Der Facebook-Event „1.000.000 Menschen gegen Kinderschänder“  [1] dürfte zu den wenigen dieser Sorte gehören, die ihrem Namen – zumindest was die Zahl der anvisierten Teilnehmer betrifft – gerecht werden könnten.

Mit Stand vom 7.2.2013 haben mehr als 761.000 Personen ihre Teilnahme erklärt und sich auf diese Weise mit dem Anliegen solidarisiert, weitere 117.500 klickten auf die Option „Teilnahme unsicher“. Eingeladen wurden bis dato bereits mehr als 3,200.000 Menschen.

Es darf deshalb keiner überrascht sein, von eigenen Freunden eingeladen zu werden oder diese bereits auf der Unterstützerliste zu finden.

Auch wenn die deutsche Geburtenrate ins Bodenlose gesunken ist und Tendenzen zur Verstaatlichung der Kindererziehung, Kinderarmut, Bildungsnotstand und Verwahrlosung ebenso wenig den Eindruck eines kinderfreundlichen Landes vermitteln wie die vielfache Zerstörung der Kindheit durch Assimilierungszwang, Frühsexualisierung, Rauschmittel, Gewalt oder zerbrochene Familien, vermögen besonders grausame Verbrechen an Kindern, wie sie von Zeit zu Zeit durch die Medien gehen, immer noch breite Empörung auszulösen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es vielen Menschen in Deutschland als selbstverständlich, sich in sozialen Netzwerken öffentlich mit ihrem Namen für ein Anliegen auszusprechen, das ihnen unter den Nägeln brennt – nämlich den Einsatz gegen sexuellen Missbrauch von Kindern.

Tendenz erst bei genauerem Hinsehen erkennbar

So weit, so gut. Die Tatsache, dass Hunderttausende andere Menschen sich ebenfalls öffentlich gegen Kindesmissbrauch aussprechen, gibt dem Einzelnen, der sich oft angesichts schockierender Schicksale von Kindern ohnmächtig fühlt, auch ein gewisses Maß an Vertrauen dahingehend wieder, dass Ereignisse, wie sie durch die Medien gehen, einen Ruck auslösen und Menschen beginnen, bewusster hinzusehen, wenn den Kleinsten Leid geschieht.

In so einer Situation fragen auch nur wenige, was die Veranstaltung, die sie unterstützen, nun tatsächlich unternehmen will, um künftige Fälle von Kindesmissbrauch zu vermeiden. Und noch weniger dürften sich die Frage gestellt haben, wer hinter der Veranstaltung steht.

Initiator der Veranstaltung ist die Gruppe „Deutschland gegen Kindesmissbrauch“. Und auch sie ist nicht übermäßig konkret, was die Preisgabe von Informationen über ihre Betreiber anbelangt. Was eigentlich schon mal verwunderlich erscheinen muss, denn es dürfte nicht unbedingt einen Verlust an sozialem Prestige nach sich ziehen, als Initiator einer Gruppe gegen Kindesmissbrauch zu gelten, die sich tatsächlich in der Lage gezeigt hat, bis zu 1 Million Menschen für ihr Anliegen zu begeistern.

Dass die Initiatoren lieber ihre Anonymität wahren, hat auch nicht unbedingt damit zu tun, dass sie selbst Angst vor Kinderschändern hätten. Nur wenige werden auch auf den ersten Blick das Profilbild wiedererkennen, auf dem die Parole „Finger weg von unseren Kindern“ zu lesen ist. Und da es nicht so viele Menschen mit fotografischem Gedächtnis gibt, werden noch weniger die Ähnlichkeit der Schriftart und der Aufmachung zu Wahlkampfplakaten einer ganz bestimmten Partei in der Zeit zwischen 2005 und 2010 bemerken.

Selbst sehr emotionale Bilder und Texte („Wir hassen Kinderschänder“) oder der von einigen Kommentatoren aufgeworfene Ruf nach der Todesstrafe als Sanktion für den Mord an Kindern lassen nicht unbedingt vermuten, dass hier extremistische Kräfte am Werk wären. Schließlich gibt es diese auch in Demokratien, beispielsweise vielen Bundesstaaten der USA, und auch in den Ländern wie der Türkei oder Indien werden speziell mit Blick auf die besondere Abscheulichkeit und Brutalität mancher Sexualverbrechen diese Debatten auch auf politischer Ebene geführt.

In Deutschland ist sie allerdings nicht besonders zielführend, da Art. 102 GG die Todesstrafe auf verfassungsgesetzlicher Ebene für abgeschafft erklärt hat (entgegen der Überzeugung vieler heutiger Zeitgenossen sollen dabei nicht unbedingt primär humanitäre Erwägungen eine Rolle gespielt haben, sondern vielfach eine Trotzhaltung gegenüber den Bemühungen der Alliierten, Nazi-Kriegsverbrecher für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen) und Zwei-Drittel-Mehrheiten in den Parlamentskammern, die erforderlich wären, um dies zu ändern, als völlig ausgeschlossen angesehen werden können.

„Kinderschutz“-Seite liket Seite, die Kinder mit Massenvernichtungswaffen gleichsetzt

Was allerdings auch politisch weniger Interessierten auffallen sollte, ist, wie stark die Beiträge, die in der Gruppe gepostet werden, den Rahmen dessen sprengen, was mit dem Themenbereich „sexueller Missbrauch von Kindern“ unmittelbar zusammenhängt.

Bilder mit Überschriften wie „Deutsch sein ist kein Verbrechen“ werfen durchaus die Frage auf, ob hier nicht auch noch andere Anliegen als der Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen verfolgt werden.

Die „Gefällt mir“-Angaben, die im Namen der Seite selbst gemacht wurden, lassen endgültig erahnen, dass es bei den Betreibern mit der Kinderfreundlichkeit nicht so weit her sein kann, sondern vielmehr Ideologie transportiert werden soll.

Ein „Like“ der Seite selbst geht beispielsweise an die „Clown-Union“, ein rechtsextremistisches „Comedy“-Projekt, das schon mal zum Zwecke der gezielten Dehumanisierung einer Bevölkerungsgruppe die Geburt von Kindern mit ausländischer Herkunft bzw. von muslimischen Eltern mit einer Atombombe verglich. Andreas Molau hatte damals, obwohl er noch in Diensten der PRO-Bewegung stand, auf einem dieser nahestehenden Seite kritische Artikel dagegen veröffentlicht. Eine „Kinderschutz“-Seite, die Kinder zu legitimen Zielen kriegerischer Aktionen stempelt?

Darüber hinaus bringt die Gruppe „Deutschland gegen Kindesmissbrauch“ durch ein „Gefällt mir“ eine Identifikation mit der Aktion „Finger weg von meinem Pimmel (NEIN zur Genitalverstümmelung bei Kindern – schau nicht weg!!!)“ zum Ausdruck. In dieser vereinigen sich fundamentalistische Atheisten, Sozialisten und Kommunisten, Antisemiten und Islamfeinde, um gegen die bei Juden und Muslimen verbreitete Tradition der Knabenbeschneidung Stimmung zu machen und die Forderung zu erheben, der Staat möge an Stelle der Eltern die Erziehung von Kindern übernehmen. Würde es sich bei „Deutschland gegen Kindesmissbrauch“ tatsächlich um eine Initiative handeln, die sich mit dem Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch befasst, wäre es widersinnig, durch die Parteinahme in anderen, kontroversen Themenbereichen eine Spaltung unter den Unterstützern herbeizuführen.

Die Doppelzüngigkeit in der „Insel“-Debatte

Auch die Beiträge, die durch die Gruppe selbst gepostet werden, haben mit dem Thema „sexueller Missbrauch von Kindern“ nicht wirklich etwas zu tun. Ein nicht unerheblicher Teil der Beiträge enthält Stimmungsmache gegen Minderheiten, vor allem gegen türkische und arabische Mitbürger, denen vorgeworfen wird, „Inzestehen“ zu pflegen sowie Hetze, wie man sie von den üblichen Seiten kennt, die der apokalyptischen Endzeitsekte der „Islamkritik“ zuzuordnen sind.

Darüber hinaus finden sich unter den Beiträgen beispielsweise auch noch Propaganda der FPÖ, pauschalisierende Hetze gegen die Katholische Kirche oder weitere sachfremde Beiträge mit Bezug auf Themen wie die Bombardierung Dresdens im Jahre 1945.

Allerdings teilt die Gruppe am Ende doch zumindest vereinzelt Artikel aus der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“, die tatsächlich in irgendeiner Weise zumindest indirekt mit Kindesmissbrauch zu tun haben. So solidarisiert man sich mit einem fallweise massiv durch neonationalsozialistische „Freie Kameradschaften“ angestachelten Mob im altmärkischen Dorf Insel, der alle Register gezogen hatte, um zwei aus der Haft entlassene verurteilte Sexualstraftäter, die sich dort angesiedelt hatten, wegzuekeln – und dessen Dorfgemeinschaft zu weiten Teilen wenige Jahre zuvor die Eltern einer von einem anderen Dorfbewohner vergewaltigten 11-Jährigen dazu überredet haben soll, von einer Anzeige abzusehen, um dem mutmaßlichen Täter nicht die Zukunft zu verbauen. Unter den Demonstranten gegen die unerwünschten Neubewohner sollen übrigens – so berichtet das Blog „Bonjour Tristesse“ – auch die Eltern des damaligen jugendlichen Vergewaltigers gewesen sein. Und selbstverständlich dürfte jeder der Teilnehmer an anderer Stelle gerne die Gefahr einer „Paralleljustiz“ beschwören, die das staatliche Rechtssystem aushöhlen würde.

Den Eindruck, dass die facebook-Seite „Deutschland gegen Kindesmissbrauch“ einen eindeutigen neonationalsozialistischen Hintergrund hat, bestätigt auch das „Netz gegen Nazis“. Dort wird nachgewiesen, dass die Kampagne das Nachfolgeprojekt zur gelöschten Seite „Keine Gnade für Kinderschänder“ des NPD-Kaders Frank Franz darstellt und zumindest noch im Juli 2011 von bekannten Rechtsextremisten wie dem Dresdener NPD-Funktionär René Despang und der „patriotischen Rapperin“ Mia Herm („Dee Ex“) administriert wurde.

Emotionalisierung zum Zwecke der Feindbildpflege

Es ist offensichtlich, dass das Thema „Sexueller Missbrauch von Kindern“ lediglich ein Lockmittel darstellen soll, um Menschen auf hoch emotionaler Basis für ein konsensfähiges Anliegen zu gewinnen und in der Folge mit nationalsozialistischer und rassistischer Ideologie zu indoktrinieren. Es sollen primär nur „deutsche Kinder“ als schutzwürdig erscheinen und der Begriff „Täter“ an das Adjektiv „fremd“ und dabei primär „muslimisch“ gekoppelt werden. Illustrationen beispielsweise zu Fällen des sexuellen Missbrauchs und Menschenhandels an Minderjährigen in England weisen eindeutig in diese Richtung.

Dass nicht wenige Personen, die wegen Sexualstraftaten vorbestraft sind, heute sogar politische Funktionen in Parteien wie der NPD oder Pro NRW ausüben, wird ebenso wenig als Widerspruch angesehen wie die Tatsache, dass sich die NPD Niedersachsen beispielsweise 2007 unter abenteuerlichen Behauptungen (z.B. in der Türkei gelte „Scharia-Recht“) mit einem deutschen Jugendlichen solidarisiert hatte, der in der Türkei wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs einer 13-Jährigen inhaftiert worden war.

Offenkundig ist es nicht das Ziel der Aktion, Menschen für das Thema Kindesmissbrauch zu sensibilisieren oder dazu zu bringen, genauer hinzusehen, was tatsächlich sinnvoll wäre.

Es geht vielmehr um etwas anderes. Zum einen soll natürlich an Ängste appelliert werden und soll der Eindruck bestärkt werden, der Schutz von Kindern vor Missbrauch wäre den demokratischen Kräften kein Anliegen. Die Darstellung, dass diesen „Täterschutz vor Opferschutz“ gehe, ist ein eindeutiges Signal in diese Richtung.

„Jud Süß“ reloaded

Zum anderen – und das ist noch das weitaus Perfidere – soll die berechtigte Empörung von Bürgern über sexuelle Gewalt an Kindern instrumentalisiert werden, um gezielt politische Gegner und vor allem missliebige Bevölkerungsgruppen zu dehumanisieren.

Die Strategie, diese als morallose und sexuell verkommene Vergewaltiger zu inszenieren, damit auf der Klaviatur sexueller Ängste und Aggressionen zu spielen und darauf gezielt Hetze aufzubauen, ist bereits aus dem mittelalterlichen Antijudaismus bekannt und wurde durch die totalitären Regime des 20.Jahrhunderts auf die Spitze getrieben – vor allem durch die Nationalsozialisten, beispielsweise in Propagandafilmen wie „Jud Süß“.

Da die „Islamkritik“ – wie man an Seiten aus dem PI-Dunstkreis oder „Deutschland gegen Multi-Kulti“ auf facebook leicht erkennen kann – mehr oder minder offen aus dem propagandistischen Erbe des durch die Jahrhunderte in Europa gepflegten Antisemitismus guttenbergt und die „bewährten“ Propagandataktiken zum Teil 1:1 übernimmt, ist es kein Wunder, dass auch auf Motive wie den „Kinderschänder Mohammed“ (FPÖ-Politikerin Susanne Winter) oder die Lancierung von Meldungen zurückgegriffen wird, die Muslime als sexuell Perverse und gefährliche Personen porträtieren soll.

Wo diese Form der Stigmatisierung und Dehumanisierung endet, wissen wir aus der Geschichte. Zu schade, dass die Bereitschaft, aus dieser zu lernen, in Deutschland und Europa enden wollend zu sein scheint.

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1 Auf Facebook wurde nun eine Gegenaktion gestartet zu der wir alle recht herzlich einladen: Gegenveranstaltung zur irreführenden VA der NPD. Bitte zusagen und teilen !!!

[twitter_hashtag hash=“NPD, Antiislamismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus, Kindesmissbrauch“ number=“3″ title=““Tweets für {https://integrationsblogger.de/nepper-schlepper-neonazis-npd-steuert-facebook-kampagnen-gegen-kindesmissbrauch/?lang=de}“]

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Jg. 1973, ist allein erziehender Vater, freiberuflicher Lektor, Lerncoach und Kommunikationsdienstleister. In diesem Rahmen ist er unter anderem Redakteur beim "Deutsch-Türkischen Journal", Betreuer der Wirtschaftsblogs "Wirtschaft Global" und der "Blickpunkt"-Reihe aus dem Hause der ADMG Publishing Ltd. (Saigon). Er lebt in Bernburg/Saale.

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