Foto: Hamdi Gökbulut

Kommentar zum Beitrag „Doppelte Staatsbürgerschaft erleichtert Kriminalität“ von Heinz Buschkowsky 

Heinz Buschkowsky,

selten war ich mir meines Handelns bewusster als in eben diesem Moment, in dem ich Sie weder als einen „lieben Genossen“, noch als einen „sehr geehrten Herren“ anspreche. Denn während das erstere schlichtweg gelogen wäre, wäre das letztere in Heuchelei kaum zu übertreffen.

Ebenfalls selten habe ich mich mehr als in diesen Tagen geschämt, 1.) ein SPD-Mitglied zu sein und 2.) ein Deutscher zu sein. Ein Deutscher mit einem zweiten, türkischen Pass, versteht sich.

Doch eines muss man Ihnen lassen: Immerhin haben Sie es nicht geschafft, Thilo Sarrazin in seinen menschenverachtenden Aussagen zu übertreffen. Noch nicht! Strengen Sie sich an!

Was ich in diesem Text hier machen will? Ganz einfach: Ich lasse einige Ihrer Aussagen aus Ihrer Kolumne vom 06.02.2013 noch einmal auf meiner Zunge zergehen. Aber diesmal schreibe ich mein verbal Erbrochenes sofort nieder, statt leer in den Raum hineinzubrüllen.

Immerhin sind Sie seit einiger Zeit ja erfolgreich darin, Erbrochenes niederzuschreiben und es dann gut zu verkaufen. Warum sollte nicht auch ich es mal versuchen?

Na dann fangen wir mal an:

Sie schreiben über einen mutmaßlichen Haupttäter im Zusammenhang mit einem brutalen Tötungsdelikt, der sich in die Türkei abgesetzt hatte und später die deutsche Staatsbürgerschaft ablegte, weswegen er nicht mehr nach Deutschland ausgeliefert werden kann.

Ihre Aussage dazu:

„Der Spott dieses Typen und unsere Ohnmacht lassen mich über Sinn oder Unsinn der doppelten Staatsangehörigkeit nachdenken.“

Nun, diese Pauschalisierung und Ihre offensichtliche billige Polemik lassen mich über Sinn oder Unsinn der Relevanz Ihrer Aussagen zu derart ernsten Themen nachdenken.

Auch Ihnen dürfte bekannt sein, dass der Angeklagte nun auch in der Türkei per Haftbefehl gesucht wird. Dies zu verschweigen und dadurch den Eindruck zu erwecken, dass er der Justiz entkommen würde, ist eine Frechheit. Übrigens schreibt selbst die „Welt“ am 06.03.13: „Bei einer Verurteilung in der Türkei könnte dem Mann eine höhere Strafe drohen als in Deutschland, auch weil dort das Jugendstrafrecht nicht angewendet wird.“ Die deutsche Justiz hingegen hat weder eine Anklage wegen Mordes noch wegen Totschlages erhoben. Gut, konnten Sie damals noch nicht wissen. Wäre aber nicht allzu schwer zu erahnen gewesen. Hätte sich aber nicht so gut für Stammtischgepoltere geeignet. Sei’s drum.

Später schreiben Sie noch:

„Die Begehrlichkeit nach mehreren Pässen muss andere als Reisegründe haben. Es kann Rosinenpicken sein, um hier oder dort Vorteile im Sozialsystem, bei der Krankheits- und Altersversorgung oder beim Aufenthaltsrecht abzugreifen.“

Logisch, dass Ihrem Pauschalurteil ein Generalverdacht folgt. Mit einer differenzierten Analyse dieser Thematik hat das natürlich nichts zu tun. Aber was kann man auch schon erwarten von jemandem, der sich auf das BILD-Niveau herabgelassen hat? Und schon wieder sind es die bösen Ausländer, die sich wie Zecken an unsere Sozialsysteme klammern und diese aussaugen. Dass es eigentlich um die Zugehörigkeit, Identität und Persönlichkeitsbildung von Hunderttausenden jungen Menschen geht, ignorieren Sie schlichtweg. Offenbar weil Sie als Befürworter des Kindergartenzwangs ab dem 1. Geburtstag ohnehin die staatlich genormte Einheitspersönlichkeit anstreben, sodass das Denken und Fühlen von Oben abgenommen wird.

„Wozu braucht ein normaler Mensch eigentlich zwei oder gar noch mehr Pässe? Ich hatte bisher immer nur einen.“

Jetzt sind Sie normal und Menschen mit zwei Pässen nicht!?

„Er sagt ja auch nur, wer ich bin und aus welchem Land ich komme.“

Meine Mutter ist in der Türkei aufgewachsen und mein Vater in Deutschland.

Wer ICH bin? – Deutschtürke!

Aus welchem Land ICH komme? – Aus Deutschland UND aus der Türkei.

Ich trage beide Zugehörigkeiten in mir. Ich spreche beide Sprachen auf muttersprachlichem Niveau. Ich lebe beiden Kulturen entsprechend.

Wenn ich bei alten Menschen zu Besuch bin, küsse ich aus Respekt den Handrücken ihrer rechten Hand und lege anschließend meine Stirn darauf. Wenn ich alte Menschen im Bus sehe, stehe ich auf und biete ihnen meinen Sitzplatz an.

Doch wenn ich mich mit jemandem verabrede, bin ich verärgert, wenn der andere mehr als zehn Minuten zu spät kommt – egal wie alt er oder sie ist.

Ihrer Logik folgend bin ich sowohl Deutscher als auch Türke.

„Mehrstaatlichkeit erleichtert Kriminalität und dient denen, die Unrechtes im Schilde führen.“

Ach so! Daher weht der Wind!

Bravo! Sie bieten jedem Sachbearbeiter eine Steilvorlage dafür, jeden, der die deutsche als seine zweite Staatsbürgerschaft beantragt, wie einen Kriminellen zu behandeln.

Wenn ich an das Stichwort „kriminelle Ausländer“ dachte, kam mir bislang – von den Politikern demokratischer Parteien – als erstes Roland Koch in den Sinn. Ab jetzt denke ich als erstes an Sie. Versprochen!

„Viele Frauen und Kinder haben schon im Land der zweiten Staatsbürgerschaft ihres Mannes oder des Vaters ihrer Kinder plötzlich bitter erleben müssen, dass Familienrecht ganz legal auch Tyrannei und Leibeigenschaft bedeuten kann.“

Samma, geht’s noch!? An Ihrem Beispiel haben wir in den letzten Wochen bitter erleben müssen, wie unter dem Deckmantel der Sozialdemokratie dümmste diskriminierende Aussagen als ernstzunehmende Standpunkte gehandelt werden können.

Und hören Sie endlich auf, den Frauen- und Kinderschutz als Trojanisches Pferd zur Legitimation Ihrer Xenophobie zu benutzen. Das gehört sich nicht und diese Masche zieht auch nicht mehr! Abgesehen davon, dass man alleine aus den letzten Wochen locker auf Anhieb drei oder vier schwere Verbrechen im erweiterten Verwandtschaftsumfeld von Menschen aufzählen könnte, die sich ihren kulturellen und religiösen Hintergrund mit Ihnen teilen.

„Du kannst nicht Diener zweier Herren sein, sagen die Chinesen. Kluge Leute.“

Die Bürger haben nicht dem Staat zu dienen, sondern anders herum. Und als gewählter Bürgermeister haben Sie sich verpflichtet, den Bürgern zu dienen.

Ich zweifle langsam echt an Ihrem Demokratieverständnis.

Ich runde das ganze hier gerne ab mit einem Zitat von Ihnen vom 12. Oktober 2010:

„Hätten wir nur Aleviten bei uns, hätten wir diese Probleme alle nicht.“

Jetzt teilen Sie also schon Menschen in verschiedene Kategorien, in gute und in schlechte Muslime ein? Halten sich die einen nahe und erklären die anderen zum Feind?

Die effektivste Weise, sich gegen Querulanten zu schützen, ist eben immer noch, sie gegeneinander aufzuhetzen – nicht wahr, Herr Buschkowsky?

Sie beschäftigen die beiden Gruppen schön miteinander, damit sie ja nicht auf den Gedanken kommen, nach den Wahlen von der SPD genau das zu verlangen, was man ihnen vor so ziemlich jeder Wahl in den letzten Jahrzehnten versprochen hat? Übrigens: Selbst aus den Kreisen Ihrer so hochgeschätzten Aleviten kommt ab und an die Bestätigung, dass Sie fehlende Ahnung gerne durch ein Mehr an Meinung zu kompensieren pflegen: http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2013/02/469166/levent-mete-aleviten-sind-nicht-liberaler-als-muslime/

„Mein Gerechtigkeitsgefühl rebelliert, Ihres auch?“

Oooh, ja!

Und ich wiederhole Ihre folgende Aussage:

„Wozu braucht ein normaler Mensch eigentlich zwei oder gar noch mehr Pässe? Ich hatte bisher immer nur einen. Er sagt ja auch nur, wer ich bin und aus welchem Land ich komme.“

Sie sind weder sozial, noch demokratisch. Wozu brauchen Sie noch eine SPD-Mitgliedschaft!?

Herr Buschkowsky, Sie sind doch Berliner:

„Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.“ – Max Liebermann, 1933

Jetzt denken Sie mal darüber nach!

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1989 in Hamm geboren und in Bochum aufgewachsen. Die Eltern stammen aus der türkischen Schwarzmeerküste. Hat seine schulische Ausbildung zum Teil in den USA im Austauschjahr absolviert. Seit Oktober 2008 ist er Student der Humanmedizin an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Vorstandsvorsitzender des IBC – International Business Club e.V. aus Gelsenkirchen.

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