Bildquelle: © Rosel Eckstein / pixelio.de / Blick vom Ölberg auf Jerusalem

Eine abschließende Frage noch. Aktuell haben wir ja erlebt, dass Herr Westerwelle und Herr Erdoğan sich bemüht haben und sich geäußert haben – Herr Erdoğan war in Ägypten, Herr Westerwelle ist sogar in den Gazastreifen geflogen. Aktuell spricht man ja von einer Waffenruhe. Glauben Sie, dass in diesem Zusammenhang der Konflikt in den nächsten zehn Jahren gelöst werden kann?

Andreas Zumach: (Lacht) Zunächst mal zur aktuellen Lage, Herr Westerwelle ist glaube ich in der ganzen Gemengelage der internationalen Diplomatie die allerunwichtigste Figur. Weil er eben auch nichts weiter tut, als im Grunde immer wieder Israels Aktionen zu rechtfertigen mit dem Recht auf Selbstverteidigung. Allerhöchstens vielleicht sagt, eine Bodenoffensive wäre falsch. Aber darüber hinaus eben überhaupt nichts sagt zur Ursache des Konfliktes – also etwa kein Wort zu der anhaltenden Einschnürung und Belagerung des Gazastreifens sagt, die aufgehoben werden müsste. Also von daher ist sein Beitrag irrelevant und was die reale Vermittlung einer Waffenruhe anbelangt, waren die entscheidenden Vermittler der ägyptische Präsident Mursi, die türkische Regierung und die Administration Obama.

Ob es eine Lösung des Konfliktes in den nächsten 10 Jahren geben wird, kann ich Ihnen seriöserweise weder versprechen noch kann ich es ausschließen. Was ich nur sagen kann, ist, dass, wenn sie gewollt wird, wenn sie in den wesentlichen westlichen Hauptstädten, angefangen von Washington über London, Paris und Berlin, wirklich gewollt wird, diese Lösung auch möglich ist. Dann ist sie innerhalb von zwei Jahren herstellbar – mit den erforderlichen Druckinstrumenten auf die israelische Seite, vor allem die Regierungsseite. Natürlich auch auf die palästinensische, sollte diese sich hinsichtlich einer Lösung noch sperren. Zweitens bedarf es eines notwendigen Anreizes. Und drittens der notwendigen überzeugenden Sicherheitsgarantien. Dazu gehört etwa die von mir bereits erwähnte UNO-Blauhelmtruppe an der Grenze zwischen Israel und einem künftigen palästinensischen Staat.

Sie haben eine Frage nicht angesprochen, die will ich dann doch noch ansprechen, weil sie mir jetzt fast überall begegnet, wo ich die Frage diskutiere: Das Leute sagen, das mit der Zweistaatenlösung könne man inzwischen vergessen, angesichts der Fakten, die on the Ground geschaffen worden sind durch die israelische Seite. 

Gemeint ist die Besiedlung mit immerhin inzwischen 500.000 illegalen Siedlern auf der Westbank. Dann die ganzen Straßen, die ganzen Sperren, über 720 Kontrollstellen usw. – Wo soll hier noch ein palästinensicher Staat entstehen, der überlebensfähig wäre? Ein zusammenhängendes Teritorium gehe doch gar nicht mehr. Das hört man immer mehr. Das hört man in der Diskussion bei uns. Das hört man aber auch von kritischen israelischen Intellektuellen, die die Politik der eigenen Regierung seit Jahren kritisieren. Und dann wird gesagt, was jetzt nur noch möglich sei, wäre ein gemeinsamer Staat auf dem gesamten Gebiet. Also ein Staat, in dem Israelis und Palästinenser leben. 

Dazu will ich Folgendes sagen, erstmal grundsätzlich, rein abstrakt gesprochen: Natürlich wäre ein gemeinsamer Staat möglich, ein laizistischer Staat, der eben keine Theokratie ist wie die Regierung Netanyahu das will, wenn sie von einem jüdischen Staat spricht, den die Palästinenser anerkennen müssten, wenn es ein laizistischer Staat ist, wo jede Bürgerin und jeder Bürger nach seiner Religion leben kann, ob Jude, Muslim, Christ oder was auch immer. Wo die heiligen Stätten dieser drei Religionen, die ja nun alle in Jerusalem liegen, frei zugänglich sind für alle Angehörigen dieser Religionen. Das wäre natürlich die ideale Lösung. Insbesondere mit Blick auf die begrenzte Gesamtfläche, über die wir hier reden – also des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina, mit Blick auf die sehr begrenzten Ressourcen, Wasser als Beispiel, auf die Logistik, die Verkehrswege und und und… Es ist im Grunde völlig idiotisch, hier zwei Staaten haben zu wollen. Ist so ein bisschen ähnlich wie das Begehren der Kosovo-Albaner auf ihren eigenen Staat. Und vielleicht werden wir in 50 Jahren erleben, dass Israelis und Palästinenser in die Geschichte zurückblicken und sagen: „Was waren wir bescheuert…?“ 

Dasselbe wird möglicherweise zwischen den Kosovo-Albanern und den Serben in Belgrad auch passieren. Die Situation hat natürlich spezifische Unterschiede, aber es gibt viele Gemeinsamkeiten. Also das ist jetzt aus der Warte der europäischen Geschichte, wo wir nun längst die Nationalstaaten alle hatten, auch blutig erkämpft und wo wir inzwischen ja auch in der Phase der Föderalisierung Europas sind, der Überwindung der nationalstaatlichen Grenzen usw.

Aber: Erstens haben es nicht wir zu entscheiden. Das sage ich auch an die Adresse all derer hier bei uns in Deutschland, die sagen, nein, die Zweistaatenlösung ist passé. Zweitens beantwortet niemand die Frage, ob denn die israelische Führung und die israelische Politik bereit wären zu einem gemeinsamen Staat, mit wirklich gleichen Rechten dann auch für die arabischen und palästinensischen Bürger. Davor muss man große Fragezeichen setzen. Also ist diese Option keine realistischere als die Zweistaatenlösung. Und drittens: Ich fürchte, der eigene Staat, das Versprechen auf diesen eigenen Staat mit der UNO-Resolution vom November 1947, ist nach wie vor so identitätsstiftend für die Palästinenserinnen und Palästinenser, die noch in der Westbank und im Gaza leben oder zum Teil seit 40 Jahren in den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Libanon. Oder auch selbst weit draußen in der Diaspora an der amerikanischen Westküste in Australien. Das ist nach wie vor so wichtig, dieses Ziel, nicht nur rein symbolisch, dass die Palästinenser erstmal durch diese Phase der Eigenstaatlichkeit durch müssen. Das müssen sie erlebt und erreicht haben, um dann möglicherweise nach 20-30 Jahren mit einem eigenen Staat zu der Erkenntnis zu kommen, eine Föderation mit Israel oder gar ein gemeinsamer Staat wäre doch die beste Lösung. Aber zunächst mal müssen sie durch diese Erfahrung durch, fürchte ich, da gibt es keinen Weg drumherum. Und deswegen sollte man die Forderung nach einer gerechten Zweistaatenlösung nicht aufgeben. 

Diese kann nur „Zwei Staaten in den Vorkriegsgrenzen von 1967“ lauten – natürlich mit beiderseitig vereinbarten Korrekturen am Grenzverlauf. Die Basis müssen die Vorkriegsgrenzen von 1967 sein. Und wenn dann gesagt wird, das geht doch nicht mehr – ich habe diese Frage bei meinem letzten Besuch in Israel diskutiert. Mit Moshe Zuckerman zum Beispiel, Professor an der Uni Tel Aviv, der eigentlich auch die Möglichkeit nicht mehr sah. Und dann warfen wir die Frage auf, was müsste passieren? Und er hat gesagt, da müsse eine israelische Regierung den Siedlern sagen, ihr müsst die Siedlungen verlassen. Ihr müsst die Westbank räumen. Dabei müsse natürlich ausreichender Ersatzwohnraum im Kernland Israels zur Verfügung gestellt werden. Und dann hat er gesagt, dann werden die meisten gehen, knurrend und murrend zwar, aber sie werden gehen. 30.000-40.000 werden sagen, sie bleiben und die Waffe zur Hand nehmen. Und da müsste eine israelische Regierung bereit sein, die Armee reinzuschicken und dann würde es möglicherweise gewalttätige Auseinandersetzungen geben mit mehreren Hundert Toten auf beiden Seiten. Das wäre der Preis, so seine Antwort von vor mittlerweile zwei Jahren.

Das müsse man wissen. Völlig richtig, wenn man das will – aber ich denke, die andere Option wäre noch unrealistischer, der gemeinsame Staat. So vernünftig er uns auch erscheinen mag. Die Option, jetzt alles weiter beim Alten zu lassen und den Konflikt sich weiter zuspitzen zu lassen mit Gewalteskalation und noch mehr Hass auf beiden Seiten, ist keine Option. Es passiert ja auch eine Radikalisierung und Fundamentalisierung innerhalb der israelischen Bevölkerung, innerhalb der Siedler. Das kann man feststellen. Und das läuft dann irgendwann zu auf einen neuen großen Krieg in der Region – möglicherweise unter Beteiligung dann auch einiger arabischer Staaten, wo Israel sich dann nicht mehr wie bisher darauf verlassen kann, das es doch die militärisch hoch überlegene Macht ist. 

Das ist es heute noch. Auch im Konflikt mit der Hamas und ihren Raketen, aber das ist keine Garantie für die Zukunft.

Herr Zumach, wir bedanken uns bei Ihnen für dieses Impulsreiche und Aufschlussreiche Interview und hoffen, dass wir noch sehr viel lesen und hören werden von Ihren seriösen Analysen zum Nahost-Konflikt.

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Lesen Sie auch hier:

Nahost-Experte Andreas Zumach: „Ist es tatsächlich so schwierig, friedensstiftend einzugreifen?“ 1. Teil

„Die israelische Führung und die Militärs haben unverhältnismäßig reagiert“ 2. Teil

„Die Hamas brauchte diesen Konflikt auch“ 3. Teil

Muss Israel vor dem Iran Angst haben? 4. Teil

Wer sind die ärgsten Feinde Israels? 5. Teil

 

 

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Als Integrationsblogger gründete ich 2010 diesen Blog, inspiriert durch die Sarrazin-Debatte. Geboren 1977 in Dortmund als Kind türkischer Einwanderer, durchlebte ich vielfältige Rollen: vom neugierigen Sohn zum engagierten Schüler, Breakdancer, Kickboxer, Kaufmann bis hin zu Bildungsleiter und Familienvater von drei Töchtern. Dieser Blog ist mein persönliches Projekt, um Gedanken und Erlebnisse zu teilen, mit dem Ziel, gesellschaftliche Diversität widerzuspiegeln. Als "Integrationsblogger" biete ich Einblicke in Debatten aus meiner Perspektive. Jeder Beitrag lädt zum Dialog und gemeinsamen Wachsen ein. Ich ermutige euch, Teil dieser Austausch- und Inspirationsquelle zu werden. Eure Anregungen, Lob und Kritik bereichern den Blog. Viel Freude beim Lesen und Entdecken!

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