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Folgen einer unglücklichen Labeldiskussion

Das „Störfeuer“ zeige, dass sich die Gülen-Bewewung grundlegende Fragen um die Selbstdarstellung und Kommunikation nach außen stellen sollte. Denn sie stelle zahlreiche Bestrebungen zur Lösung gemeinsamer Probleme bereit. Dies sollte die Öffentlichkeit im Gegenzug aber auch zur Kenntnis nehmen, so Semih Alan.

Am vergangenen Sonntag hat in der Frankfurter Festhalle vor 8.000 Zuschauern die Preisverleihung der Deutsch-Türkischen Kulturolympiade stattgefunden. Diese „Olympiade der Dichter, Denker, Tänzer und Musiker“ hat sich in Deutschland in kurzer Zeit zu einem großen kulturellen Ereignis entwickelt: Deutsche Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund treten in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an. Die Gewinner des Wettbewerbs qualifizieren sich anschließend für das Finale in der Türkei.

Dieses jährliche Ereignis wurde im Vorfeld, aber auch nach der Veranstaltung durch ein mediales Störfeuer begleitet. Hauptkritik betrifft den Veranstalter, dem eine „Nähe“ zur Gülen-Bewegung „nachgesagt“ wird. Die Vorwürfe reichen dabei von „verdeckter Mission“ zu „Geheimbündelei“ und münden in der Lokalisierung der Gülen-Bewegung als „Grenzfall“ für den Verfassungsschutz.

Insbesondere die Verortung als Beinahe-Verfassungsfeind erscheint äußerst befremdlich. Dieser Vorwurf resultiert aus einer unglücklichen Labeldiskussion der jüngsten Vergangenheit: Die teilweise medial erzwungene Dialektik zwischen „Liberalem Islam“ auf der einen Seite und dem „Konservativen“ auf der anderen Seite. Dabei ist nicht geklärt, welche Inhalte die Begriffe „liberal“ und „konservativ“ umfassen. Trotz fehlender inhaltlicher Bestimmungen steht im polarisierenden Diskurs unmissverständlich fest: Das Liberale als Repräsentant eines „zeitgenössischen Islamverständnisses“ ist per se das Gute und das „Konservative“ ist das Böse. Was zunächst wie eine produktive innerislamische Debatte erscheint, ist das Ergebnis von persönlichen und politischen Interessen. Letztlich erfasst diese begriffliche Abgrenzung aber nicht die Lebenswirklichkeit deutscher Muslime. Noch schwerwiegender ist die damit einhergehende Diffamierung und Dämonisierung einer unspezifizierten Menge deutscher Muslime. Fest steht, eine legitime muslimische Orthodoxie jenseits des Labels „zeitgenössischer Islam“ übersteigt die Vorstellungskraft gewisser Kreise unserer Gesellschaft. Entsprechend diesem Schwarz-Weiß-Denkmuster ist es dann nur ein kleiner Schritt, vom ausgemachten „Bösen“ zum Beinahe-Verfassungsfeind abgestempelt zu werden. Dieser fatalen „Argumentation“ folgen einige Kritiker der Kulturolympiade.

Die Gülen-Bewegung wird vom Verfassungsschutz nicht beobachtet. Denn laut hessischem Verfassungsschutz liegen keine Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor. Mit dieser Aussage des hessischen Verfassungsschutzes mögen sich einige Kritiker aber nicht zufrieden geben. Denn wenn die Gülen-Bewegung schon nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wird, dann „muss“ sie doch zumindest ein „Grenzfall“ für den Verfassungsschutz sein. Dieser Vorwurf wird aber nicht mit Argumenten begründet, die verfassungsrechtlich von Bedeutung wären. Stattdessen entsprechen die Vorwürfe der bipolaren Konzeptualisierung: „Zweifel“ an einem „zeitgenössischen Islamverständnis“ reichen bereits aus, um als Beinahe-Verfassungsfeind klassifiziert zu werden. (vgl. beispielsweise Pitt von Bebenburg: „Hahns heikler Termin“, erschienen in der Frankfurter Rundschau am 26.4.2012).

Unabhängig davon, dass ein solcher Vorwurf dem Denken und dem Handeln der Gülen-Bewegung nicht gerecht wird und somit inhaltlich unzutreffend ist, erscheint die Argumentation irritierend und äußerst leichtsinnig. Wenn die Vertreter der Gülen-Bewegung einen wie auch immer gearteten „konservativen“ Islam pflegten, kann dies allerhöchstens Gegenstand einer religionskritischen Auseinandersetzung sein. Sobald die ominösen Konstrukte dieser Schein-Debatte inhaltlich präzisiert sind, kann man darüber sogar debattieren. Betrachtet man die Dinge aber aus verfassungsrechtlicher Sicht, so ist der Vorwurf nicht gerechtfertigt. Es ist nicht erlaubt, ausgehend von einer Unterstellung als Folge der unglücklichen Labeldiskussion, die Gülen-Bewegung als einen „Grenzfall“ für den Verfassungsschutz zu betrachten. Damit verstößt man nämlich gegen fundamentale Prinzipien des Grundgesetzes.

Leider tendiert die Öffentlichkeit allzu schnell dazu, die Aktivitäten und das Engagement von „Muslimen“ argwöhnisch zu betrachten – so auch im Fall der Kulturolympiade. Die Kritiker werfen der Bewegung Intransparenz vor. Dabei entgeht ihnen, dass die Gülen-Bewegung eine Organisationsform sui generis besitzt: Sie besteht teilweise aus hierarchischen Strukturen, zeichnet sich aber überwiegend durch ein informelles Netzwerk aus. Charakteristisch ist eine Kohäsion nach Innen und Interaktion nach Außen. Erst dadurch wird die Kombination aus privat gelebter Frömmigkeit und intensivem Engagement in vielen Lebensbereichen fernab der Religion ermöglicht. Die Motivation für das Engagement speist sich aus der Religiosität und muslimischen Werten.

Die bewährte Leitlinie „Statt dich über die Dunkelheit zu beschweren, zünde eine Kerze an, um Licht zu machen“ ist essentieller Bestandteil der Gülen-Bewegung. Sofern Missstände identifiziert werden, sehen sich Protagonisten innerhalb der Gülen-Bewegung gesellschaftlich dazu verpflichtet, kollektiv Lösungen zur Behebung der Probleme zu erarbeiten und sie auch umzusetzen. Hieraus leiten sich die Beweggründe für das intensive Engagement dieser Muslime ab. Hervorzuheben sind beispielsweise die Gründung von Schulen und Bildungseinrichtungen in Deutschland sowie die Organisation der Kulturolympiade und vielen weiteren Veranstaltungen. Polemische Diskussionen um die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland sind heute an der Tagesordnung. Als Folge heftiger Migrationsdebatten drohen „soziale Bande“ zu reißen. Was liegt in einem solchen angespannten Zustand näher, eine Kulturolympiade zu veranstalten und damit junge Menschen unterschiedlicher Herkunft und Konfession singend und tanzend näher zu bringen?

Fernab des Störfeuers und der überzogenen Kritik sollte aber die Gülen-Bewegung eine wesentliche Erkenntnis aus der „Debatte“ um die Kulturolympiade ziehen: Die Tatsache, dass es wohl Irritationen um die Gülen-Bewegung gibt, wirft grundlegende Fragen nach der Selbstdarstellung und der Kommunikation nach außen auf. Deswegen sollte sich die Gülen-Bewegung noch viel intensiver als bislang der Öffentlichkeit zuwenden. Im Gegenzug sollte die Öffentlichkeit aber auch zur Kenntnis nehmen, dass hier zahlreiche Bestrebungen zur Lösung gemeinsamer Probleme vorhanden sind. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass die Gülen-Bewegung in kein gängiges Schema passt – insbesondere nicht in die Dichotomie: zeitgenössisch vs. Rest.

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