„Theologie der Barmherzigkeit“
Seit der Gründung des Zentrums für Islamische Theologie in Münster steht Professor Khorchide im Zentrum des öffentlichen Interesses. Islamophoben und Salafisten ist er ein Feindbild, andere schwanken zwischen wachem Interesse und Skepsis.
[important]Im Jahre 1971 wurde Mouhanad Khorchide als Sohn einer aus Palästina stammenden Flüchtlingsfamilie in Beirut geboren. Eine abenteuerliche Biografie führte ihn von Saudi-Arabien über den Weg vom Staatenlosen zum Staatsbürger in Österreich, wo er ein Fernstudium absolvierte, zurück nach Beirut, wo er seinen Abschluss in Islamischer Theologie machte. Nach der Promotion 2008 in Wien ging Khorchide nach Deutschland.[/important]
Kritiker behaupten in diesem Zusammenhang, er hätte Österreich verlassen, weil fragwürdige Angaben in seiner Dissertation islamische Religionslehrer in ein schlechtes Licht gerückt hätten und er auf diesem Wege einen tiefen Vertrauensverlust innerhalb der dortigen muslimischen Community erlitten hätte. Auf unsere Anfrage hin bestreitet der Professor die Darstellung, er hätte sich mit der muslimischen Community in Österreich überworfen. Er habe sich vielmehr schon im Jahre 2008, als er noch wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien war, für die ausgeschriebene Professur für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster beworben. Sein Beweggrund sei ein Aufstieg im akademischen Bereich gewesen. Über seine Verbindungen nach Österreich äußert Mouhanad Khorchide uns gegenüber: „Ich pflege ein sehr gutes und positives Verhältnis zur islamischen Community in Österreich. Ich stehe auch in Kontakt mit Herrn Sanaç, dem jetzigen Präsidenten der islamischen Glaubensgemeinschaft. Vor einem halben Jahr habe ich den Vorsitzenden von DITIB Österreich (ATIB) getroffen und mich sehr gut mit ihm verstanden.“
Vom Skandallehrstuhl zum Zentrum der religionspädagogischen Ausbildung
Im Juli 2010 wurde der Theologe, nachdem er für einige Monate die Vertretungsprofessur für den vom Islam abgefallenen Sven Kalisch am skandalumwitterten „Centrum für Religiöse Studien“ (CRS) übernommen hatte, an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster nach der schriftlichen Zustimmung des Koordinationsrats der Muslime (KRM) zum Professor für Islamische Religionspädagogik ernannt. Seit in Münster eines der vier Zentren für Islamische Theologie in Deutschland eröffnet wurde, ist Khorchide für die Ausbildung von Religionslehrern zuständig, die perspektivisch dort zum Einsatz kommen sollen, wo Staatsverträge flächendeckenden islamischen Religionsunterricht an Schulen sicherstellen. Das Theologiezentrum in Münster war schon kurz nach seiner Konstituierung in die Schlagzeilen gelangt, weil das Bundeswissenschaftsministerium den vom KRM vorgeschlagenen Kandidaten für den Beirat, Burhan Kesici wegen angeblicher Nähe zur „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş“ (IGMG) abgelehnt hatte.
Professor Khorchide äußerte sich gegenüber DIB nicht erfreut über das politische Geplänkel rund um den Beirat: „Ich verstehe das Zentrum für Islamische Theologie als eine wissenschaftliche Institution. Für mich ist es unverständlich, dass politische Konflikte zwischen Milli Görüş und dem Innenministerium auf dem Rücken der Wissenschaft ausgetragen werden. Wir als wissenschaftliche Institution mischen uns in solche politische Fragen nicht ein. Die Spannung zwischen Milli Görüş und Innenministerium bestehen seit mehreren Jahren, die Uni ist der falsche Ort, um solche Spannungen zu lösen.“
Während die einen Khorchide für eine Art „Obama des Islam“ halten, der die islamophoben Pauschalisierungen, wonach der Islam nicht reformierbar wäre, Lügen straft und für einen Aufbruch steht, der den Islam im heutigen Europa zu verankern versucht, werfen ihm andere vor, einen anderen Islam zu verkünden als jenen, der dem Propheten Mohammad offenbart wurde.
Im Sonntagsgespräch mit dem Hessischen Rundfunk hatte Mouhanad Khorchide kürzlich die Möglichkeit, einer breiten Öffentlichkeit seine eigene Sichtweise vorzustellen.
„Den Menschen erschaffen, um seine Liebe teilen zu können“
Im Dialog mit dem Fernsehjournalisten Meinhard Schmidt-Degenhardt streifte Khorchide dabei eine Reihe von Themen, die er auch in seinem kürzlich erschienenen Buch „Islam ist Barmherzigkeit – Grundzüge einer modernen Religion“ angesprochen hatte.
Sein Konzept baue auf der Vorstellung von Gott als dem „Allerbarmer“ auf, und sein Ziel sei es, davon ausgehend eine „Theologie der Barmherzigkeit“ zu formulieren. Gott habe die Menschen erschaffen, um seine Liebe nicht für sich behalten zu müssen. Deshalb sei die Schöpfung Zeichen einer bedingungslosen Zuwendung zum Menschen.
Khorchide sieht die Hauptaufgabe islamischer Theologie im Reflektieren. Der Koran sei eine Aufforderung an die Menschen, Gott zu vertrauen, aber er wäre im Dialog zwischen Gott und den Menschen entstanden und müsse daher im historischen Kontext gelesen und seine Aussagen müssten in das Heute übertragen werden. Die Menschen sollten nichts in Gott oder den Koran hineinprojizieren, sondern sich die Frage stellen, was Gott von uns wolle.
Gerade weil es im Islam – anders als etwa in der Katholischen Kirche – keine oberste Glaubensinstanz gäbe, wäre der Kontext, in dem sich der Islam jeweils entfalte, besonders wichtig. Eine Stammeskultur gäbe andere Antworten als eine heterogene Gesellschaft. Und eine solche habe er im Libanon erlebt. Sie hätte ihm die Augen geöffnet für die Widersprüche zwischen dem, was in den saudischen Schulen gelehrt und was ihm in seiner libanesischen Familie beigebracht worden wäre.
„Wir reden über denselben Gott“, betont Khorchide mit Blick auf das Verhältnis zu anderen Religionen. Gott wollte diese Vielfalt, deshalb müsse es auch Teil des Wahrheitsanspruches jeder Religion werden, dass verschiedene Wege zu ihm führen könnten. „Was hat Gott davon, feine Menschen, die zeitlebens das Gute tun, in die Hölle zu schicken, weil sie ein anderes oder kein Glaubensbekenntnis haben?“ fragt der Theologe im Rundfunkinterview.
Khorchide wandte sich wiederholt gegen eine Sichtweise des Islam als Gesetzesreligion, in deren Zentrum das Befolgen von Geboten und Verboten stehe. Auch im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk unterstreicht Khorchide diese Position: Die Scharia sei Menschenwerk, sie komme in dieser Form gar nicht im Koran vor, sondern repräsentiere jeweils die Summe der Bemühungen Gelehrter, den Koran zu verstehen. Entsprechend würden Salafisten zu der Auffassung gelangen, Scharia und Demokratie wären nicht vereinbar, Islamgelehrte der DITIB kämen hingegen in ihrem Urteil zum glatten Gegenteil.
„Islam anpassungsfähig, bis auf fünf Kernprinzipien“
Khorchide sieht die Linien, wie er im Gespräch mit Schmidt-Degenhard darlegt, nicht zwischen den Konfessionen verlaufen, sondern zwischen Reformern und Orthodoxen und ihren Interpretationsansätzen innerhalb jeder Gruppe. Gerade auch mit Blick auf Verbände solle man deshalb nicht pauschalisieren.
Der Theologe erwartet, dass der Reformprozess des Islam nicht wie jener des Christentums 400-500 Jahre dauern würde, sondern viel rascher von Statten gehen würde, da man aus dessen Erfahrungen lernen könne und der Islam durch die Moderne noch stärker herausgefordert sei. Der Islam sei auf Grund seiner Abhängigkeit vom Kontext, in dem er sich entfalte, sehr anpassungsfähig. Der nicht verhandelbare Kern würde nach Auffassung Khorchides aus den fünf Prinzipien Gerechtigkeit, Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit und soziale Verantwortlichkeit bestehen.
In diesem Zusammenhang hatte Khorchide – der in Münster bereits selbst ins Visier islamophober Blockwarte wie der so genannten „Free Minds“ geraten war – sich vor einigen Wochen erst wieder deutlich dagegen ausgesprochen, dass Muslime sich von Europäern Begriffe und Vorgehensweise diktieren lassen sollten, als er betonte: „Wir brauchen keine Aufklärung, wie wir sie aus Europa kennen. Wohl aber eine Reform, die die Mündigkeit und die Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt stellt.“
„Keine Kritik an Mainstream-Muslimen“
Skeptiker hingegen werfen Khorchide vor, sich von den Islamgegnern längst die Agenda diktieren zu lassen und einer Beliebigkeit das Wort zu reden, die sich von unverrückbaren Grundlagen des Islam verabschiede – beispielsweise wenn Khorchide in einem Gespräch mit der Bundeszentrale für politische Bildung Begriffe wie „Spaß am Leben“ mit „Piercings und Diskotheken“ assoziiert, die man Jugendlichen gegenüber tunlichst nicht aus religiösen Gründen für problematisch erklären sollte.
Der Professor tritt diesen Darstellungen entgegen. Im „Migazin“ betont er, ihm gehe es bewusst nicht um Kritik an den Mainstream-Muslimen. Eine Überbetonung der Gesetzlichkeit würde aber genauso zu Lasten der Gottesbeziehung gehen wie eine Überbetonung der Beliebigkeit. „Die Salafisten sagen, wichtig ist, wie man aussieht. Die Liberalen sagen, es genügt die Schahada (Glaubensbekenntnis), um Muslim zu sein. Und was bleibt denn vom Islam, wenn die einen die Oberfläche betrachten und die anderen nur die Schahada. Beide höhlen die Religion aus“, meint Khorchide.
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