In unserem Land, der Bundesrepublik Deutschland, wimmelt es nur so an Debatten über Themen, die die hiesige Minderheit betrifft.
Ganz aktuell wurde durch die Entscheidung von den Kölner Richtern des Landgerichts eine neue Debatte über das Beschneidungsverbot in Gang gesetzt. Das Thema impliziert auch, dass es sich um die muslimische Minderheit handelt.
Bisher war die Beschneidung eines Jungen im vorpubertären Alter beim Facharzt eine Routine für jede muslimische Familie. Obwohl dies jahrzehntelang genau in der Weise gehandhabt wurde, erfährt das Thema aufgrund eines medizinischen Ausnahmefalls ein besonderes Interesse. Den Medien zufolge war es im Kölner Fall eine Familie, die ihr vier jähriges Kind zu einem ihnen bekannten Facharzt brachte, um es beschneiden zu lassen. Alles verlief ganz normal. Doch zwei Tage später kam es zu Nachblutungen. Bei der ambulanten Aufnahme im Krankenhaus konnten die Blutungen gestoppt werden. Bekanntlich können bei operativen Eingriffen immer Nachblutungen eintreten, die in den meisten Fällen unkompliziert gestillt werden können.
Nach diesem Vorfall hat das Krankenhaus die Behörden in Kenntnis gesetzt. Bei Kindeswohlgefährdung, können die Ärzte es den Behörden melden. Die Rechtslage hierzu sieht folgendermaßen aus:
„Bei begründetem Verdacht auf eine Kindesmisshandlung ist schon allein wegen der nicht ausschließbaren Wiederholungsgefahr im Regelfall eine Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht möglich. Dies kann z.B. gegenüber dem Jugendamt erfolgen, dass seinen im SGB VIII verankerten Pflichten zur Hilfeleistung bzw. Abschätzung der Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII) genügen muss. Gegebenenfalls hat das Jugendamt Entscheidungen des Familiengerichts herbei zu führen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Anzeige (Meldepflicht) gemäß § 138 StGB besteht nicht, der Arzt hat ein Zeugnisverweigerungsrecht. Andererseits ist zu bedenken, dass sich der Arzt durch seine besonderen fachlichen Qualifikationen und Möglichkeiten Kinder zu schützen, in einer sog. Garantenstellungbefindet und damit eine besondere Verantwortung und moralische Verpflichtung hat, für den Schutz seiner minderjährigen Patienten zu sorgen. Der Verzicht auf eine gesetzliche Meldepflicht von Verdachtsfällen ermöglicht, das in Deutschland weitgehend akzeptierte Konzept »Hilfe statt Strafe« zu praktizieren, wenn dies nach einer gründlichen Bewertung der Situation des Kindes als sinnvoll und Erfolg versprechend erachtet wird. Da Kinderschutz nicht selten auch die Mitteilung von Misshandlungs-, Missbrauchs- und Vernachlässigungsfällen an staatliche Stellen bedeutet (Jugendamt, Polizei, Staatsanwaltschaft), gehört zu einem umfassenden Konzept des ärztlichen Umgangs damit auch die Kenntnis einschlägiger gesetzlicher Normen und ihrer Konsequenzen für die Opfer“ 1
In welcher Form es nach den oben genannten Kriterien durch das Krankenhaus gemeldet wurde, ist uns nicht bekannt. Jedenfalls landete der Vorfall bei der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen den erstbehandelnden Arzt wegen Körperverletzung. Zunächst wurde der Fall vor dem Amtsgericht verhandelt. Freispruch hieß es in erster Instanz. Der Grund war die religiöse Motivation der Eltern und deren Einwilligung. So habe der Arzt kein Unrecht begangen.
Nach der Entscheidung in der ersten Instanz ging die Staatsanwaltschaft in Berufung und im Anschluss landet der Fall vor dem Kölner Landgericht. Dem LG bleibt nun keine andere Wahl, als die Zulässigkeit der Klage in gewissen Punkten zu prüfen. Hier stehen nun folgende, miteinander konkurrierende Verfassungsrechte in der Debatte: Kindeswohl und körperliche Unversehrtheit versus Religionsfreiheit und Erziehungsrecht der Eltern. Diesmal entscheiden die Richter im Sinne der Anklage, da das Kindeswohl und körperliche Unversehrtheit über dem Recht der Religionsfreiheit und Erziehungsrecht der Eltern steht. Dennoch spricht das Landgericht den erstbehandelnden Arzt frei, da er in der Annahme war, aus der religiösen Motivation der Eltern heraus, nicht rechtswidrig gehandelt zu haben . Dieses nennt sich dann Verbotsirrtum. Das Urteil des LG’s hat in Zukunft folgen für die Ärzte, wenn diese Beschneidungen an muslimischen Jungen vornehmen. Sie begehen Körperverletzung und machen sich dadurch Strafbar. Nach Prof. Dr. Holm Putzke heisst es:
„Trotz ethischer Bedenken setzte die juristische Diskussion erst im Jahr 2008 ein und wird seitdem umso intensiver in Aufsätzen, Kommentaren und Lehrbüchern geführt. Inzwischen stuft die Mehrheit der Experten medizinisch nicht notwendige, also auch religiöse Beschneidungen als rechtswidrige Körperverletzungen ein, das heißt als Straftat nach § 223 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB).
Das Landgericht Köln hat sich dieser Meinung nun angeschlossen (LG Köln, Urt. v. 07.05.2012, Az. 151 Ns 169/11). Auch wenn die Kölner Kammer den angeklagten muslimischen Arzt am Ende wegen eines Verbotsirrtums freisprach, bedeutet ihre Entscheidung eine Zäsur: Zukünftig wird sich kein Mediziner mehr darauf berufen können, er habe geglaubt, Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Jungen aus religiösen Gründen vornehmen zu dürfen.“ 3
Bisher haben die Eltern ihre Kinder professionellen Händen anvertraut , um die Beschneidung durchführen zu lassen. Es besteht jetzt die Gefahr, dass dies nur noch heimlich weitergeführt und das Kindeswohl erst recht gefährdet wird. Und zwar eine Überleitung von professionellen Händen, zu Scharlatanen. Es wäre hier angebracht, dass man hier einen gesetzlichen Rahmen entwirft und die Kinder in professioneller Obhut operieren lässt – so wie bei operativen Eingriffen es die Regel darstellen muss. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in einem Fall des gesetzlichen Verbotes die Eltern die Beschneidung im Ausland durchführen lassen werden. Wobei man anmerken muss, dass das Landgericht keine gesetzgebende Instanz ist! In einer Demokratie werden Gesetze immernoch vom Bundestag verabschiedet. Dass die Gerichte nun eine konkurrierende gesetzgebende Gewalt werden – das ist vielmehr ein Mangel an Demokratie! Welches Ziel verflolgt die Staatsanwaltschaft nun wirklich? Will man mit einem solchen Akt verängstigte Eltern dazu animieren, ihre Kinder im Ausland beschneiden zu lassen, wo die ärztliche und versicherungstechnische Versorgung eventuell etwas schlechter ist?
Das Plädieren auf Religionsfreiheit und Erziehungsrecht muslimischer Eltern, soll in Zukunft nicht greifen, da in Deutschland das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Kindeswohl über dem Recht der Religionsfreiheit und Erziehungsrecht steht.
Es existieren aus meiner Sicht, mehrere Probleme bei diesem Urteil. Konsequenzen müsste diese Entscheidung nun für alle Eltern haben, nicht nur für die muslimischen. Es gibt operative Eingriffe jeglicher Art an Kindern in Deutschland, die durch diesen Entscheid als „Körperverletzung“ zu klassifizieren sind . Was ist mit den Eltern, die Ihrem Kind einen Ohrring stechen lassen möchten? Oder Eltern, die ihr Kind zum Chirurgen bringen, wegen der zu großen Nase oder den Segelohren? Was ist mit dem Kind, der an den Mandeln operiert werden muss und zwei Wochen nach der OP verstirbt? Wie sieht es bei einer Entfernung einer Warze aus? Daher wäre es ein Trugschluss, das Urteil nur auf die Beschneidung zu beschränken.
Die Frage ist aber auch, ob das Urteil eine bindende Wirkung für andere Strafgerichte hat. Die Antwort darauf gibt uns der wissenschaftliche Dienst des Bundestages:
„Ausblick und Bewertung
Das Urteil hat für andere Strafgerichte keinerlei bindende Wirkung und dürfte den Grundsatzstreit bereits deswegen keineswegs beenden. Auch deshalb erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich Ärzte auch weiterhin auf einen Verbotsirrtum berufen könnten. Hinzu kommt, dass das LG Köln bei der fachgerechten Zirkumzision durch einen Arzt ausdrücklich den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) verneint hat. Die danach verbleibende einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) wird jedoch – falls nicht die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse bejaht – nur auf Strafantrag verfolgt (§ 230 Absatz 1 StGB). Es dürfte deshalb nicht zu befürchten sein, dass infolge des Urteils die Staatsanwaltschaften nunmehr breit angelegt von Amts wegen in muslimischen oder jüdischen Kreisen wegen vorgenommener Beschneidungen ermitteln müssten. Von Vertretern der herrschenden Meinung im Strafrechtsschrifttum wird unterdessen unter Verweis auf entsprechende Praktiken in Großbritannien dafür geworben, das religiös geforderte frühkindliche Ritual der Beschneidung ins Schmerzlos-Symbolische zu verschieben und die Entscheidung über den tatsächlichen Eingriff dem Betroffenen selbst zu überlassen, wenn er als Jugendlicher selbst einwilligungsfähig ist. Sollte jedoch der Gesetzgeber tätig werden wollen, stünde er letztlich vor der Herausforderung, abstrakte Regelungen zu treffen, wonach bestimmte Eingriffe in die körperliche Integrität Schutzbefohlener aus religiösen Gründen straffrei sein können.“ 4
Die Debatte kann man und sollte man auch ausweiten auf andere Ebenen und nicht nur auf die juristische Ebene. Es geht nämlich hierbei um viel mehr. Das Kindeswohl hat auch psychologische und soziale Aspekte. Das Urteil selbst wirkt sich ebenfalls auf die soziale Wirklichkeit der Minderheiten aus. In dem Fall betrifft es auch die Juden. Während der Arzt bei einer Beschneidung auf Körperverletzung angeklagt werden kann, geht es vor allem um die „Beschneidung“ der religiösen Werte.
Dieses Urteil hat auch die Integrationspolitik beschnitten.
Der Entscheid bedeutet aber auch, dass Beschneiden der Bestrebungen die Integration voranzutreiben. Meines Erachtens besteht die Gefahr darin, dass die gefühlte Ausgegrenztheit der Muslime sich verfestigen könnte. Die Frage ist, ob muslimische Eltern Ihrem Kind durch die Beschneidung bewusst schaden wollen und ob der Facharzt, zu dem das Kind gebracht wird, einwandfrei handelt oder nicht? Das Urteil könnte also den muslimischen Familien suggerieren, dass der Islam der Gesellschaft durch einige Rituale schadet. In diesem Fall dem Kind schade.
Das bedeutet wiederum, dass die Muslime als Menschen willkommen sind, aber ihre Religion bzw. Religionsausübung nicht. Hier sind also nicht nur die Richter gefordert, sondern auch Politiker, Sozialarbeiter, Psychologen und Soziologen. Wenn man diese Aspekte einbezieht, geht es um weit mehr als Kindeswohl: Der Gesetzgeber wird sich demnächst einen Kopf zum Wohle der Gesellschaft machen müssen.
Die einzige Instanz, die dem ganzen auf Bundesebene ein endgültiges Licht werfen kann, ist das Bundesverfassungsgericht. Es bleibt also abzuwarten, bis ähnliche Fälle vor dem BVerG landen und wie sich die Richter aufgrund der oben erwähnten Sachlage entscheiden werden.
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1 Empfehlungen für Kinderschutz an Kliniken
2 Die Rechtssprechung im allgemeinen kann man hier nachlesen
3 Religiöse Beschneidungen von Jungen verboten
4 Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Beschneidung und Strafrecht