, eine unverhältnismäßige Gewaltanwendung seitens der Polizei. Die Protestbewegung, die in diesem Zusammenhang die Fällung von 12 Bäumen verhindern sollte, formierte sich zu einer “antikapitalistisch-revolutionären” Bewegung.

Die Kommunistische Partei, die Revolutionäre Linke, die Arbeiterpartei und sogar die größte Oppositionspartei CHP, die zuvor übrigens in dem Stadtrat dem kritisiertem Bau des Einkaufszentrums zugestimmt hatte, haben unter dem gemeinsamen Nenner “Kapitalist Erdoğan” eine städteübergreifende Protestaktion begonnen.

In weiten Teilen der deutschen Medien wurden jedoch diese Ereignisse, im krassen Gegensatz zur Frankfurter Protestaktion, als ein Volksaufstand gegen einen autoritären Führer im Stile Mubaraks, als ein “Türkischer Frühling” bezeichnet. Von einem „Despoten“, einem, „korrupten, neoliberalen Turbokapitalisten“, „religiösen Fundamentalisten“ bis zu einem Politiker, dessen Politik die Schwachen “gnadenlos” zurücklasse, reichte die Palette der teilweise außerordentlich selbstgerechten und im kolonialistischen Sprachduktus gefassten Bezeichnungen.

Es scheint, als hätten, wenn es um da Thema Türkei geht, einige Kommentatoren ihre Gemüter und Emotionen nicht mehr im Griff.

 

Wenn zwei das Gleiche tun…

Aus dem Textauszug von Spiegel Online, “Aufstand gegen Erdogan: Türkischer Frühling” verfasst von Maximilian Popp und Oliver Trenkamp, lässt sich beispielhaft herauslesen, wie sehr deutsche Journalisten dazu neigen, sich mit Blick auf die Türkei in einen unkontrollierten Rausch der Emotionen hineinzusteigern:

“Doch die Bilder dieser Tage wird er nicht wieder loswerden. Sie werden ihn bis ans Ende seiner Karriere verfolgen. Er kann einen dritten Flughafen bauen oder einen zweiten Bosporus. Er kann die Olympischen Spiele nach Istanbul holen und sich im kommenden Jahr nach elf Jahren als Premier zum Staatspräsidenten küren lassen. An die Tage, als seine Polizisten friedliche Demonstranten niederknüppelten, werden sich die Menschen in der Türkei erinnern.”

Ist es, wenn man schon so auf die Pauke haut, wirklich unangebracht, die Frankfurter Ereignisse von dieser Art emotionaler Berichterstattung auszuschließen? Um zu veranschaulichen, wie nur durch Zugabe einer Extraportion “Türkei-Leidenschaft” der Blockupy-Polizeieinsatz kommentiert werden könnte, bedarf es keiner allzu großen Anstrengung. 

Hier ein Vorschlag:

“Doch die Bilder dieser Tage wird sie nicht wieder loswerden. Sie werden sie bis ans Ende ihrer Karriere verfolgen. Sie kann einen dritten Berliner Flughafen bauen. Sie kann die Olympischen Spiele nach Berlin holen und sich im kommenden Jahr nach 8 Jahren wieder zur Kanzlerin küren lassen. An die Tage, als ihre Polizisten friedliche Demonstranten niederknüppelten, werden sich die Menschen in Deutschland erinnern.”

Natürlich ist man nicht so naiv, um nicht zu wissen, dass all diese Wortwahl mit Bedacht gewählt ist und dem Leser eine Meinung übermitteln oder besser gesagt nach dem Prinzip „We report, you obey“ aufdrängen soll, jedoch bestätigt es auch den größten Unterschied zwischen Merkel und Erdoğan, nämlich die selektive mediale Bewertung.

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Jahrgang 1976, Unternehmer und Blog-Autor. Studiert nebenberuflich Politikwissenschaft an der FernUniversität in Hagen. Er lebt in der Ruhrgebietsstadt Essen.

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