Keine Welt, wie sie ihr gefällt

Eine Woche ist es her, seitdem  Deutschland seinen politischen „Superstar“ für die nächsten vier Jahre gewählt hat. An diesem Ergebnis konnte auch die im letzten Augenblick von Andrea Nahles fulminant zum Besten gegebene Interpretation des Pipi Langstrumpf-Liedes nichts ändern. Merkel hat die CDU zum besten Ergebnis der letzten 20 Jahre geführt und wird höchstwahrscheinlich zum dritten Mal in Folge regieren. Aber so unbeeindruckt waren die Wähler von Nahles „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“-Gesang auch nicht und lassen die Kanzlerin die Welt nicht so machen, wie es ihr gefallen würde. Sie muss ihre Macht teilen.

Was kommt danach?

Wohlwissend, dass die Union ohne sie nicht regieren kann, hat die Opposition Merkel zu ihrem klaren Sieg gratuliert und ganz der Staatsräson entsprechend ihr diplomatisch den Ball zugeworfen.

Eine derartig klare Einsichtigkeit bezüglich der eigenen Niederlage könnte manchen Wahlsieger, wie z. B. Erdoğan in der Türkei, vor Neid erblassen lassen. Wir erinnern uns, seine pseudolinke CHP-Opposition bewertete einen überragenden Wahlsieg mit dem Verweis auf die 50,17 {29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} Nicht-AKP-Wähler als eine Diktatur. Okay, man muss zugestehen, der Vergleich hinkt ein bisschen, denn während die Opposition in Ankara wegen der absoluten Parlamentsmehrheit der AKP völlig mit leeren Händen da stand, lachen sich aktuell die Berliner Wahlverlierer ins Fäustchen.
Keine Frage, es war eine krachende Niederlage der Opposition, aber es ist auch, außer für die FDP, eine gut zu verschmerzende, halbe Niederlage. Merkels hat mit ihrer Distanz zur Zweitstimmenkampagne der FDP ihrem Koalitionspartner den Gnadenstoß gegeben und wird voraussichtlich einen hohen Preis dafür zahlen müssen. „An Tagen wie diesen“ sang die Unionsführung im Siegestaumel – vielleicht auch fühlend dass „die Tage danach“ keine leichten sein werden.

Erwartungen über den „Wegfall der Optionspflicht“ steigen

Die Oppositionsparteien haben jetzt  – unabhängig von ihren Stimmenanteilen – bei geschickter Verhandlung mit der Union die Möglichkeit, ihre eigene Politik ebenbürtig umzusetzen. Für viele Migranten ist unter den politischen Themen die Integrationspolitik naturgemäß ein Thema, worauf man genauer achtet. Die Kompetenz in diesem Bereich wurde traditionell dem politisch linken Spektrum zugesprochen. Dementsprechend wurden auch aus diesem Spektrum heraus in der Bundestagswahl kräftig die Werbetrommel gerührt und Erwartungen geschürt.

Hierbei weckt bei jungen Migranten das gemeinsame Wahlversprechen der SPD, der Grünen und der Linken, die Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht abzuschaffen, die größten Erwartungen. Man wird jetzt den betreffenden Parteien in den Koalitionsverhandlungen ganz genau auf die Finger schauen. Jede mögliche Regierungskonstellation, ob Schwarz-Rot, Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün, erlaubt es, uns realistische Hoffnungen auf das Einlösen dieses Wahlversprechens zu machen. Die CDU/CSU-Regierung dürfte nicht mehr um dieses Thema herumkommen. Es hängt einzig und allein von der Haltung der potenziellen Koalitionspartner ab.

Migranten wollen keine ideologischen Grabenkriege, sondern erwarten Lösungen für ihre Probleme

Sehr erfreulich ist auch – wenn auch immer noch im Verhältnis zu wenig – die Zunahme der türkischstämmigen Abgeordneten im Bundestag. Auch deren Arbeit wird ganz genau von der Einwanderercommunity beobachtet werden. Ihr Erfolg wird u.a. auch daran gemessen werden, inwieweit sie sich für die Probleme der Migranten einsetzen. Wenn man schon in türkischer Sprache Wahlplakate aufstellt und in Moscheevereinen gezielt um Stimmen dieser Gruppe wirbt, darf man auch infolgedessen eine aktive Interessenvertretung der umworbenen Gruppe erwarten.

Viele erinnern sich noch genau an die Dämonisierungspolitik gegenüber dem bürgerlichen Migrantenlager: Die hitzigen Debatten über den Beschneidungsverbot, die Islamkonferenz, die Türkeipolitik, die Teilung der Muslime in Gut und Böse usw. ließen die gewählten Vertreter in keinem guten Licht erscheinen. Die polarisierenden Debatten hinterließen den bitteren Nachgeschmack von Profilierungsversuchen auf Kosten der Einwanderercommunity.

Umso größer sind nun die Hoffnungen und die Erwartungen an die Abgeordneten, nicht mehr die gleichen Fehler zu wiederholen, nicht mehr zu spalten und nicht mehr zu polarisieren. Das erfolgreiche Zusammenleben aller Menschen in Glück und Frieden sollte jetzt die Leitmaxime werden, gerade jetzt denn…

………….jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben

– Hermann Hesse –

 

 

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Jahrgang 1976, Unternehmer und Blog-Autor. Studiert nebenberuflich Politikwissenschaft an der FernUniversität in Hagen. Er lebt in der Ruhrgebietsstadt Essen.

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