Die Grünen-Politikerin Claudia Roth machte vor einigen Tagen eine überaus verächtliche Äußerung über Flüchtlinge, die in der Flut von Pressemeldungen nur wenig Beachtung fand. Roth sprach sich für die Aufnahme von „verwertbaren“ Flüchtlingen aus. Damit drückte die ehemalige Vorsitzende der Grünen und derzeitige Vizepräsidentin des Bundestags ein Gefühl aus, das nicht gerade menschlich zu sein scheint. Die Grünen, die sich seit ihrer Gründung den sogenannten „post-materialistischen“ Zukunftsthemen wie Gender (Gleichstellung von Mann und Frau), Pazifismus (Frieden) Anti-Atom (Ökologie) und Multikulturalismus (Migration/Integration) gewidmet haben, gleiten immer weiter in die interessengeleitete Realpolitik, die eher rationalistisch ist und leider auch oftmals erbarmungslos, populistisch und unmenschlich sein kann. Die Zahl der sogenannten „Transatlantiker“ in der Partei, die für eine offensive, um nicht zu sagen aggressive, Außen- und Sicherheitspolitik stehen, nimmt bei den Grünen seit ihrer Gründung stetig zu. Die antitürkischen Verlautbarungen der letzten Wochen von einigen einflussreichen Funktionären der Grünen sind nur ein Beispiel für den Niedergang der Moral und humanistischen Idealen bei Teilen der Grünen und ihrer Parteiführung. Denn mit dem Begriff der „Verwertung“ bzw. „Verwertbarkeit“ von Menschen lassen sich nun einmal sehr leicht rassistisch-nationalsozialistische Wertkategorien wie „wertvoll“ und „minderwertig“ assoziieren. Doch könnte man die Flüchtlingskrise nicht auch als eine Chance betrachten?
Flüchtlingskrise kann Vielfalt vergrößern
Die Flüchtlingsproblematik kann sowohl außenpolitische wie auch innenpolitische Chancen haben. Außenpolitisch sind folgende Vorteile zu nennen: Wir können die Flüchtlinge temporär unterstützen und ihnen die westliche Demokratie sowie unsere Werte und Normen näher bringen. Nachdem es wieder Stabilität in den jetzigen Krisengebieten gibt, könnten genau die zu uns geflohenen Menschen als sog. „Botschafter der Demokratie“ wichtige Funktionen in ihrer Heimat übernehmen und eine Brücke in den Nahen- und Mittleren Osten oder nach Afrika bilden. Mit dieser „soft power“ könnte Deutschland im „Konzert der Mächte“ mehr erreichen als mit einer offensiv-aggressiven Außenpolitik. Genau deshalb kann die derzeitigen Flüchtlingskrise ebenso als Chance begriffen werden. Denn jede Krise ist auch immer eine Chance. Mit dieser mentalen und gelassenen Einstellung fahren wir alle besser als wenn wir uns mit Angst und Repressionen verrückt machen. In diesem Zusammenhang sind Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte besonders schädlich für die Reputation Deutschlands in der Welt. Ein moderner und dynamischer Staat, der aus Exporten und zunehmend auch vom Tourismus lebt, muss weltoffen und tolerant sein. Er muss Vielfalt als Chance sehen und nutzen können. Nicht nur außenpolitisch sind die Flüchtlinge eine Chance für Deutschland. Auch innenpolitisch und binnenwirtschaftlich sind Einwanderer bereichernd: Die Flüchtlinge, die nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren möchten und sich im Laufe der Zeit in Deutschland eingliedern, sich gesellschaftlich-sozial, politisch, kulturell-sportlich oder wirtschaftlich-unternehmerisch engagieren, können auch eine wichtige Stütze für unsere Gesellschaft sein.
Neue Impulse für das Land
Große Unternehmensmanager wie Daimler-Chef Dieter Zetsche sprechen sogar davon, dass diese – oft hochmotivierten – Flüchtlinge eine Chance für die wirtschaftliche Entwicklung und „Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder“, wie die damaligen Gastarbeiter in den 1950er und -60er Jahren, sein können. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) gebe es derzeit laut Studien 40.000 unbesetzte Lehrstellen. Diese Ausbildungsplätze können zum Teil mit Flüchtlingen besetzt werden. Außerdem können unsere zukünftigen Renten nur stabil bleiben, wenn auch genügend Beitragszahler, die derzeit in großem Maße fehlen, in die Kassen einzahlen. Die Alternative wäre, dass wir für eine ausreichende Rente bis zum 75. oder 80. Lebensjahr arbeiten, falls wir denn überhaupt so lange leben. Zudem sind heute schon bestimmte Tätigkeitsbereiche wie in der Pflege extrem unterbesetzt. Die Branche ist händeringend auf der Suche nach Hilfskräften. Ich bin gerne bereit, weniger zu arbeiten, wenn dadurch ein Flüchtling eine Arbeit bekommt. Ich bin ferner bereit, mehr Sozialabgaben zu zahlen, wenn Flüchtlinge dadurch Schutz und Chancen in Deutschland bekommen. Kurz: Ich bin gerne bereit, zu teilen und abzugeben. So wurde ich erzogen. Andere Menschen im Land und besonders die, die nur an das Vermehren ihres Vermögens denken, dürften ebenfalls das Teilen praktizieren – lernen.