Seit fünf Tagen warte ich auf ein Echo. Thilo Sarrazin hätte einräumen können: „Dialog mit Islam ist möglich.“ Die BILD-Zeitung: „Schockierende Nachricht: Kurz vor Weihnachten bricht ein Feindbild weg.“ PI-News hätte auf den Pfaden von kreuz.net wandeln und die PRO-Bewegung sich ein neues Thema suchen müssen. Aber leider ist es damit mal wieder nichts geworden. Statt eine „innergesellschaftliche Entspannungspolitik“ mit einem Dialog zu beginnen, herrscht wie üblich, wenn es einmal etwas Wichtiges gibt, das Schweigen im Walde. Auf das bemerkenswerte Interview Fetuhllah Gülens in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab es lediglich im christlichen Medienmagazin „pro“ eine Reaktion – mit dem Zusatz, man wisse bei Gülen nicht so genau, wie man ihn einzuschätzen habe (dabei bleiben im Interview kaum Fragen offen). Komisch, während jedes Atemholen der extremistischen Gesellschaftsvarianten, ob nun bei den Salafisten oder den Islamhassern, die Kampagnenmaschinerie anwirft, bleiben die Argumente Gülens im exklusiven Leserkreis der FAZ. Auch die linke Presse und Politik, die sonst das friedliche Zusammenleben von muslimischen Einwanderern und Deutschen propagiert, greift den Ball nicht auf.
Dabei stecken in dem Interview nicht nur jede Menge Diskussionsstoff, sondern vor allem wichtige Gedanken, um gesellschaftlich verhärtete Fronten, die sich allenthalben auf die einsamen Höhen von „Integrationsgipfeln“ zurückziehen müssen und mit dem allgemein gesellschaftlichen Diskurs kaum noch etwas zu tun haben, endlich aufzuweichen. Das beginnt bereits bei der Überschrift des Interviews „Islam und Moderne stehen nicht im Widerspruch“ – ein passender Satz für einen gesellschaftlichen Diskurs, der durch nervöse Schnappatmung gekennzeichnet ist. „Wir haben den anderen in dessen Existenz zu akzeptieren. Möglich sein wird das Zusammenleben von Muslimen und Christen nur durch die Einrichtung einer Kultur des Zusammenlebens. Dazu müssen die Grundrechte und Freiheiten für alle verteidigt und geschützt werden. Beide Seiten haben sich gegenseitig zu akzeptieren, in der Situation des anderen, so dass den Provokationen so weit wie möglich kein Publikum geboten wird. Ereignen sich dann solche Dinge, lässt sich zivilisiert auf sie antworten.“ Mit dieser grundlegenden Einschätzung ruft Gülen alle Seiten zur Mäßigung auf und stimmt gleichzeitig nachdenklich – denn die Realität sieht leider anders aus.
Gülen relativiert in seinen Antworten nicht die Existenz auch extremer Randgruppen im Islam, hält dem aber entgegen: „Dass einige Medien sich ganz auf diese extremen Randgruppen konzentrieren – statt auch das positive Verhalten der Mehrheit zu vermitteln – und sie immerzu einseitig ins Bewusstsein rücken, bewirkt leider, dass sich eine solche Wahrnehmung rasch ausbreitet.“ Was die Reaktion auf das Interview angeht, kann man dazu nur sagen: Was zu beweisen war. Besonders interessant sind auch die Erklärungen zu der Frage nach einer Dominanz des Islam auf den Staat. Diese Sorge wird von Anti-Islamparteien immer wieder aufgegriffen. Es sei nichts dagegen einzuwenden, so Gülen, „wenn in der islamischen Welt eine politische Ordnung auf islamischer Ethik, islamischen Disziplinen und islamischen Prinzipien basiert. Unserem Herr Jesus war mit seinen Jüngern nicht die Möglichkeit gegeben, einen Staat zu gründen. Andernfalls hätte wohl auch er eine Ordnung geschaffen, wie seine Vorgänger David und Salomon. Sie hatten einen Staat gegründet, das „Zeitalter der Könige“, wie es im Alten Testament heißt. Moses hat eine staatliche Ordnung geschaffen, auch Joshua. Daher besteht eine Verwandtschaft zwischen Jesus, dem Messias, mit Zacharias und Johannes, die ebenfalls nicht die Möglichkeit zur Gründung eines Staats hatten. Als später das Römische Reich unter Konstantin dem Großen das Christentum als Staatsreligion nahm, regierte es nach den Regeln des Christentums.“
Man muss hinzufügen: In Deutschland ist die Trennung von Kirche und Staat Tradition. Aber gerade die Geschichte dieser Trennung zeigt, wie eng die Wertehaltung des Christentums trotzdem mit unserer Kultur verknüpft ist. Und zwar, wie man sagen muss, im positiven Sinne. Das angstvolle Zeigen auf „diese neue Religion“ (aus der Sicht der Europäer) ist in Wirklichkeit nichts anderes als das Erschrecken vor einer eigenen Leere – die man gerade bei den Islamkritikern spürt. Diese besitzen meist keinerlei kulturelle Erdung. Ein gläubiger Christ kann dagegen mit dem Phänomen Islam ganz anders umgehen, und er wird eine Basis zum Zusammenleben finden. Gerade wenn er die Gedanken Gülens als ausgestreckte Hand sieht. Aber eine ausgestreckte Hand ist für die Öffentlichkeitsmacher der großen Verlagshäuser und Fernsehanstalten offenbar weniger interessant als eine, die zuschlägt. Letztere ist bequemer als die Forderung Gülens nach Erziehung und Bildung, die mich an die Ideen Johann Wolfgang von Goethes erinnerten: „Will der Mensch gegen etwas vorgehen, sollte er es gegen solche negativen Eigenschaften tun. Er sollte versuchen, soweit er dazu imstande ist, diese zu beseitigen, und zwar mit Erziehung, Vermittlung von Bildung und gutem Benehmen, indem man die Wege des Friedens erforscht und Dialog führt.“ Vom Fußball-Ultra-Problem, über den „Kampf gegen rechts“, bis hin zum Integrationsproblem, ist dies das richtige Motto, wie mir scheint und nicht der Ruf nach Bestrafung, Ausgrenzung oder Verbot.
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