Und täglich grüßt der Geist des US-Senators McCarthy!
Eine Debatte darüber zu führen, ob und in welchem Umfang alle Muslime dem Innenminister Hans-Peter Friedrich suspekt erscheinen, ist sinnlos. Verständlicherweise werden Muslime diesbezüglich intensivere Empfindungen haben. Wie weit dürfen diese Empfindungen allerdings gehen? Wenn man mich fragen sollte, dann sprechen alle Indizien in diesem Fall gegen unseren Innenminister und zwingen mich zu folgendem Vergleich: Ist die Politik des Innenministers Hans-Peter Friedrich angehaucht vom Geist des Ex-US-Senators McCarthy?
Mit dieser Fragestellung habe ich einige meiner Mitmenschen konfrontiert und musste die bittere Erfahrung machen, dass sie noch nie etwas von einem Senator McCarthy gehört haben. Genau aus diesem Grund bin ich über die allgemeine Stimmung „Warum soll ich Angst vor dem Innenminister Hans-Peter Friedrich haben?” auch nicht verwundert.
Natürlich fällt es mir als Politikwissenschaftlerin leicht, die im Studium Zeitgeschichte als Schwerpunktfach hatte, Parallelen zwischen der Politik des US-Senators und des aktuellen Innenministers zu ziehen. Warum bin ich in diesem Fall aber der Meinung, dass jeder andere das auch können muss? Als Bürger in diesem Land sind wir alle, ob nun gewollt oder ungewollt, betroffen und berührt zugleich von der Wirkung der vorherrschenden Stimmung in der Gesellschaft. Die politische Praxis beeinflusst auf direktem Wege das Umfeld eines jeden Einzelnen. Eine Wirkung, die ich gerne mit einem Filmbeispiel verdeutlichen möchte:
Derselbe Tag wiederholt sich in einer Endlosschleife, so könnte man den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ beschreiben. Eine Filmkomödie aus dem Jahre 1993, in der Bill Murray als Phil Connors einen egozentrischen, zynischen TV-Wetteransager spielt. Er sitzt fest in einer Zeitschleife, aus der er nur durch Selbsterziehung herauskommen kann.
Mindestens genauso egozentrisch und zynisch sind auch die Schachzüge von einigen Vorwahl-Strategen einer gewissen Politikrichtung, zu denen ich auch den Innenminister Hans-Peter Friedrich einreihe. Wie in einer Endlosschleife wird mit Minderheitenthemen die Stimmung in der Vorwahlperiode eingeheizt. Eine Politik auf Kosten der Minderheiten ist zwar völlig fehl am Platz, insbesondere wenn man sich die jüngst aufgedeckten Mordserien in der Vergangenheit vor Augen führt, aber solange die alteingesessene Angst vor dem Muslim dazu dient, entscheidende Stimmen für die eigene Parteirichtung zu gewinnen, ist jedes Mittel im Wahlkampf recht. Nur schade, dass man diese Strategen nicht in eine Endlosschleife setzen kann, um ihnen zu zeigen, welches emotionale Leid sie mit diesem Vorgehen anderen zufügen. Mein Wunsch, dass sich diese Wahlstrategen sowie Hans-Peter Friedrich diesbezüglich selbst erziehen, klingt paradoxerweise mindestens genauso zynisch, aber auf keinen Fall egozentrisch.
Naiv, wie ich bin, möchte ich daran glauben, dass einigen unserer einheimischen Politiker noch nicht bewusst wurde, dass auch Muslime in diesem Land Träger von Rechten und Pflichten sind. Vielleicht klingt es jetzt erneut ein wenig egozentrisch, wenn ich darauf aufmerksam mache, dass die meisten dieser Muslime in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und sie sich ihren Geburtsort nicht selbst aussuchen durften. Genauso wenig, wie jeder andere Mensch sich seine Nationalität, seine Herkunft und seine Urahnen nicht ausgesucht hat. Ich will betonen, wenn es um dieses Thema geht, klinge auch ich bewusst egozentrisch. Schließlich ist der Innenminister Friedrich nicht der erste Politiker, für den die eigenen Interessen und die Interessen seiner Partei vor den Kollektivinteressen kommen. So bitter das auch klingt, beim Kampf um jede Stimme ist schließlich jedes Mittel recht. Ein kleiner Rückblick in die Vergangenheit wird meine These veranschaulichen:
Im Herbst 2005 veröffentlicht eine dänische Zeitschrift Karikaturen mit Abbildern des Propheten Muhammad (Friede und Segen auf Ihm). Er wurde als Verfechter des Terrors abgebildet. Die Folge war eine Welle von Demonstrationen in unterschiedlichen islamisch geprägten Ländern. Die Demonstrationen eskalierten partiell. Personen aus sozial unterprivilegierten Kreisen verliehen ihrem allgemeinen Frust Ausdruck, indem sie überwiegend dänische Konsulate gewaltsam beschädigten. Daraufhin diskutierte man in den Medien der europäischen Länder, inwieweit die Muslime aufgeklärt seien, die Meinungsfreiheit achten könnten und inwieweit sie verfassungstreu wären. Man hinterließ den Eindruck, dass die Muslime unzivilisiert seien, man ihre Werte und Normen hinterfragen müsste und sie “verfassungsfremde” Wesen wären. In den anschließenden Landtagswahlen spielte die Einführung von “Gesinnungstest” für Muslime, die sich in Zukunft in der BRD einbürgern lassen wollen, eine besonders große Rolle im Wahlkampf.
Zugegeben, die Gunst der Stunde zum eigenen Vorteil zu nutzen, deutet auf professionelle Wahlstrategen hin. Jedenfalls ein sehr netter, gekonnter und bewusster Schachzug! Dies waren damals schon meine ersten Gedanken zu diesem Thema. Zu jener Zeit befand ich mich noch mitten im Studium. Ich durfte mir von halbweisen Studenten vorgefasste, unkritische Meinungen über die missratenen Muslime in Deutschland, insbesondere auch über die türkischstämmigen unter ihnen, anhören. Einige der Schlussfolgerungen waren herrlich einfältig, wenn nicht sogar so einfältig wie die aktuellen Schlussfolgerungen vom Innenminister Friedrich. Konfrontiert wurde ich mit Aussagen wie: „Die türkischstämmigen Arbeitsmigranten, von denen es in Deutschland auffallend viele gibt, sind überwiegend islamischen Glaubens. Das Kulturverständnis der Türken, da es ja vom Islam und nicht vom Christentum geprägt ist, sei deshalb mit dem europäischen Kulturverständnis nicht vereinbar. Die Kulturunterschiede würden sich ja schließlich auch schon daher ergeben, weil die Türken ursprünglich aus Asien stammen und nicht aus Europa usw.“ Der Zynismus ist kaum zu überhören gewesen. Man muss nämlich hinzufügen, dass damals die Diskussion über den möglichen EU-Beitritt der Türken eine gewisse mediale Aufmerksamkeit erfahren hatte. Hieraus folgte der Fokus auf die türkischstämmigen Migranten islamischen Glaubens. Ein wenig zu zynisch, so mein Empfinden hierüber. Denn kein einziger Türke ist damals mit einer aggressiven Form der Partizipation zum Thema „Muhammad-Karikaturen“ medial auffällig geworden.
Schmunzelnd erinnere ich mich, wie diese Aussagen meine innere Stimmung negativ beeinflussten. Mir fiel es nicht immer leicht, den Ärger, mit dem ich konfrontiert wurde, herunter zu schlucken. Manchmal wollte ich sogar in die Offensive und den Weg des verbalen Gegenangriffs starten. „Wie wäre es denn mit einigen vorgefassten, unkritischen Meinungen über die missratenen, ungehobelten, eingebildeten Möchtegerns der Einheimischen“, dachte ich mir. Gegenwärtig weiß ich, dass es besser war, den Ärger zu schlucken.
Zum einen muss ich in solchen Momenten immer an meine guten einheimischen Freunde denken, das besänftigt mich. Zum anderen vertrete ich nicht die Mentalität „Auge um Auge, Zahn und Zahn”. Genauso wenig, wie ich die Mentalität „Wenn dich einer auf die linke Backe schlägt, dann halte ihm auch die andere hin” für gut heiße. Das letztere ist nach meiner Empfindung genauso provokant und drückt eine Form der Überlegenheit aus, wie die erste Aussage. Zumindest an dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich sehr unchristlich klinge. Denn als Muslima gebe ich mir Mühe, dem Gebot aus dem Koran zu folgen:
96. (Doch was auch immer du sagen oder tun magst) wehre das Üble (das dir angetan und deiner Sendung zugefügt wurde) ab mit dem Besten (dessen, was du zu tun vermagst).1
Dieser Leitlinie aus dem Koran folgend, bemühe ich mich unentwegt, Menschen, die zu vorgefassten Meinungen neigen, zu verstehen. Dieser Prozess ist leider noch nicht ganz abgeschlossen. Ich frage mich: „Wollten mich meine damaligen Kommilitonen nur provozieren, um mit mir ins Gespräch zu kommen?“ Jene, die mich konfrontativ mit solchen Aussagen aufgesucht haben, die wollten es scheinbar nicht! Denn wenn doch, dann hätte ich das verstanden! Aber auch dann fragt man sich: „Wie kommuniziert man mit Menschen, die unbeirrt beleidigend wirken, dies aber nicht bemerken? Wie steht man darüber, wenn man in Schubladen gepackt wird? Wenn einem zunächst ins Gesicht gespuckt wird – so würde es ein impulsiver Türke bildlich beschreiben? Wenn die eigene Persönlichkeit und die Überzeugungen nicht respektiert und die gelebten Werte und Normen infrage gestellt werden? Hat man denn kein Recht auf Privatsphäre, das Recht auf Überzeugungen und eine Würde, die man respektiert sehen möchte?“ Aber wehren kann man sich gegen solche Aussagen auch nicht. Denn kaum verteidigt man sich, erhält man ein: „Ja, aber…“ zu hören.
Die übertriebenste Antwort nimmt folgende Gestalt an: Man wedelt mit der Verfassung, hält einem einen Vortrag darüber, welchen emotionalen Stellenwert die Verfassung in den Herzen der Muslimen einnehmen müsse, meint zu interpretieren, das Wesen eines Muslims neige zwangsläufig dazu, die Verfassung abzulehnen, und schlussfolgert, dass die verfassungsmäßig geschützte Meinungsfreiheit von Muslimen nicht respektiert werden müsse. Ich frage mich, ist das so etwas wie ein Naturgesetz, das sich meiner Wahrnehmung entzogen hat?
Ein Denkfehler, der nicht selten passiert. Einige Demokraten ziehen die Verfassungsgrundsätze aus ihrem Kontext und verwenden sie, ohne jegliche Methoden- und Approbationsregeln zu beachten, als Schutzschild im Diskurs mit den Muslimen, um Scheinbelege für ihre Behauptungen zu finden. Nicht anders gehen auch die Wahhabitischen-Salafisten mit dem Koran und den Hadith-Sammlungen um. Und wie sich gezeigt hat, neigt auch unser Innenminister zu sehr herzergreifenden Aussagen im Kampf gegen den “Religionskrieg” – so seine aktuelle Wortwahl vor den Landtagswahlen in NRW -, ohne darüber zu reflektieren, dass ihm im übertragenen Sinne dieselben Fehler passieren wie den Wahhabitischen-Salafisten. Wenn man bedenkt, dass sich der kritisch-analytische Diskurs genau genommen um die Werte und Normen einzelner Gesellschaftsschichten dreht, sollte man bemerkt haben, wie Paradox die öffentliche Diskussion hierüber erfolgt.
Hier gehts zum 2. Teil: Warum ich Angst vor dem Innenminister Friedrich haben sollte?
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1. Der Koran und seine Übersetzung mit Kommentar und Anmerkungen, 2009 , Ali Ünal