Von der Logik des Schlachtens und geschlachtet Werdens

Wo es in Deutschland eigentlich Dialog geben sollte, bestimmen leider nicht selten Rituale das Geschehen. Das mag in anderen Ländern auch so sein und es soll hier nicht unterstellt werden, dies würde nur für den deutschsprachigen Raum gelten. Allerdings beschränken sich meine Leseerfahrungen eben weitgehend auf die Medien meiner Muttersprache. Ein wunderbares Muster der Debattenkultur kann man derzeit auf der „Achse des Guten“ erleben. Das ist ein Blog, für den stilistisch gut verpacktes Pöbeln zum Kennzeichen geworden ist. Das gefällt zuweilen und ärgert in den anderen Fällen. Je nachdem, ob man Subjekt oder Objekt der Berichterstattung ist. Ist man Objekt, wird die Erinnerung wach, dass man seinen Nächsten eigentlich fair behandeln müsste. Im Subjektfall klopft man sich im Regelfall auf die Schenkel und freut sich am politisch unkorrekten Tabuverstoß. So war das unlängst auch bei Akif Pirinçci.

Der hatte einen Beitrag unter dem Titel „Das Schlachten hat begonnen“ verfasst – in der üblichen Weise rabulistischer Übertreibung, die ganz offensichtlich das Lesevergnügen der Nutzer des Blogs anspricht. Seine (reduzierte) These: Es gibt in Deutschland so etwas wie einen Rassismus gegen Deutsche und eine Ungleichbehandlung der Opfergruppen von Gewaltverbrechen. Während Opfer brutaler Gewalttaten wie Daniel S., in dessen Fall die Täter Türken gewesen seien, nicht genug gewürdigt werden würden, wäre es bei türkischen Opfern deutscher Täter genau andersherum. Die Deutschen würden zu Opfern, weil sie sich nicht wehrten. Und da der Rahmentext sich auf die Evolutionstheorie Charles Darwins bezieht, kann man davon ausgehen, dass Pirinçci das Aussterben der Deutschen prognostiziert. Auf diesen Beitrag gab es nun eine Antwort von Tobias Kaufmann. Die These: Pirinçci bediene NPD-Stereotypen. Der Text sei erschreckend, zu scharf und im Übrigen sei die These eine Schlechterbehandlung der deutschen Opfer in keiner Weise belegt. Kaufmann habe viel Verständnis für „Polemik, für Sarkasmus und brutale Metaphern“, aber Pirinçcis Text ginge zu weit.

Und flugs gibt es wieder zwei Parteien im politischen Stellungskrieg des 21. Jahrhunderts, die ein Eiserner Vorhang trennt wie im Kalten Krieg. Was aber, wenn man sich auf keinerlei Seite schlagen möchte? Ich persönlich habe jahrelang Texte von der Art jenes Akif Pirinçcis geschrieben. Die Motivation: Zuspitzung, Verschärfung und der dringende Wunsch, wahrgenommen zu werden. Das geht in Deutschland nur, so das Kalkül, wenn man knapp über die Grenzen des Erlaubten hinausgeht. Der Antrieb: Ein Gefühl der Ungerechtigkeit, dass es eine Schlechterbehandlung der Deutschen gibt. Habe ich deshalb heute Verständnis für Pirinccis Text? Im Prinzip ja, und dennoch halte ich ihn in der Sache und erst recht in Diktion für falsch – so wie im Übrigen 90 {29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} der Texte bei der „Achse des Guten“, die zwar gelegentlich witzig erscheinen, aber fast immer andere verletzen. Wenn man karikiert, sollte man Kabarett machen, dies aber nicht als politische Berichterstattung konzipieren. Weder glaube ich, dass systematisch Deutsche abgeschlachtet werden, noch glaube ich, dass das außer ein paar Irren jemand gut finden würde. Habe ich Verständnis für Kaufmanns Text? Im Prinzip ja, aber dennoch halte ich den Inhalt und erst recht die Diktion für falsch. Nicht jeder, der so etwas schreibt, muss sich gleich der NPD-Nähe verdächtig machen. Statt so eines Pauschalvorwurfes sollte man lieber hinter den Text schauen.

Pirinccis Text orientiert sich an Mustern, die von der NPD bis hin zu Thilo Sarrazin gebräuchlich sind. Da wäre die Frage, warum der Autor das so geschrieben hat. Weil er Rassist ist? Oder ist er kein Rassist und macht sich Sorgen? Oder er ist kein Rassist, hat aber über das Ziel hinausgeschossen und Klischees bedient? Womöglich sollte man ihn einmal befragen, um das rauszukriegen. Tatsache ist, dass es auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs Ängste gibt. Die einen meinen, ein deutsches Opfer wäre nichts wert. Die andere Seite sagt: Der Mehrheitsgesellschaft seien türkische Opfer egal. Das drücke sich etwa an der Weigerung des Münchner Gerichtes aus, türkische Medien bei dem Prozess gegen die NSU zuzulassen. Bei diesem Befund sollte man sich ernsthafte Gedanken über gesellschaftliche Prozesse machen. Wie geht die Gesellschaft insgesamt mit Gewaltopfern um? Wie sieht es mit der Empathie gegenüber Opfern oder gegenüber Minderheiten aus? Es scheint doch ganz offensichtlich so zu sein, dass sich weite Teile der Gesellschaft allein gelassen fühlen. Und das bei einem politischen gewollten staatlichen Betreuungsauftrag von Sozialpädagogen und zertifizierten Fachleuten, die es bisher in der Geschichte dieses Landes noch nicht gegeben haben dürfte. Keine Schule ohne Mobbingbeauftragten, und trotzdem nehmen die Fälle der Ausgrenzung und der Angst immer mehr zu.

Und was ist die Antwort? Ein Streit mit gegenseitigen Schuldvorwürfen. Oder Blogs, wie die „Achse des Guten“, die jeden Tag ein wenig mehr ätzendes geistiges Natron in die Wunden einer Gesellschaft streuen, in der jeder jedem misstraut. An einer Lösung dieser Probleme haben weder Pirincci noch Kaufmann gearbeitet. Statt sich gegenseitig verbal zu beschießen, wenn es um das Leid von Menschen in dieser Gesellschaft geht, sollte man lieber Brücken bauen. Offensichtlich gibt es Menschen, die über die Behandlung des Schicksals eines Daniel S. erschrocken sind. Und ganz offensichtlich gibt es Menschen, die eine fehlende Empathie für die Angst fremdstämmiger Menschen in diesem Land empfinden. Statt sich in den Standpunkten zu isolieren, würde es helfen, den Standpunkt des Anderen einzunehmen und ihn verstehen zu lernen. Mir ist klar, dass solch ein Vermittlungsversuch von beiden Seiten mit dem üblichen Hohngelächter begleitet werden wird. Das ist mir persönlich egal. Ich habe aber keine Lust mehr auf einen Kalten Krieg.

[twitter_hashtag hash=“Pirincci, Nationalstaat, AchsedesGuten“ number=“3″ title=““Tweets für {https://integrationsblogger.de/und-wenn-ich-gar-kein-schlachten-moechte-herr-pirincci/?lang=de}“]

Share.

Ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er studierte Deutsch, Geschichte und Politik in Göttingen und war acht Jahre lang Lehrer an einer Waldorfschule. Als Publizist und Politiker arbeitete er viele Jahre im extrem rechten Milieu. Im Juli 2012 stieg er aus dieser Szene aus. Seitdem engagiert sich Molau in Sachen Extremismusprävention bei Seminaren, Vorträgen und in Aufsätzen. Heute ist er selbstständig für das Textbüro dat medienhus tätig.

Comments are closed.