Nachdem es in Sachen „Arabischer Frühling“ gerade etwas ruhiger geworden zu sein scheint, beunruhigen neue Schlagzeilen eines alten Konflikts Europa. Die Eskalationsschraube in der Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina ist durch die Aktionen auf beiden Seiten in den letzten Wochen wieder erheblich angezogen worden. Zusammen mit dem offenen Konflikt in Syrien und der angespannten Lage zwischen dem Iran und dem Westen ist eine Lage entstanden, die hoch explosiv ist. Wir wollten diese Krise besser verstehen und fragten bei einem ausgewiesenen Experten, Andreas Zumach nach. Zumach kennt sich in Sachen Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle aus. Bekannt ist er einer breiten Öffentlichkeit auch als Korrespondent der taz. Das ausführliche Gespräch, das Andreas Zumach mit uns dankenswerter Weise geführt hat, war für die Redaktion sehr aufschlussreich. Unser neu erworbenes Wissen geben wir gern an unsere Nutzer weiter – zur besseren Verdauung portionsweise in sechs Teilen.
Biographie von Andreas Zumach
Seit 1988 freier Journalist am UNO-Sitz in Genf, Korrespondent für „die tageszeitung“ (taz) in Berlin
sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten in Deutschland, der Schweiz, Österreich und den USA.
Autor mehrerer Bücher über die UNO und internationale Konflikte (zuletzt: „Die kommenden Kriege -Ressourcen, Menschenrechte,Machtgewinn-Präventivkrieg als Dauerzustand?“, Oktober 2005 bei Kiepenheuer&Witsch, Köln) Geboren 1954 in Köln
Ausbildung
1975 – 1979 Studium der Volkswirtschaft und Journalismus an der Universität Köln und Kölner Journalistenschule
Beruflicher Werdegang
1979 – 1981 Redakteur der Berliner Zeitung „Die Neue“
1981 – 1987 Friedenspolitischer Mitarbeiter der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienst (ASF); verantwortlich für die Organisation der ersten großen Bonner Friedensdemonstration vom 10.10.1981
Bis 1986 einer der Sprecher des bundesweiten Koordinierungs-Ausschusses der Friedensbewegung
Seit 1948 hören und lesen wir von einem ständigen Konflikt zwischen Israel und Palästina. Was sind die Gründe hierfür?
Andreas Zumach:Die UNO-Generalversammlung hat 1947 im November mit ihrer Resolution 181 das damals so genannte Mandatsgebiet der Briten, „Palestine“, aufgeteilt und vorgesehen für zwei Staaten: Einen Staat Israel, einen Staat Palästina. Dieser Beschluss der Generalversammlung ist von den damals schon existierenden arabischen Mitgliedern der Generalversammlung abgelehnt worden. Es gab dann in der Folge gewaltsame Auseinandersetzungen, Vertreibungen auf beiden Seiten, etc. Im Ergebnis sind 720.000 Palästinenser und Palästinenserinnen aus ihren Wohngebieten im künftigen Staat Israel vertrieben worden, nachdem Israel im April 1948 seinen Staat ausgerufen hatte. Bereits in dieser Phase hat Israel das eigentlich von der UNO vorgesehene Staatsgebiet zunächst an einigen Stellen erweitert und in den nachfolgenden 50 Jahren dann immer weiter – vor allem im Krieg von 1967 mit den Besetzungen der Westbank, Ostjerusalems, der Golanhöhen und der Sinaihalbinsel.
Heute reden wir, wenn wir über einen künftigen palästinensischen Staat reden, über ein Territorium, das gerade noch 22 {29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} des im Mandat vorgesehenen Gebietes ausmacht. Also weit weniger als die Hälfte dessen, was ursprünglich in der UNO-Resolution für den Staat Palästina vorgesehen war. Und weil sich die israelischen Regierungen in diesen letzten 50 Jahren so verhalten haben, sind auch auf der anderen Seite diejenigen gestärkt worden, die einen Staat Israel grundsätzlich ablehnen und den heutigen Staat Israel mit Gewalt bekämpfen.
Welche wechselseitigen Interessen spielen dabei eine Rolle?
Andreas Zumach: Es gibt Beobachter, die sagen, dass die Menschen, die ab 1947/48 die Bevölkerung Israels bildeten, so heterogen gewesen seien, aus so viel verschiedenen Ländern stammten – damals bereits, ich glaube aus über 100 Ländern –, dass Juden in die neue Heimat strömten, dass sehr viel bereits damals sehr konfliktbeladen war und dass es unter diesen unterschiedlichen Gruppen massive Konflikte geben würde und deswegen alle israelischen Regierungen im Grunde einen Feind und einen Konflikt nach außen bräuchten. Wenn es den nicht gäbe, würden massive innere Konflikte aufbrechen. Ich habe diese Theorie jetzt mehrfach gehört. Ich mache sie mir nicht gänzlich zu eigen, aber was man mit Sicherheit sagen kann, dass es innerhalb der jüdischen israelischen Bevölkerung einen in den letzten Jahren deutlich gewachsenen Anteil gibt, der das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat grundsätzlich ablehnt oder anders gesagt, für die Juden das gesamte Gebiet Palästinas beansprucht. Einige gehen mit diesem Anspruch sogar noch über die Grenze des Jordanflusses hinaus. Das alles unter Berufung auf die Bibel. Und es stimmt zweitens, dass die inneren Konflikte in Israel sowohl zwischen orthodoxen Juden und anderen, aber vor allem die sozialen und wirtschaftlichen Konflikte in den letzten Jahren so massiv zugenommen haben, dass man schon davon ausgehen kann, dass die aktuelle Regierung Netanyahu den Konflikt nach außen braucht, um von diesen inneren Konflikten abzulenken. Wie lange das gut geht, darüber werden wir sicher noch reden.
Jedenfalls bis auf die kurze Phase der Oslo-Verhandlungen Anfang der neunziger Jahre und dem Oslo-Abkommen, in dem Israel anscheinend bereit war, eine gerechte Zweistaatenlösung einzugehen, muss man sagen ist die de facto israelische Politik eine Politik der Verhinderung eines lebensfähigen palästinensischen Staates, gewesen, und in den letzten Jahren ist das noch eskaliert. Wenn wir allein die Zahlen nehmen müssen wir hier einen Zuwachs der illegalen Siedler auf der Westbank in den letzten drei Jahren von etwa 350.000 auf knapp 500.000 feststellen.
Deshalb sagen heute immer mehr Menschen, es ist einfach nicht mehr vorstellbar, wie hier noch ein palästinensischer Staat entstehen könnte. Auf der anderen Seite gab es, angefangen mit der PLO unter Jasser Arafat, eine Nationalbewegung der Palästinenser, die eben den von der UNO versprochenen Staat wollte. Es gab eine Zeitphase, in der sich auch die PLO gegen die Existenz Israels ausgesprochen hat. Das ist dann irgendwann überwunden worden. Das vollzog sich Anfang der neunziger Jahre auch mit einer Revision der PLO-Charta. Seitdem gab es auf der palästinensischen Seite, zumindest in dieser Mehrheitslinie der Fatah, die klare Bereitschaft zu einer Anerkennung der Existenz Israels und einer Zweistaaten-Lösung.
Es gibt nach wie vor, wie eingangs schon erwähnt, eine, ich sag mal, Minderheitenfraktion unter den Palästinensern, die im wesentlichen durch die Hamas repräsentiert wird, die die Existenz Israels bisher nicht eindeutig bejaht, zum Teil ablehnt. Allerdings muss man da auch differenzierter hingucken. Es gibt innerhalb der Hamas auch Leute, gerade der jüngeren Generation, die die Existenz Israels anerkennen würden, wenn denn Israel all die illegalen Besatzungen, die seit dem 1967er Krieg geschehen sind, rückgängig machen würde. Also eine Lösung auf Basis der Vorkriegsgrenze von 1967 wäre ein Weg, die auch die große Mehrheit der Hamas-Mitglieder wieder zufrieden stellen würde.
Inwiefern könnte dieser Konflikt den Arabischen Frühling beeinflussen?
Andreas Zumach: Ich will die Frage mal umgekehrt beantworten und sagen, dass sich seit dem Beginn des arabischen Frühlings, für uns wahrnehmbar ab Dezember 2010 mit den Ereignissen in Tunesien, die Rahmenbedingungen, die Parameter auch für den israelisch-palästinensischen Konflikt zunehmend verändern. Erstens deswegen, weil die bisherigen totalitären Regime oder Diktaturen sich in allen arabischen Staaten zwar oft einer steilen Rhetorik der Kritik bedienten, eine Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern, aber sie de facto nicht wirklich etwas gemacht haben, um die Situation zu verändern und die Palästinenser zu unterstützen. Das änderte sich jetzt deutlich.
Man sieht dies am klarsten in der Haltung der neuen ägyptischen Regierung, und wir werden das auch mit künftigen frei gewählten Regierungen in den arabischen Staaten erleben, die es geben wird. Damit wächst jedoch der Druck auf eine israelische Regierung. Es ist ja nicht zufällig, dass niemand so stark für den Verbleib von Mubarak an der Macht in Ägypten geworben hatte, auch öffentlich, wie Benjamin Netanjahu. Und selbst mit dem Assad-Regime in Syrien hatte die israelische Regierung die letzten 30 Jahre immer gut gelebt, weil das im Grunde am Status quo nicht gerüttelt hat. Lediglich die Rückgabe der Golanhöhen wurde gefordert. Damit verändern sich die Rahmenbedingungen. Der Druck wächst, und man kann es positiv sehen, dass damit möglicherweise doch noch die Chancen für eine Lösung auch des israelisch-palästinensischen Konfliktes wachsen. Im Moment wird das aber in Israel mehrheitlich von der Regierung, aber auch von der Bevölkerung, als zusätzliche Bedrohung wahrgenommen.
Das gilt etwa für die Tatsache, dass in Ägypten die Muslimbrüderschafft die Mehrheitsfraktion im Parlament geworden ist und auch den Präsidenten stellt. Und wenn man weiß, dass die Hamas, zum Teil jedenfalls, ihre Ursprünge der Muslimbrüderschafft verdankt – nicht nur, da hat der israelische Geheimdienst Mossad auch kräftig mitgeholfen –dann verdichtet sich das zu der Wahrnehmung einer verstärkten Bedrohung. Im Moment jedenfalls wirkt es eher kontraproduktiv, dass sich die Rahmenbedingungen verändert haben. Kontraproduktiv insofern, als dass sich die israelische Bevölkerung zunehmend einigelt, und jemand wie Netanyahu mit seiner Politik die Existenz Israels auf Dauer mehr gefährdet als irgendetwas sonst. Dieser Netanyahu hat einen erstaunlich hohen Grad an Unterstützung im Parlament und auch in der Bevölkerung. Das wird man wahrscheinlich bald bei den Wahlen sehen. Das erwartbare Ergebnis dieser Wahlen aber wird für eine Lösung mit den Palästinensern sehr abträglich sein.
Warum ist es so schwierig, hier friedensstiftend einzugreifen?
Andreas Zumach: Ich frage zurück: Ist es tatsächlich so schwierig, friedensstiftend einzugreifen? Aber nehmen wir mal die Voraussetzung der Frage an. Denn dieser Konflikt ist natürlich ungeheuer stark mit historischen Vorgängen beladen. Einmal ab der Zeit, über die wir geredet haben, also 1947. Aber die Probleme gehen eben noch weiter zurück. Es gibt nachweislich eine zionistische Bewegung, die lange vor dem Holocaust in Europa den Anspruch auf dieses heilige Land, ein aus der Bibel abgeleitetes heiliges Land, für die Juden reklamiert hat. Und der Holocaust an den europäischen Juden, verbrochen durch die Deutschen, hat es dann möglich gemacht, dass es schließlich auch zu diesem UNO-Beschluss gekommen ist.
Deswegen sage ich: Es gab in einem Teil der jüdischen Bevölkerung Israels nie wirklich eine Bereitschaft, den palästinensischen Staat zuzulassen. Das ist zeitweise einfach kaschiert worden. Und 1993, mit den Oslo-Verträgen, gab es wirklich für einige Jahre die Hoffnung, dass hier nach dem Prinzip Land für Frieden eine Lösung gefunden worden wäre. Aber schon wenn man sich anguckt, wie die nachfolgenden israelischen Regierungen die Verpflichtungen des Oslo-Vertrages eben nicht umgesetzt haben, versteht man in der Folge auch wieder, wie es zur Radikalisierung auf der palästinensischen Seite gekommen ist, zur zweiten Intifada. Diese Radikalisierung und auch Gewaltakte auf palästinensischer Seite, inklusive des Raketenbeschusses durch die Hamas, wurden wiederum als Rechtfertigung für die eigene sture Politik benutzt.
Das ist die Dynamik, die wir immer wieder erleben. Die macht es so schwierig, friedensstiftend einzugreifen. Wobei ich dagegen halte und sage, wenn morgen eine amerikanische Regierung entscheiden würde, „Wir wollen die gerechte Zweistaatenlösung“, und das kann nur eine Lösung auf Basis der 1967er Vorkriegsgrenzen sein, dann wäre man der Lösung einen Schritt näher. Jede andere Lösung ist völlig unakzeptabel für die arabisch-palästinensische Seite. Wenn morgen eine amerikanische Regierung das wirklich will, hätte sie die Instrumente, die Druck-Instrumente, um eine israelische Regierung dazu zu zwingen. Nach wie vor.
Nur ist das eben nicht wirklich bisher gewollt, weil zumindest die amerikanische Nahostpolitik bislang darauf gesetzt hat, dass Israel auch so etwas wie der wichtigste amerikanische Verbündete in der Nahost-Region ist – zumindest neben den Ländern, aus denen man das Öl bezieht und die nach wie vor ebenfalls Verbündete sind. Das gilt aktuell zum Beispiel für die Saudis, früher mal für Persien. Zwischenzeitlich war der Irak unter Saddam Hussein ein solcher Bündnispartner. Dieses Interessengeflecht verhindert, dass ernsthaft versucht worden ist, friedensstiftend, auch mit dem notwendigen Druck, aber auch den notwendigen Sicherheitsgarantien, die man natürlich geben müsste, wenn es einen israelischen und einen palästinensischen Staat nebeneinander gibt, eingegriffen worden ist.
Und bei uns in der deutschen Debatte, die aus historischen Gründen besonders schwierig ist, werden viele von denen, die friedensstiftend eingreifen wollen, und dabei aber auch die völlig berechtigte und notwendige Kritik an israelischer Politik formulieren, nicht an den Juden oder an Israel, sondern an israelischer Regierungspolitik, die werden sehr schnell als anti-israelisch, als antisemitisch und als antizionistisch denunziert und zum Teil zum Schweigen gebracht.
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