Der arabische Frühling, insbesondere dessen Beginn in Tunesien, wird stets mit einer Persönlichkeit in Verbindung gebracht: Mohamed Bouazizi. Er gilt für die arabische Welt als mutiger Auslöser der Revolution und wird heute noch an vielen Orten als Held verehrt.
„Ein 26-jähriger Gemüsehändler übergoss sich mit Benzin und zündete sich vor dem öffentlichen Verwaltungsgebäude in Sidi Bouzid an. Dies entflammte die Situation in Tunesien, die Aufstände der Bevölkerung gegen die autoritäre Regierung von Ben Ali wurden massiver und so kam es zum Arabischen Frühling.“
Dies ist die geläufigste Zusammenfassung der arabischen Revolution, die hauptsächlich in Tunesien begann und anschließend in anderen arabischen Ländern stattfand. Die Flucht des tunesischen Ex-Präsidenten Ben Ali am 14. Januar 2011 sehen die Tunesier heute noch als Erfolg ihrer Demonstrationen. Doch die Persönlichkeit Bouazizis nahm stets eine wichtige Rolle innerhalb des Arabischen Frühlings ein.
Diesen Mann als heldenhaftes Symbol zu betrachten, gilt für die arabischen Bürger als selbstverständlich, jedoch interessiert uns auch ein anderer Aspekt: Wie begann der arabische Frühling überhaupt und welche Bedeutung hat der Tod von Mohamed Bouazizi für die Regeneration der Gesellschaft in Tunesien und die am Arabischen Frühling beteiligten Gesellschaften?
Zunächst einmal sollte man sich die Lage in Tunesien im Dezember 2010 vor Augen führen: Das Regime Ben Alis wird vom Volk als autoritär und korrupt empfunden. Die tunesischen Bürger sind im Allgemeinen mit der allgegenwärtigen Stagnation unzufrieden und beschweren sich über die wirtschaftliche Lage und die hohen Lebensmittelpreise, ebenso sieht man einen Anstieg bei den Energiekosten.
Auch sind negative Entwicklungen im Bereich Bildung und Arbeitsmarkt sichtbar: Langfristig betrachtet reden Experten über schlechte Jobperspektiven für die heranwachsende Jugend, was im Prinzip als eines der größten Probleme wahrgenommen wird. Auch werden die Proteste stets von der Regierungspolizei gewaltig niedergeschlagen und somit universelle Menschenrechte verletzt, wodurch eine insgesamt ungünstige soziale Lage in Tunesien entsteht.
Mohamed Bouazizi und die Phase der Proteste
In dieser depressiven Phase wird einem Gemüsehändler namens Mohamed Bouazizi – unabhängig von den aktuellen Ereignissen – sein Wagen mit Obst- und Gemüseprodukten durch die Polizei mit der Begründung beschlagnahmt, er habe keine Genehmigung für den Verkauf auf dem Markt.
Nach mehreren erfolglosen Beschwerden bei der Stadtverwaltung und auch Misshandlungen auf der Polizeiwache entzündet er sich am 17. Dezember 2010 vor einem öffentlichen Verwaltungsgebäude im Zentrum Tunesiens und stirbt einige Tage später im Krankenhaus.
Und schlagartig wird sein Fall zum einzigen Höhepunkt in den Medien der arabischen Länder: Über soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook verbreitet sich die Nachricht im ganzen Land und bekannte arabische Sendungen wie Al-Dschasira berichten über diesen Vorfall. Kurz darauf nehmen die Proteste an Heftigkeit zu und sorgen somit für den Rücktritt Ben Alis: Diesen Erfolg sehen die Bürger heute noch in der Persönlichkeit Bouazizis begründet, er gilt als Held der arabischen Revolution.
Die darauf folgenden Ereignisse zeigen deutlich, welche wichtige Bedeutung der Tod Mohamed Bouazizis für die arabischen Gesellschaften und auch für die westlichen Länder innehat: Nach diesem „demokratischen Helden“ wird ein Platz in Tunis benannt, ebenso geht der vom Europäischen Parlament verliehene Sacharow-Preis für geistige Freiheit im Jahr 2011 posthum an Bouazizi, während er auch von der „Times“ zur „Person of the Year 2011″ ernannt wird.
Folgen des Selbstmordes und der Werther-Effekt
Auf der anderen Seite jedoch wird in islamischen Gegenden über die Selbstmordtat Bouazizis gesprochen und debattiert, inwiefern der Suizid im islamischen Kontext akzeptiert werden kann. Deshalb betonen einige Familienangehörige Mohameds stets, dass die Verbrennung nur ein Unfall sei. Ein Nachteil dieser Tat ist zweifellos der uns bekannte Werther-Effekt, denn auch in anderen Ländern werden nach diesem Ereignis Proteste mit Verbrennungen und Selbstmordversuchen festgestellt.
In diesem Kontext betrachte man auch die interessante Aussage vom französischen Soziologen Durkheim über Selbstmord: Seiner Theorie nach beinhalte ein Selbstmord auch soziale Aspekte, beispielsweise sei er keine individuelle Handlung, sondern eine aus gesellschaftlichen und politischen Phänomenen resultierende Tat, wodurch eine Umformung innerhalb der Gesellschaft stattfinden könne.
Dieses Phänomen taucht auch im Fall Bouazizi auf: Durch seinen Tod beginnt eine neue Phase von Aufständen, die Regierung tritt zurück und das Volk erreicht somit sein Ziel: Eine Regeneration, den Beginn eines neuen Zeitalters mit besseren Lebensumständen, in welchem die Bürger in Gerechtigkeit zusammenleben können und die tunesische Jugend neue Zukunftsperspektiven erhält.
Deshalb gilt Mohamed Bouazizi als Symbol für die tunesische Gesellschaft, die durch seinen Selbstmord wieder „zum Leben erweckt“ wurde. Diese Erneuerung dient auch gleichzeitig als Vorbild für andere arabische Gesellschaften, die ebenso – wie das tunesische Volk – ihr autoritäres Regime durch legale Demonstrationen stürzen konnten.
Auch für die westlichen Gesellschaften gilt dieser Fall als Funke für ein neues demokratisches System auf der arabischen Halbinsel: Durch Medien konnten wir von Europa aus die Ereignisse im Arabischen Frühling verfolgen, uns wurde deutlich, wie viel der Tod eines normalen Bürgers verändern kann.
Der Tod eines normalen Bürgers als Auslöser für die arabische Revolution
Anhand dieser Aspekte entsteht folgendes Image vom arabischen Frühling: Ein Gemüsehändler – als Symbol für die tunesische Jugend und die arabischen Gesellschaften – begeht eine Tat, durch die Tunesien und andere Länder der arabischen Halbinsel hinsichtlich ihrer sozialen Struktur reformiert werden. Auch auf internationaler Ebene kommt es zu Reaktionen jener Länder, welche die arabische Revolution stets mitverfolgt haben: Lob, Kritik und Versprechen bezüglich zukünftige Unterstützung.
Vor allem in Frankreich widerspiegelt sich das durch die Benennung eines Ortes im 14. Pariser Arrondissement, das zeigt, wie deutlich seine Tat im Mittelpunkt der Geschehnisse stand: Der tunesische Bürger Mohamed Bouazizi gilt als Held der tunesischen Gesellschaft und steht heute mit goldenen Buchstaben in der arabischen Geschichte!
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