Die im Jahr 2006 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ins Leben gerufene Deutsche Islamkonferenz (DIK) ist gescheitert. Hätte es aber nicht wirklich funktionieren können – als “Dialog auf Augenhöhe”, so wie sich das die teilnehmenden Muslime vorgestellt hatten? Anscheinend nicht! Denn wer den Dialog erhofft, kann gleichzeitig schlecht die Sicherheitspolitik zum primären Thema auf die Tagesordnung der Konferenzen erheben. Nur dumm, dass die eigentliche Gefahr neben der Schaubühne ablief – nämlich in Zwickau.
Die Islamkonferenz hatte zum Ziel, die Eingliederung der etwa viereinhalb Millionen Muslime in Deutschland zu verbessern und „anstatt über die Muslime mit ihnen“ zu sprechen. In seinem Vorwort anlässlich des dreijährigen Bestehens der Islamkonferenz sprach Wolfgang Schäuble 2009 davon, dass die DIK einen „institutionellen Rahmen für den Dialog zwischen Menschen muslimischen Glaubens und Vertretern aller Ebenen unseres Gemeinwesens“ biete, dass die Muslime darüber hinaus „ein Teil unserer Gesellschaft und unseres Landes“ seien und dass das Gremium demonstriere, „wie wichtig der regelmäßige Dialog zwischen Staat, Muslimen und Gesellschaft“ sei – für die Integration der Muslime und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Für Schäuble bedeutete die Einberufung der DIK eine Überwindung der „Sprachlosigkeit der vergangenen Jahrzehnte“, was „neue Perspektiven für Gemeinsamkeit“ schaffe. Da Wolfgang Schäuble das muslimische Leben in Deutschland als eine „Lebenswirklichkeit“ bezeichnete, kann davon ausgegangen werden, dass sich seit spätestens 2006 eine Veränderung in der Betrachtungsweise der Muslime durch den deutschen Staat ergeben haben muss.
Gastgeber Wolfgang Schäuble rief die Muslime in Deutschland auf, sich stärker in die Gesellschaft zu integrieren und „deutsche Muslime“ zu werden. Gleichzeitig fügte er hinzu, dass der Islam gerade dafür stehe, was vielen Menschen in Deutschland zu entgleiten drohe: „Die Wichtigkeit von Familie, der Respekt vor den Alten, ein Bewusstsein und Stolz mit Blick auf die eigene Geschichte, Kultur, Religion, Tradition, das tägliche Leben der eigenen Glaubensüberzeugung“.
Teile und herrsche!
Die erste Zusammenkunft der rund 30 Konferenzteilnehmer in Berlin, darunter Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden sowie Gesandten der islamischen Religionsgemeinschaften und „unorganisierten“ Einzelpersonen, fand im September 2006 unter großem Medienecho und mit hohen Erwartungen auf beiden Seiten statt. Dass Vertreter muslimischer Organisationen in Deutschland mit offiziellen Staatsbediensteten an einem Tisch saßen, verhieß Hoffnung für die Zukunft, besonders im Hinblick auf die gleichberechtigte Anerkennung des Islam als körperschaftliche Religionsgemeinschaft. Im März 2007, wenige Wochen vor der zweiten Zusammenkunft der DIK, wurde von den teilnehmenden muslimischen Verbänden der Konferenz ein geeinter Dachverband, der „Koordinierungsrat der Muslime“ (KRM) gegründet. Im KRM sind die vier größten islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland organisiert: DITIB, ZMD, Islamrat und VIKZ. Zunächst positiv aufgenommen, wurde der KRM wenige Tage später in der Öffentlichkeit als Symbol einer „schleichenden Reislamisierung“ dargestellt.
Aufgrund von Bundestagswahlen und Kabinettsumbildungen wurden die späteren Plenarsitzungen der DIK unter der Schirmherrschaft der nachfolgenden Innenminister, zunächst Thomas de Maizière und anschließend Hans Peter Friedrich, durchgeführt. Doch weder de Maizière noch Friedrich schafften es, an die anfänglichen Erfolge Schäubles anzuknüpfen. Schlimmer noch: Eine Diskussion über den Fortbestand sowie den Sinn der DIK stellte die gesamte Dialogplattform zur Disposition. Die beiden großen Spitzenorganisationen der DIK, der Zentralrat der Muslime (ZMD) und der Islamrat (IR) traten aus der DIK aus, da sie die „Dialogplattform“ eher als ausgrenzend denn als integrationsfördernd empfanden. Darüber hinaus gab es Konflikte um die Einladung bewusster so genannter „Islamkritiker/innen“, die angeblich Vertreter/innen der „nichtorganisierten Muslime“ sein sollten.
So gibt es in der DIK mittlerweile lediglich noch die Türkisch-Islamische Union (DITIB) und den Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), welche die praktizierenden Muslime vertreten. Wie viele Muslime diese Organisationen vertreten, bleibt offen, da immer noch keine gesicherten empirischen Daten darüber vorliegen. Die ehemalige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John (CDU), bezeichnete die DIK daher als einen „Gipfel der Abwesenden“. Auch Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister aus Berlin, nannte die Islamkonferenz in der derzeitigen Form eine „Farce“. Somit scheint klar zu sein, dass die „Konferenz mit dem Islam“ ihre Legitimität verloren hat, da nur noch zwei islamische Verbände übrig geblieben sind und die Mitglieder des KRM – ob beabsichtigt oder nicht – faktisch gegeneinander ausgespielt wurden.
Friedrich fällt Gesprächspartnern in den Rücken
Das Vertrauensverhältnis zwischen dem jetzigen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und den Muslimen hingegen war – zunächst wegen diskriminierender Äußerungen des Ministers und später auch noch auf Grund seiner Initiative Sicherheitspartnerschaft (ISP) sowie der dazu gehörigen „Vermisst-Kampagne“ – von Anfang an zerrüttet. Friedrich ließ mit seiner, auch vom rechten Rand bejubelten, Äußerung von wegen „dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt”, jegliches Augenmaß und jedweden Realitätssinn vermissen. Gerade ein Minister des Innern, dessen Aufgabe es gewesen wäre, den begonnenen Dialog mit den islamischen Gemeinden fortzuführen, hätte beim Thema Islam mehr Sensibilität vorweisen können.
Zudem deutete vieles darauf hin, dass aus der DIK eine Art Sicherheitskonferenz kreiert werden sollte, was sich dann auch im Juni 2011 mit der Einberufung des „Präventionsgipfels“ verdeutlichte und in Gestalt der Initiative Sicherheitspartnerschaft fortgesetzt wurde. Die ISP war ein herber Rückschlag für die Kooperation zwischen den islamischen Religionsgemeinschaften und der Politik. Die „Partnerschaft“ mündete schließlich in ein Desaster. Alle „Partner“ bis auf die AABF (Alevitische Gemeinde Deutschland e.V.) verließen diese stigmatisierende Partnerschaft, die Muslime pauschal zu Kriminellen deklarierte.
Ein Verbandsvertreter drückt es folgendermaßen aus: „Wir gingen am Anfang der Islamkonferenz einen Dialogprozess ein, der am Ende in eine ‚Vermisst-Kampagne‘ und Sicherheitsdebatte mündete. Ein weiteres Kuriosum war, dass wir als muslimische Gemeinschaften Bücherverboten zustimmen sollten. Von einem Dialog auf Augenhöhe kann keine Rede mehr sein.“
Die Verantwortung dieser „Entartung der DIK“ dürfte bei den „Falken“ sowie einigen ihrer „islamkritischen“ Berater und Teilen ihrer ethnonationalistischen Mitarbeiter liegen. Auch die Leistung des Ministers im Hinblick auf die Aufarbeitung der Ereignisse vor Aufdeckung der rechtsextremistischen „Zwickauer Terrorzelle“ (NSU) ließ zu wünschen übrig.
Ex-Bundespräsident Christian Wulff hat hier deutlich mehr Signale an die Migranten in Deutschland gesetzt. Für Wulff waren Migranten in Deutschland gleichberechtigte Staatsbürger und keine Menschen zweiter oder dritter Klasse. An dieser modernen Sichtweise hätten sich andere Politiker ein Beispiel nehmen können. Aber gerade auch für diese moderne Staatsführung wurde Wulff von diversen Seiten angegriffen. Nicht zuletzt durch die oben erwähnten „Falken“.
Die Gefahr kommt von rechts
Der Initiator der Islamkonferenz, Ex-Innenminister Schäuble, hätte wohl im Gegensatz zu dem Franken Friedrich eher dem Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer Glauben geschenkt. Denn dieser bestätigt: „Die Zahl der Rechtsextremisten ist sicher weit größer als die der Jugendlichen, die in den Islamismus abgleiten könnten.“ Für die Sicherheitsexperten im Lande wäre es auch nicht verkehrt, wenn sie dem Migrationsforscher und Historiker Klaus J. Bade ein Ohr schenken würden. Seine konstruktiven Ratschläge sind nicht zu unterschätzen. Wolfgang Schäuble hat das als Innenminister sehr gut gewusst und auch genutzt. Er ließ sich von Professor Bade jahrelang beraten.
Der Öffentlichkeit wurde jedoch ständig ein anderes Bild präsentiert. Nämlich, dass die extremistische und terroristische Gefahr in Deutschland nicht in erster Linie durch Rechtsradikale, sondern durch so genannte „Islamisten“ und Muslime verkörpert würde. Doch die Angriffe auf Moscheen und islamische Einrichtungen, auf Linke und politisch Andersdenkende und vor allem die NSU-Morde haben das Gegenteil verdeutlicht. Der derzeitige Sprecher des KRM, Aiman A. Mazyek, spricht von „rund 30 bekannt gewordenen Anschlägen auf islamische Einrichtungen in Deutschland allein im letzten Jahr 2012“. Die islamischen Religionsgemeinschaften seien, so Mazyek, äußerst besorgt und angespannt, wie es um den zukünftigen Schutz der einzelnen Menschen und ihrer Gotteshäuser bestellt sei. Daher wäre eine neue Initiative Sicherheitspartnerschaft sehr begrüßenswert, die sich mit der Sicherheit der Muslime in Deutschland beschäftigt, sie vor Rechtsterror schützt, ihnen wieder das verlorengegangene Sicherheitsgefühl vermittelt und Vertrauen zurückgibt.
Seit dem 11. September 2001 gibt es aber auch verstärkte Integrationsbemühungen – sowohl aufseiten der Muslime wie auch aufseiten der staatlichen Institutionen. So gibt es eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Behörden und muslimischen Akteuren. Die Deutsche Islamkonferenz unter der Regie des Innenministeriums, der Integrationsgipfel unter Leitung der Bundesbeauftragten für Migration und Integration, ein sog. „Nationaler Integrationsplan“ und verschiedenste Zusammenkünfte, „runde Tische“ und Initiativen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene verdeutlichen die gesellschaftlich-politische Relevanz der Integration der Muslime nach dem 11. September.
Auch wenn das Ziel eines „Dialogs auf Augenhöhe“ manchmal durch einen „Monolog auf Augenhöhe“ ersetzt wird, geht der Weg in die richtige Richtung: Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts als bekenntnisorientiertes und ordentliches Schulfach in einigen Bundesländern, die Einführung von islamisch-theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten sowie die Ausbildung von Imamen und islamischen Gelehrten in Deutschland, unter der Aufsicht des deutschen Staates, können als wichtige Reaktion auf die Debatte nach dem 11. September und ebenso als Errungenschaften der DIK angesehen werden.
Was hat die Islamkonferenz bisher erreicht?
Auch wenn Kritiker diese Errungenschaften als Versuch zur Erzeugung eines „Deutschen Islam“ in Misskredit zu bringen versuchen, sieht die Zukunft in Deutschland genau so aus. Dieser Realität müssen sich einige Organisationen stellen. Das heißt auch, dass sie Sorge tragen, geeignetes Personal für die Zukunft des Islam in Deutschland ausbilden. Zumindest haben die Debatten, die durch den 11. September ausgelöst wurden und in der DIK auf der Tagesordnung standen, diese gesellschaftlich-politischen Erneuerungen beschleunigt. Sie haben wie eine Art Katalysator auf die Integration der Muslime in Deutschland gewirkt.
Es gibt aber auch negative Auswirkungen für die Muslime: Das Thema „Islam“ wird nach dem 11. September stark politisiert und ideologisch diskutiert. Die muslimischen Einwanderer und ihre Religion werden oft als Gegenpol zur christlichen oder deutschen Mehrheitsbevölkerung dargestellt. Es geht dabei um schlichte „Freund-Feind-Denkmuster“, um „Wir“ und „Ihr“, wobei der Versuch unternommen wird, durch die Abwertung des „Anderen“ das „Eigene“ zu stärken. Darin verdeutlicht sich auch ein eigenes Identitätsproblem der Mehrheitsbevölkerung. Durch die Ab- und Ausgrenzung des „Anderen“ soll eine eigene „deutsche Identität“ geschaffen und gestärkt werden.
In Deutschland und Europa hat ein Wandel in der Wahrnehmung von Minderheiten stattgefunden: Vor dem 11. September wurden Einwanderer eher mit ethnischen Zuschreibungen wie „Türke“, „Marokkaner“, „Indonesier“ oder „Albaner“ behaftet. Heute spricht die Mehrheitsbevölkerung öfter von „Muslimen“ anstatt von „Türken“. Die Migranten werden somit allein auf ihre Religion bzw. zugewiesene Religion reduziert.
Überdies wird der Ge- und Missbrauch des Themas Integration und Islam zu Wahlkampfzwecken von Parteien und Eliten seit dem 11. September immer stärker betrieben. Eine Clique von Pseudowissenschaftlern, sie sich die „Islamkritik“ zu ihrer Hauptaufgabe gemacht haben, werden von immer mehr rechtspopulistischen Parteien und Internetseiten hofiert. Die Hauptdarsteller dieser „Industrie“ bewegen sich im Terrain der „Islamophobie“ und „Islamfeindlichkeit“, des „Antimuslimischen Rassismus“ und der „Muslimfeindlichkeit“ bis hin zum „Islamhass“.
Der Islam und die Muslime wurden durch die öffentliche Wahrnehmung und die Debatten nach dem 11. September unter Generalverdacht gestellt. Ob dabei Konferenzen wie der 2011 einberufene „Präventionsgipfel“ etwas ändern werden, bleibt fraglich. Die Reduzierung gesellschaftlich-kultureller Fragen auf Sicherheitsthemen wird den Generalverdacht gegenüber Muslimen nur bekräftigen. Eine Zukunftsfrage, die sich für die Muslime in Deutschland stellt, ist die nach der Gleichstellung des Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts und der gleichberechtigten Partizipation.
Der Zusammenschluss der vier großen muslimischen Verbände unter dem Dach des Koordinationsrates der Muslime war eine Reaktion auf die Forderung der Politik, nur mit einem einzigen Ansprechpartner verhandeln zu wollen. Bedauerlicherweise zeichnet sich ab, dass dieselbe Politik bezüglich der Anerkennung der Muslime mit immer neuen und unerfüllbaren Forderungen an die Verbände herantritt. Die Verbände wiederum fühlen sich durch immer neu auftauchende Hürden an der Nase herumgeführt.
Es bleibt abzuwarten, ob die DIK überhaupt in der Lage ist und die Legitimität besitzt, den Islam mit den christlichen Glaubensgemeinschaften gleichzustellen. Im Moment sieht es nicht danach aus. Fest steht: Eine Islamkonferenz ohne die Hälfte der muslimischen Verbände ist eine Farce.
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