Nein, der erste interreligiöse Poetry Slam!
Als wir unter den vier Religionen die „Bahai“ lasen, fragte mich meine katholische Freundin (Conny), was das bitteschön sein soll. Ich kannte diese Religion auch nur vom Hörensagen. Also winkte ich ab. Daraufhin meinte sie: „Das sollte man unbedingt mal bei Gelegenheit googlen“. „Vielleicht wird ja im Programm etwas darüber erzählt?”, dachten wir und widmeten unsere Blicke der Bühne.
Das Vorwort gehörte den Geistlichen aus dem Judentum, Christentum und Bahai:
Der Rabbiner aus London erzählte uns, dass er viel mit Flug und Bahn unterwegs sei und nur ab und an mal sein Bett sehe. Er bezeichnet das Judentum als eine GmbH, nämlich als einen Glauben mit beschränkter Hoffnung. Ein Rabbiner, der seine eigene Religion aufs Korn nimmt, war wirklich sehr lustig.
Eine Regionalbischöfin, die erst seit einem halben Jahr in Berlin lebt und arbeitet, beendete ihre Ansprache mit folgenden Worten: „In Gottes Hand sind wir alle gleich, Gott sei Dank!“
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen…
- – vom Titel der Veranstaltung, welcher mich und viele andere bewegt haben muss, dass es kein Standardprogramm wird? (der Saal war gut besucht)
- – von den vielen jungen Poeten aus verschiedenen Glaubensrichtungen wie jüdisch, christlich, muslimisch und bahai?
- – von den 5 Säulen des I, Slam?
- – dass I, Slam inzwischen den Zusatz we slam bekommen hat?
- – dass das Konzept “we slam” die Einheit der Vielfalt vorbildlich präsentiert hat?
- oder soll ich bei den Highlights des Abends anfangen zu erzählen, den der Slammer aller Slammer Ali Özgür Özdil (bekannt auch unter Hassprediger) dargestellt hat?
Ein rundlicher und sympathisch witziger Rabbiner aus London, der kurz vor dem Finale auch für viel Gelächter gesorgt hat – O-Ton: „Ich habe meinen Text in einem schlechten Deutsch geschrieben, damit alle Türken das auch verstehen können” bekam ebenfalls viel Applaus.
Ziel des Programms war offensichtlich, einen interreligiösen Dialog in Gang zu bringen. Das funktionierte mit unterhaltsamen Slams der KandidatInnen, die für sehr viel Spannung gesorgt haben, bestens.
Es gab zwei männliche Moderatoren, die uns durch das ganze Programm begleitet und die Interaktivität des Publikums eingefordert, ja sogar erzwungen haben.
Wir bekamen Buttons und waren verpflichtet unsere Stimme abzugeben, denn nur wir ( und keine Jury) durften bestimmen, wer die FinalistInnen werden.
Wir mussten klatschen, stampfen, rufen und sogar gelegentlich ausbuhen, wenn zum Beispiel ein sexistischer Inhalt zu hören war.
Dass Multi-kulti tot sei und die Urheberin dieses Zitats Angela Merkel ist, wurde in diesem Programm von einem Slammer mit Nachdruck betont, woraufhin Merkel ausgebuht werden sollte. Das war zwar sehr witzig, kostete dem Slammer (Mohammed Ali Bas) jedoch Punktabzüge nach der Auszählung der Stimmen. Dieses Ausbuhen stelle nämlich einen Verstoß gegen einer der 5 Säulen des I,Slam dar, verkündete der Moderator Yousef Adlah.
Nun zu den 5 Säulen des Islam? Nein, zu den 5 Säulen des I, Slam. Das ist etwas völlig anderes und hat nichts mit Religion zu tun. Es ist nur eine Anspielung, denn die Initiatoren des I, Slam Projekts, Younes Al Amayra und Youssef Adlah sind muslimische Jugendliche. Daher wohl auch die Inspiration.
Jeder Poetry Slammer muss nämlich folgende fünf Regeln einhalten:
1. »Respect the Poet – jeder Poet bekommt seine Anerkennung völlig unabhängig von seiner Leistung.
2. Own Construction – jeder Poet muss gewährleisten, dass es sich bei den Poems um seine eigenen Texte handelt – kein geistiger Diebstahl!
3. No Aids – der Dichter darf keine Requisiten wie Kostüme oder Musikinstrumente benutzen.
4. Time Limit – der Poet darf das Zeitlimit von 6 Minuten nicht überschreiten, sonst droht Punktverlust.
5. No Verbalism – verbale Attacken jeglicher Art sind zu unterlassen – der islamische Rahmen muss hier gewahrt bleiben.«
Daniel mit seinen nur 16 Jahren stach auch sehr heraus, weil er viele hebräische Wörter benutzt und uns seine Erlebnisse von Zwiespalt sehr einfühlsam mitteilte wie z.B. ob er das jüdische Kreuz zu tragen oder zu verstecken hat.
Der Höhepunkt war eine Faten, die sich als Gewinnerin des Abends nicht oft genug bedanken konnte und uns auf eine Reise nach Jerusalem, Palästina und vor allem zu der Moschee Al Aksa mitnahm. Auch sie durfte keine Requisiten außer einem Stück Papier benutzen, doch das brauchte sie auch nicht. Ihre Körperhaltung sprach für sich. Sie stand nicht nur einfach da, sondern beherrschte einen Mix aus Lockerheit und Revolte.
Alle Slammer verfügten über eine sehr gute Aussprache, damit auch alles seine Richtigkeit hat.
Der Moderator Youssef Adlah dirigierte unseren Applaus wie etwa durch Verweis auf leises Klatschen, lautes Klatschen, Trampeln und die höchstmögliche Steigerung dieser Varianten. Dabei verhielt er sich politisch korrekt und wechselte vom rechten Arm zum linken, damit ja kein falscher Eindruck entstehen konnte.
Mit der Unterstützung von Sawsan Chebli und dem Juma Projekt, konnte das Programm realisiert werden.
Seit März 2010 ist Sawsan Chebli Grundsatzreferentin im Stab der Senatsverwaltung für Inneres und Sport in Berlin. Hier arbeitet sie eng mit dem Senator für Inneres und Sport, Herrn Frank Henkel, zu den Themen Islam, interreligiöser Dialog und Integration zusammen. Sawsan Chebli hat das JUMA-Projekt entwickelt. Für die Senatsverwaltung für Inneres und Sport steuert sie gemeinsam mit der RAA das Projekt. [1]
Die deutsche Politikwissenschaftlerin mit palästinensischen Wurzeln, Sawsan Chebli, hielt eine Eröffnungsrede und erzählte uns, wie alles begann. Sie hat dem Projekt I, Slam sofort Vertrauen geschenkt, weil sie das Konzept für sehr gut hielt. Geirrt hat sie sich jedenfalls nicht in ihrem Gefühl. Das I, Slam Projekt erfreut sich bereits kurz nach Gründung großer Beliebtheit.
Neben dem literarischen Aspekt beinhaltet der I, Slam eine Mischung aus Bildung, Selbstbehauptungsprozess, Humor und Integration von Jugendlichen. Er gibt jungen Menschen die Gelegenheit, über Dinge zu berichten, die ihnen wichtig sind. Dadurch entstehen sehr viele kleine Geschichten aus dem Alltag, die pointiert und humorvoll rübergebracht werden. Und all das unter 6 Minuten pro Person.
Die Gewinnerin erhielt ihren Bambi, äh ihr Geschenk, bestehend aus einer Feder und Schreibpapier. Ganz klare Symbolik und offensichtlich eine Aufforderung, die Texte mit der Feder zu schreiben und nicht auf einem I-phone oder ultrabook.
Der Saal war voll von I-phone-Besitzern, es wurde gefilmt fotografiert, und nebenher Likes über Facebook vergeben. Das I,Slam Projekt habe natürlich seine Fangruppe und alle Kritiken, die die Person Youssef Adlah betreffen, würden sofort gelöscht, drohte er doch vor dem ganzen Publikum an.
Eine weitere Drohung von ihm fehlte ebenfalls nicht: Er kann ganz katastrophal und detoniert singen. Wenn wir unsere Button- Abstimmung nicht in 5 Minuten über die Bühne brachten, würde er uns was vorsingen. Youssef kann wirklich nicht singen, aber er steht wenigstens dazu.
Unglaublich, was die Initiatoren des I, Slam geleistet haben, wenn man bedenkt, dass Younes al Amayra nebenbei an seiner Dissertation zu Islam und Politikwissenschaften schreibt.
Der Abend war rundum ein voller Erfolg, was die Kreativität von Jugendlichen förderte, den interreligiösen Dialog vorantrieb und uns durch die tiefsinnigen Texte der jungen Wettbewerber für viele Themen zu sensibilisieren wusste.
Worte haben Wirkung, Worte fallen, Worte können nicht rückgängig gemacht werden, Worte lehren, Worte erziehen, Worte bilden, Worte regen zum Denken an, Worte haben Macht, Worte ärgern, Worte beinhalten Schwächen, Angst und Leid.
Worte sind, wie es der Abend gezeigt hat, die einzige Waffe von I, Slam gewesen, geschmückt mit viel Humor.
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