Gut einen Tag vor der Veröffentlichung der neuesten Studie über die „Lebenswelten junger Muslime“ bekomme ich einen Link als E-Mail von einer mir unbekannten Person über einen Bericht aus der Bild. „Schock-Studie“ heißt es über dem Titel: „Innenminister warnt radikale Muslime“.
Es scheint so, dass einige Medien auf sensationelle Berichterstattungen plädieren, ungeachtet dessen, dass es um die Gefühle der Minderheiten geht. Der obige Bericht spricht eine deutliche Sprache. Nämlich eine Sprache, die aus positiven Ereignissen negative Berichterstattungen produziert. Jedenfalls sehen wir bei einem Vergleich zur Studie, dass man Texte, insbesondere, wenn es um wissenschaftliche Texte geht, aus dem Kontext gerissen, verzerren kann. Dabei besagt die Wissenschaft gegenteiliges, da sie „werturteilsfrei“ vorgeht. Dies ist ein wichtiger Grundsatz in der Wissenschaft. Meines Erachtens kann sich kein Wissenschaftler hundert prozentig vom Werturteil freisprechen. Der wissenschaftliche Diskurs bestimmt die Objektivität.
Wie sieht es in der Studie wirklich aus? „Schockstudie“? Hat der Innenminister wirklich vor „radikalen Muslimen“ gewarnt? Kann man die Ergebnisse der Studie auf die Mehrheit der Muslime übertragen?
Ein Blick auf die Studie und einige Persönlichkeiten aus einigen Blogs und Nachrichtenportalen geben uns in Ansätzen Antworten auf die obigen Fragen. Zunächst mal sei gesagt, dass die Studie in keinster Weise Grund zur Paranoia ist. Es heißt aus der rechtsextremen Ecke häufig, dass in Deutschland eine schleichende Islamisierung stattfinde. Für die Deutsch-Türkischen Nachrichten (DTN) beweist die Studie das Gegenteil. Es gäbe keinen Grund zur Beunruhigung. Laut der Studie ist das „Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland“, unter den Deutsch-Türken, insbesondere im Hinblick auf die dritte Generation gewachsen. Vordergründig hätten Wullfs Aussagen dafür gesorgt, dass sich dieses Gefühl weitergehend verfestigt hat, so die DTN.
DTN weiter:
„Doch auch hier gilt, es reagieren nicht alle Muslime auf diese Weise. Die meisten sehen sich als Teil der Gesellschaft. Es gibt eben nicht DIE Muslime und auch die Forscher betonen: ‚Es gibt nicht eine muslimische Lebenswelt in Deutschland, sondern zahlreiche ambivalente‘.“
Was mir noch interessanter erscheint ist, dass der Bundesinnenminister Friedrich den Terror, der in Deutschland entsteht, „Homegrown Terrorism“ nennt.
Damit sind also Menschen gemeint, die in Deutschland aufwachsen, in Deutschland sozialisiert werden, später jedoch aus unterschiedlichen Gründen zum Terror neigen. Meines Erachtens könnte man einen von mehreren Faktoren bei den Menschen mit Migrationshintergrund Diskriminierung in der hiesigen Gesellschaft, insbesondere seitens der Mehrheitsgesellschaft, nennen. Wichtige Faktoren zur Prävention sind Akzeptanz, Anerkennung und Zuwendung. Dies ist natürlich nicht ausreichend. Jedenfalls steht die Gesellschaft in der Verantwortung, Auffälligkeiten früh zu erkennen und mit den Institutionen wie Schule, Universität etc., Konzepte zu entwickeln, um dem negativen Einfluss bei solchen Menschen entgegenzuwirken. Doch wie sieht es aus, wenn ein deutscher Konvertit zum Terror neigt?
Ein Lösungsansatz kommt wieder vom Innenminister Friedrich aus dem Interview bei DTN:
„Konvertiten sind häufig diejenigen, die noch extremere Ansichten haben als andere. Aus diesem Grund haben wir beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter der Rufnummer 0911/9434343 eine Hotline eingerichtet. Dorthin können sich Eltern, Angehörige und Freunde wenden, wenn sie merken, dass bei ihren Söhnen oder Töchtern, bei ihren Freunden und Bekannten irgendetwas nicht stimmt, wenn sie sich beispielsweise abschotten. Im Rahmen der Initiative Sicherheitspartnerschaft haben wir zudem eine Website eingerichtet (www.initiative-sicherheitspartnerschaft.de), auf der sich betroffene Eltern informieren können.“
Ob das eine langfristige Lösung ist, wag ich zu bezweifeln. Für eine Nachhaltigkeit und Effizienz gehören eine Menge mehr Maßnahmen dazu. Als Gedanke käme mir da z.B. Seminare über den Islam von kompetenten Pädagogen, Autoren und Akademikern, anzubieten. An diesen Seminaren könnten Multiplikatoren wie Lehrer, Dozenten oder Professoren teilnehmen. Aufklärungsarbeit könnte hier die richtige Richtung sein.
Was passiert, wenn diese Aufklärungsarbeit nicht geschieht? Na das liegt doch auf der Hand, dass junge Menschen, die nicht über ein gewisses Know How über den Islam besitzen, dem „Einfluss der Terror-Propaganda aus dem Internet“ zum Opfer fallen.
In dieser Hinsicht wäre die Zusammenarbeit zwischen Innenministerium und den islamischen Verbänden unumgänglich. Bei Innenminister Friedrich gehen die Meinungen hier ein wenig auseinander:
„Schwierig ist, dass die islamischen Verbände sehr heterogen sind und es nicht einen Ansprechpartner gibt.“ (Interview DTN)
Herr Friedrich möchte also einen Ansprechpartner. Ist es nicht gerade eine Bereicherung, wenn man die Vielfältigkeit der islamischen Verbände sich zum Nutzen macht?
Jedenfalls kann man die Rolle des Internets beim Einfluss der Terror-Propaganda nicht außer Acht lassen. Der deutsch-türkische Soziologe Cemil Sahinöz will die Rolle des Internets nicht überbewerten, wie er bei den Deutsch-Türkischen-Nachrichten erwähnt. Sahinöz ist der Initiator eines Internetforums „Misawa“ in dem islamische „Diskussionen, sachlich, objektiv, neutral und wissenschaftlich geführt“ werden. Für Ihn ist das auch alles, was ein „Internetforum leisten kann“. Es bleibt eine Cyberwelt, so Sahinöz. Er ist der Ansicht, dass eben die Annäherung nach den Erkenntnissen aus dem Internet nicht in den Internetforen entsteht, sondern auf der Straße in der realen Welt.
Was ist, wenn Menschen in Foren gehen, in denen Terror-Propaganda betrieben wird und diese Menschen mit ihren „Erkenntnissen“ auf die Straße gehen und dort Annäherung zu Terrornetzwerken finden? Aus meinem Blickwinkel ist das Internet nicht ganz zu unterschätzen.
Sahinöz‘s Internetforum „Misawa“ wird mit anderen Foren zusammen als Analysegegenstand auch in der Studie erwähnt. Bezüglich der Studie betont Sahinöz, dass 700 Muslime nicht repräsentativ für vier Millionen in Deutschland sein können.
Ekrem Senol, der Chefredakteur von Migazin meint, dass „die Studie viel umfangreicher und komplexer ist, als das man es auf wenige Zahlen reduzieren darf.“
An dieser Stelle wäre es vielleicht für unsere Leser hilfreich einige Stellen aus der Studie aus der Nähe zu betrachten.
In der Studie heißt es seitens der Wissenschaftler:
„Terrorismus geht aus Sicht desFernsehens – so könnte man überspitzt formulieren – von fundamentalistischen
Islamisten aus. Dass ein solch mediales Interpretationsangebot
generalisierende Zuschreibungen auf die Muslime an sich nahelegt,
ist zumindest keine abwegige Schlussfolgerung. Wohl gemerkt:Wir sehen
durchaus, dass es Radikalisierungstendenzen in muslimischen Gruppierungen
gibt, sind aber mit Volker Perthes (2010, S. 289) auch der Meinung,
dass nur äußerst wenige Muslime aus ihrem Zorn die Konsequenz ziehen,
sich einer Terrororganisation anzuschließen.“ (W. Frindte, 2012, S. 17)
Ich frage mich, warum die Bild oben die Studie so repräsentiert, als ob die meisten Muslime Radikalisierungstendenzen haben. Obwohl „nur äußerst wenige Muslime aus ihrem Zorn die Konsequenz ziehen, sich einer Terrororganisation anzuschließen.“
Obwohl:
„Das Forschungsvorhaben, das wir mit diesem Bericht dokumentieren,
zielt darauf ab, auf der Basis theoretisch ausgereifter Ansätze empirische
Befunde über die Integrations- und Radikalisierungsprozesse von jungen
Muslimen in Deutschland zu präsentieren. Auf der Grundlage dieser Befunde
sollen Schlussfolgerungen und differenzierte Handlungsempfehlungen
für eine zielgruppenbezogene Integration, De-Radikalisierung und
Radikalisierungsprävention erarbeitet, für politische Entscheidungsträger
aufbereitet und den Sicherheitsbehörden, politischen Bildungsträgern
und anderen relevanten Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden.“ (W. Frindte, 2012, S. 24)
In derartigen Studien geht es darum bestimmte Fragestellungen hinreichend zu Erklären. In dieser Studie lautet die zentrale Frage:
„Welche Kriterien lassen sich empirisch begründen,
um junge Muslime in Deutschland auf der Grundlage ihrer Einstellungen
und Verhaltensweisen als integriert beziehungsweise radikalisiert
und unter Umständen extrem islamistisch beurteilen zu können?“ (W. Frindte, 2012, S. 24)
Wie fast alle Studien, soll diese Studie ein breites Spektrum an „differenzierten Handlungsempfehlungen“ für sämtliche Institutionen zur Verfügung stellen. Die Studie darf nicht instrumentalisiert werden, um sensationelle Berichterstattungen zu produzieren. Im Hinblick auf die Instrumentalisierung dieser Studie kommen mir die Meinungen der Wissenschaftler aus der Studie in den Medien viel zu kurz.
Um kurz einige von sehr vielen „differenzierten Handlungsempfehlungen“ aus der Studie zu zitieren:
„Terrorismus nicht als „religiös motivierte Gewalt“ darstellen!“ (W. Frindte, 2012, S.647)
„Religiöse Fundamentalisten nicht „verteufeln“, aber auch nicht als
Vertreter „des Islams“ darstellen!“ (W. Frindte, 2012, S. 649)
„Bei internationalen Konflikten nicht die Religion in den Vordergrund
stellen!“ (W. Frindte, 2012, S. 650)
„Restriktive Maßnahmen wie ein „Kopftuchverbot“ oder ein
„Minarettverbot“ stärken in erster Linie die Extremisten!“ (W. Frindte, 2012, S. 651)
„Es besteht also keine Notwendigkeit, Religiosität per se als problematisch
anzusehen. Um islamistischer Radikalisierung vorzubeugen,
scheinen allerdings gesellschaftliche Initiativen angebracht,
die den Aufbau einer positiven bikulturellen Identität erleichtern,
um so kultureller Entwurzelung entgegenzuwirken. Damit
dies im Falle der Muslime in Deutschland gelingt, muss sowohl
eine positive Orientierung zur Aufnahmekultur möglich sein als
auch Raum für eine positive Bindung an die Herkunftskultur
und -religion gegeben werden. Hier sind Staat und Gesellschaft
gefragt, entsprechende Orientierungen und Bindungen zu ermöglichen
und zu fördern.“ (W. Frindte, 2012, S.652)
„Populistische Verkürzungen vermeiden!“ S.654)
„Die Vermittlung kulturellen Wissens und (inter)kultureller
Kompetenzen sowohl für Menschen ohne als auch für Menschen
mit Migrationshintergrund sollte daher verstärkt Teil intervenierender
Maßnahmen sein. Konkret könnte man hier zum Beispiel im
Rahmen der allgemeinen Schulbildung aktiv werden.“ (W. Frindte, 2012, S. 655)
„Politische Partizipation ermöglichen!“ (W. Frindte, 2012, S 656)
„Gesellschaftliche Chancen für individuellen Erfolg und Anerkennung
schaffen!“ (W. Frindte, 2012, S. 657)
„Kompetenzen für demokratisches Handeln entwickeln und fördern!“ (W. Frindte, 2012, S. 658)
„Politisch-historische Bildung verstärken!“ (W. Frindte, 2012, S. 658)
„In den medialen, politischen, öffentlichen Äußerungen der deutschen
Mehrheitsgesellschaft nicht die Propaganda islamistischer
Extremisten ‚widerspiegeln‘!“ (W. Frindte, 2012, S. 661)
„Die Nutzung deutschsprachiger Medien beziehungsweise Nachrichtenangebote
durch Migranten ist als Beitrag zur Integration zu
betrachten und deshalb anzuzielen. Eine auf die Mehrheitsbevölkerung
zugeschnittene Berichterstattung sollte daher versuchen, die
informationsbezogenen Interessen von Minderheiten zumindest
partiell abzudecken.“ (W. Frindte, 2012, S. 663)
„Die deutschen Medien sollten über Qualifizierungsangebote zur
Vermittlung interkultureller Kompetenzen verstärkt Journalisten –
unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund – in einem sachkompetenten
und sensiblen Umgang mit den Themen Migration
und Integration ausbilden.“ (W. Frindte, 2012, S. 663)
„Festzuhalten bleibt an dieser Stelle zunächst, dass Fernsehanstalten
sich ihrer gesellschaftlichen Funktion oder zumindest der gesellschaftlichen
Tragweite ihrer Produkte zur Konstruktion sozialer
Wirklichkeit und damit auch dem Potenzial zur Beförderung wechselseitiger
Vorurteile bewusst bleiben müssen.“ (W. Frindte, 2012, S. 664)
„Das Fernsehen sollte häufiger auch den Dialog zwischen Muslimen
und Nichtmuslimen thematisieren und damit eher Gemeinsamkeiten
statt Unterschiede zwischen den Gruppen herausstellen.“ (W. Frindte, 2012, S. 664)
„Die Vermittlung von Wissen um Medien und die Kontexte, innerhalb
derer sie operieren, sowie eine bewusste Mediennutzung
und Medienkritik sollten auch weiterhin eine zentrale Rolle in der
Bildungspolitik und Erziehung spielen. Also Medienkompetenz
entwickeln!“ (W. Frindte, 2012, S. 665)
Es gibt auch andere Studien, die sich mit diesem Thema befassen. Der Titel der Studie lautet, „Muslimische Kinder und Jugendliche – Lebenswelten – Denkmuster – Herausforderungen“, durchgeführt von den Professoren Aladin El-Mafaalani und Ahmet Toprak, die an der FH-Dortmund tätig sind und im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung die Studie durchgeführt haben. Sehr Lesenswert hier und hier eine andere von Prof. Dr. Ahmet Toprak und Prof. Dr. Katja Nowacki.
Beim letzteren erscheint mir folgendes Zitat nach Prof. Dr. Toprak sehr wichtig zu sein:
„Gewalt ist in jedem Kulturkreis und in allen gesellschaftlichen Milieus anzutreffen. Dabei kann sie ganz unterschiedliche Formen annehmen. Während psychische und strukturelle Gewaltformen in der Gesellschaft häufig weniger Beachtung finden, erregt die physische Gewaltanwendung die Gemüter. Dies gilt vor allem dann, wenn es Jugendliche aus eingewanderten Familien sind, die durch Aggression und Gewalt auffällig werden. Den tragischen Extremfällen wird in den Medien große Aufmerksamkeit geschenkt, sie werden sowohl von politischen Akteuren als auch von der Justiz für ganz unterschiedliche Zwecke instrumentalisiert.“
Ich sehe bei den oben genannten Empfehlungen der Wissenschaftler nicht nur die Notwendigkeit und den Appell an die Massenmedien, differenzierte Berichterstattung zu gewährleisten, sondern auch den gesellschaftlichen Frieden VOR das Prinzip des sensationellen und damit einhergehenden Nachrichtenwertes zu stellen. Soll heißen, dass gesellschaftsfördernde Berichterstattung zu einem friedlichen Miteinander zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der Minderheit sorgen kann. Dies bedeutet nicht das Ausblenden der Probleme, die real existent sind, eher ist es hier eine Frage der Gewichtung.