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Foto: ReaLMeS / DeviantArt

Ob es in den Schriften von Atatürk eine Anweisung gibt, die Türkei zu lieben? In der Eidesformel „Ich bin Türke, ehrlich und fleißig…“, welche die türkischen Kinder bis vor kurzem regelmäßig aufsagen mussten, wird die Liebe zur Nation nicht genannt, bestenfalls am Ende die Freude, sagen zu können „ich bin Türke.“ In einem anderen berühmten Atatürk-Wort wird gesagt: „Sei stolz, arbeite, vertraue“- aber auch hier ist die Liebe zum eigenen Land nicht explizit angesprochen.

Aber ist die Liebe nicht gerade das, was der innerlich zerrissenen und von Misstrauen angefressenen Türkei fehlt? Ich lese aus dem, was die Presse schreibt (Today’s Zaman ist meine wichtigste Quelle, aber auch ausländische Zeitungen), und besonders aus dem, was deutsche Türken auf Facebook schreiben, vielfach eine kalte Distanz zu dem heraus, was die Türkei im Innersten ausmacht.

Es ist offenbar unendlich schwer, ein Land zu lieben, das etwa zur Hälfte von Menschen bewohnt wird, deren politische Meinung man zutiefst verachtet. Man verachtet sie nicht nur, man fürchtet sie sogar, denn in dem in der Türkei vielfach vorhandenen Kampf nach dem Motto „Entweder die oder wir“ ist jeder Feind eine Gefahr. Es erscheint deshalb fast unmöglich zu sein, das Ganze in den Griff zu bekommen und um des Ganzen willen seine Differenzen hintanzustellen.

Das Bild fürs Ganze bewahren

Das Ganze sehen und es dann lieben, das wäre die Aufgabe einer vernünftigen Politik. Wie kann man dahin kommen? Nun, vielleicht hilft ein Blick aus dem Ausland, wo es viele Menschen gibt, die durch Reisen und persönliche Kontakte das Land in ihr Herz geschlossen haben und es wirklich lieben. Man kann es ja tatsächlich lieben, sein Klima, seine Küche, seine vielen schönen und liebenswürdigen Menschen, seine Geschichte und Kultur, seine Vitalität und Intelligenz. Man kann es in seiner Gesamtheit lieben, auch in seiner Zerrissenheit, seinem Aufbegehren gegen innere und äußere Feinde, seinem manchmal übertrieben wirkenden Stolz.

Vielleicht kann die Liebe auch in praktische Hilfe münden. Ich weiß, dass die Deutschen für nichts mehr gehasst werden als für ihre ungebetenen Ratschläge. Aber manchmal denke ich, es wäre für die Türkei einiges abzuschauen an der alten, ein wenig müden deutschen Streitkultur.

Ich bin mir nicht sicher, ob die deutschen Türken hier einen freien Blick haben. Sie wissen zwar in vielem, wie unser gemeinsamer Staat „tickt“, aber zu oft liest man, wie sie ihre eigenen Theorien von Verschwörungen und dem „tiefen Staat“ auch auf Deutschland übertragen, etwa um das Fehlverhalten des Verfassungsschutzes in der NSU-Affäre zu erklären. All das erscheint mir aber nur der Versuch zu sein, die eigenen Probleme kleinzureden, indem man feststellt, dass andere sie auch haben. Nein, der deutsche Staat spielt in der Verwirklichung eines wirklich gemeinschaftlichen Konzeptes glücklicherweise in einer anderen Liga, und es steht allen Menschen offen, sich sein Konzept anzusehen.

Die Liebe zum Land nie verlieren

Nun ist trotzdem die Liebe zum eigenen Land gerade in Deutschland keine einfache Sache. Dieses Land ist durch seine Nazi-Vergangenheit auf ewig seine weiße Weste los, damit muss man als Deutscher leben. Aber wenn man es auf manchmal langen Wegen geschafft hat, Vergebung zu erlangen und mit den Juden und Polen und Russen – und auch mit den eigenen, in Schuld geratenen Vorfahren – wieder in Frieden zu leben, dann kann man sein Land auch angesichts seiner dunklen Seiten lieben. Die Türkei hat hier, fast 100 Jahre nach den Armenier-Massakern, wenig vom deutschen Versöhnungsweg übernommen. Sie sollte es tun, denn wenn man sein Land wirklich lieben will, muss man es in seiner Gesamtheit sehen und auch in jenen Teilen, für die man keinen Stolz empfindet.

Ich bin vor 42 Jahren zum ersten Mal in der Türkei gewesen und liebe dieses Land seither. Ich sage ihm in Abwandlung des eingangs zitierten Wortes: Türke arbeite, vertraue, liebe dein Land – und lass den Stolz nicht dein Herz zerfressen.

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Christian Runkel, Jahrgang 1949, lebt und arbeitet als selbständiger Wohnungsverwalter in Remscheid. Er ist verheiratet, hat fünf Kinder und ein Enkelkind und ist aktives Mitglied einer evangelischen Freikirche. Nach einem Bankpraktikum 1971 in Istanbul hat er lebenslang den Kontakt zu Türken in seiner Nähe gesucht und beteiligt sich lebhaft am Austausch zwischen Christen und Muslimen. Seine neuesten Erlebnisse auf einer Wanderung durch Palästina hat er in einem Tagebuch beschrieben, das vor wenigen Tagen bei Amazon erschienen ist.

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