‚Deutscher Türke‘? ‚Türkischer Deutscher‘? Was passt eher?

Was auch immer! Ich nenne mich einfach ‚Deutschtürke‘, denn das geht leichter von der Zunge. ‚Türkdeutscher‘ hört sich ja auch komisch an, wie ein ‚getürkter‘ Deutscher. Würde ja suggerieren, dass ich kein richtiger Deutscher sei, was ich aber bin! Also auf meinem Pass steht jedenfalls ‚Pündesrepüblik Döyşland‘, ich gehe in Deutschland zur ‚Üniversite‘ und geboren bin ich im ‚İrfan-Giriş-Krankenhaus‘. Na, wer das Letztere begreift, ist wahrscheinlich Türkdeutscher. Also Deutschtürke!

Das ganze Hin und Her, nervt es Euch nicht!? Also mich schon! Kürzlich wieder, als ich auf dem NPD-Antwortschreiben oben geschrieben hatte:

„Es schreibt Ihnen: ein besorgter Deutschtürke“.

Und wieder folgte so viel Kritik!
„Was soll das denn sein?“, „Man ist entweder Türke, oder Deutscher!“, „Blablabla…“.

Lasst mich doch einfach sein, was ich will! Das entspricht doch unseren Vorstellungen von Freiheit! In diesem Land gibt es doch auch Frauen, die Männer sind. Oder Männer, die Hausfrauen sind. Oder Hunde, die mehr wert als Kinder sind.

Oh nein, wieder die Schiene!

Keine Sorge, ich werde nicht mit den üblichen Vorurteilen daherkommen! Ich habe kein Interesse daran, die ‚deutsche Mehrheitsgesellschaft‘ hemmungslos zu beleidigen. Ich liebe mein Deutschland, mit all seinen Facetten. Ehrlich! Sonst wäre ich schon längst weg!

‚Mehrheitsgesellschaft‘, was auch immer das sein soll…

Die Mehrheit der Deutschen will, dass…

So fangen oft Sätze an und enden dann mit politischen Forderungen.

Keine Mehrheit kann über meine eigenen Erfahrungen abstimmen

Ist die Mehrheitsgesellschaft eine Art Lobby? Ein Zusammenschluss all derer, die sich in einer Sache einig sind? Gibt es wirklich einheitliche Mehrheiten? Sind wir in unseren Gemeinsamkeiten vereint? Oder sind wir nur vereinzelt gemeinsam? In kleinen Gruppen? Nach außen abgegrenzt und in unseren sozialen Ghettos gefangen?

Und: Wollen wir überhaupt so uniform sein?

Viele Fragen. Soll ich die jetzt alle beantworten? Quatsch, ich will Euch ja nicht langweilen!

Aber dann stellt sich natürlich die Frage, was das alles hier soll.

Es ist der Start einer neuen Reihe. Ich weiß, das ist eigentlich nichts Neues. Zu diesem Thema haben schon so viele Menschen ihren Senf gegeben. Dann schadet es doch nicht, wenn auch ich etwas dazu schreibe.

Eine neue Reihe also, über Integration und so. Über Migranten, bzw. ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘, bzw. ,Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte‘, bzw. ‚Neue Deutsche‘.

Au weia… Ihr merkt es auch, oder? Das wird hier immer komplizierter. Dabei muss das alles gar nicht sein. Im Endeffekt sind wir doch alle nur Menschen, oder? Und wie Herbert Grönemeyer schon so schön sang:

„Und der Mensch heißt Mensch
Weil er vergisst
Weil er verdrängt
Und weil er schwärmt und glaubt
Sich anlehnt und vertraut
Und weil er lacht
Und weil er lebt…“

Ich vergesse oft, dass es Differenzen zwischen uns allen gibt. Nein, ich verdränge es gerne! Weil ich von Deutschland schwärme und weil ich glaube, dass wir ‚gemeinsam‘ immer besser dran sind als ‚einsam‘. Ich vertraue Deutschland. Weil ich gerne hier lebe.

Ach ja, und weil ich gerne lache.

Zugegebenermaßen passt das ‚Lachen‘ da jetzt nicht so gut rein. Aber egal, Lachen ist immer gut! 🙂

Das Lied von Herbert Grönemeyer geht weiter mit den Worten:

…Du fehlst.

Mir fehlt meine Kindheit. Kindheit war so schön! Ich habe als Kind zwar nie verstanden, warum ich keine Bockwurst essen durfte, aber polnische Nachnamen konnte ich so gut aussprechen, wie ich Weihnachtsmärkte leiden konnte. Und zwar sehr gut!

Wenn Lehrer mir erklären wollen, wie schlecht meine Religion sei

Ich habe in der Grundschule ein Jahr lang den katholischen Religionsunterricht mitgemacht und danach ein Jahr lang den evangelischen. Ich fand beides langweilig! Den Sachkunde-Unterricht fand ich auch langweilig, aber den konnte ich nicht abwählen, wie den Religionsunterricht. Dann hatte ich mit den anderen schwarzhaarigen Kindern früher Schluss. Wir haben auf dem Schulhof Fußball gespielt und auf unsere christlichen Freunde gewartet.

In der weiterführenden Schule waren wir dann die ‚ORU-Kinder‘: „ohne Religions-Unterricht“. ‚Ohne Religion‘ war dieser Unterricht aber nicht: Man hat einen komischen Kauz auf uns gejagt, der mit Zitaten aus dem Koran versuchte, uns klarzumachen, wie schlecht unsere Religion sei. Am seltsamsten wurde dieses Spiel für die einzige Buddhistin in der Klasse!

Aber am Ende wurde es ein lustiges Spiel. Dieser Lehrer hatte sich nämlich mit der Internet-Generation angelegt. Prompt hatten alle SchülerInnen des ORU-Unterrichts zur nächsten Stunde ähnlich kontroverse Sätze aus der Bibel herausgesucht.

Auch die Buddhistin!

Ohne zu wissen, warum wir es taten, hatten wir uns zusammengeschlossen, um es dem Christen heimzuzahlen. Wir mussten ja schließlich etwas verteidigen! Unsere Kultur und unsere Identität! Oder uns selbst?

Nennt es übertrieben, aber mir wird gerade übel, während ich diese Zeilen schreibe!

Ach ja, die Kindheit! Diese unbesorgte Zeit, in der man nicht darüber nachdenken musste, wer man war und wohin man gehörte. Naja, manchmal musste man schon darüber nachdenken. Im Türkeiurlaub hieß es immer: „Magst du Deutschland mehr, oder die Türkei?“. Ich habe diese Frage gehasst! Als könne man sich für eins entscheiden! Ich frage ja auch niemanden, ob er sein rechtes Bein lieber hat oder sein linkes.

„I Want The Best Of Both Worlds“…

Ich weigere mich, in dieser Sache eine Entscheidung zu treffen! Niemand raubt mir meine Herkünfte! Ja, ihr habt richtig gelesen: Herkünfte. In der Mehrzahl, denn es ist halt so! Ich leugne doch nicht, wo ich herkomme! Ich wurde nun mal in verschiedenen Kulturen großgezogen. Ich gehöre zu den nicht gerade wenigen Menschen in Deutschland, die sich das Beste aus beiden Herkünften herauspicken können. Die Pünktlichkeit aus meiner deutschen und die Spontanität aus meiner türkischen Herkunft. Das Ordnungsbewusstsein aus meiner deutschen und die Gastfreundschaft aus meiner türkischen Kultur. Die tollen Kinderserien aus meiner deutschen und die tolleren Familienbesuche aus meiner türkischen Kindheit.

Ja richtig: „ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt!“ Warum? Na, weil ich es kann!

Also nenne ich mich auch so, wie ich will: Der Deutschtürke! Der besorgte Deutschtürke.

Bis bald 🙂

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