Ahmad Mansour und Correctiv haben sich gerade in die Haare bekommen, und wie immer geht es offiziell um Fakten, inoffiziell aber um Deutungshoheit. Mansour sagt: Correctiv lügt, verzerrt, arbeitet schlampig, und er droht mit Anwälten. Correctiv sagt: Wir zeigen nur, was in Akten steht, und wenn die Akten unangenehm sind, ist das nicht unser Problem. Und mitten drin steht ein Projekt namens „Dis-Ident“, gefördert mit sehr viel Geld, sehr großem Anspruch und einer ziemlich schnellen politischen Begeisterung.
Das Ganze wirkt wie eine Folge aus der deutschen Integrations-Soap: Ein prominenter Experte, ein investigatives Medium, ein Ministerium, das auf Symbolwirkung schielt, und eine Öffentlichkeit, die inzwischen bei jedem Streit sofort die Lagerfahnen aus dem Keller holt. Wer Mansour mag, sieht in ihm den mutigen Tabubrecher. Wer ihn nicht mag, den ultimativen Karrierekritiker, der von der Angst vorm Islam lebt. Dazwischen liegen nicht nur Nuancen, sondern oft ganze Kontinente.
Der Experte als Erzählung mit Rückenwind
Mansour hat eine Biografie, die in Talkshows Gold wert ist: arabisch-israelisch, muslimisch sozialisiert, als Jugendlicher in fundamentalistische Kreise geraten, später „ausgestiegen“, Psychologe geworden, inzwischen beruflich gegen Islamismus unterwegs. Dieses „Vom-Saulus-zum-Paulus“-Motiv macht ihn für viele glaubwürdig. Er war doch „drin“, also muss er wissen, wie es läuft. Das ist ein starkes Pfund – aber auch ein empfindlicher Punkt.
Denn natürlich kommt irgendwann jemand und fragt: Stimmt die Story bis ins letzte Detail? Oder ist das eine moralisch aufgeladene Bühnenfassung? Die Debatte um seinen Werdegang ist nicht neu. Kritiker werfen ihm vor, seine Nähe zur Muslimbruderschaft oder die Rolle eines Imams in seiner Jugend zu dramatisieren. Mansour kontert: Ja, ich war radikalisiert, und ich erzähle das so, wie ich es erlebt habe. Beides kann gleichzeitig wahr sein. Erinnerung ist nicht immer ein stenografisches Protokoll, sondern auch ein Deutungsrahmen.
Was mich an der Stelle nervt, ist weniger Mansours persönliche Erzählung als der Deal, den Politik und Medien daraus machen: Wer die richtige Läuterungsbiografie mitbringt, bekommt automatisch Expertenstatus für jede Islam-und-Integration-Frage. Als wäre persönliche Betroffenheit ein Ersatz für saubere Analyse. Mansours akademischer Hintergrund ist real, sein psychologisches Handwerk ebenfalls. Aber Expertise entsteht nicht nur aus Herkunft plus Seitenwechsel, sondern aus überprüfbaren Argumenten. Und genau da wird’s interessant.
Correctiv, Akten und der Geruch von Förderpolitik
Correctiv hat am Projekt „Dis-Ident“ rumgebohrt, und was dabei rauskommt, ist im Kern banal und trotzdem brisant: Gutachter fanden den ersten Antrag wissenschaftlich schwach, nicht ergebnisoffen, methodisch wacklig. Trotzdem ging es weiter – überarbeitet, neu eingereicht, politisch gewollt. Das Ministerium argumentiert vermutlich: Wir haben Nachbesserungen gefordert, am Ende gibt’s Evaluation, also passt schon. Correctiv sieht darin eher: Da wollte jemand unbedingt ein Signal setzen, also hat man die rote Ampel übersehen.
Beide Lesarten sind plausibel. Förderpolitik ist nicht steril. Sie folgt Moden, Stimmungen und Notlagen. Nach dem 7. Oktober, nach steigenden antisemitischen Vorfällen und einer überhitzten Debatte über muslimische Milieus ist ein Projekt, das genau dort ansetzt, politisch sexy – sogar dann, wenn der Methodenteil eher nach „wir sehen dann schon“ klingt. Das ist nicht automatisch Korruption, aber es ist die alte Krankheit: Symbol vor Substanz.
Mansour reagiert darauf nicht mit „Okay, lasst uns die Kritik auswerten“, sondern mit der großen Keule: Lüge, Kampagne, Feindhilfe für Islamisten. Ich verstehe den Reflex. Wer seit Jahren unter Schutz lebt und von extremistischen Netzwerken gejagt wird, ist dünnhäutiger als ein Feuilleton-Kommentator. Aber wenn jede fachliche Nachfrage sofort als moralischer Verrat gilt, bleibt am Ende nur noch Glaubenskrieg übrig – und der hilft niemandem, schon gar nicht Jugendlichen, die man eigentlich erreichen will.
Zwischen Islam, Kritik und Integrationsrealität auf dem Schulhof
Mansours Islamkritik ist hart. Manchmal zu hart. Wenn er pauschal über „den Islam“ spricht, als wäre das eine monolithische Software mit nur einer Version, dann ist das nicht nur analytisch schwach, sondern auch sozial schädlich. Wer ständig in Superlativen über „nicht integrierbare Kultur“ redet, produziert genau das Gefühl von „Ihr wollt uns sowieso nicht“, das Radikalisierer als Dünger benutzen.
Gleichzeitig wäre es unfair, so zu tun, als gäbe es kein Problemfeld „Islamismus“ oder „israelbezogenen Antisemitismus“ in Teilen muslimischer Jugendmilieus. Das ist real, das ist hässlich, und es verschwindet nicht, nur weil man die falschen Wörter meidet. Mansour hat recht, wenn er sagt: Wegschauen bringt nichts. Seine Kritiker haben recht, wenn sie sagen: Verallgemeinern bringt auch nichts.
Vielleicht liegt die eigentliche Pointe dieser Affäre nicht darin, ob Correctiv oder Mansour heute „recht“ hat. Sondern darin, wie dünn die demokratische Gesprächsschicht geworden ist. Wir haben Themen, die dringend Präzision brauchen – und Debatten, die sofort in Loyalitätsprüfungen kippen. In so einer Atmosphäre wird ein Forschungsprojekt zur Ersatz-Schlacht, und ein Experte zur Projektionsfläche.
Am Ende bleibt für mich: Mansour ist kein Blender. Er hat Substanz, Erfahrung, Mut. Aber er ist auch kein unantastbarer Hohepriester der Wahrheit. Correctiv ist kein islamistisches Hilfswerk. Sie haben berechtigte Fragen gestellt, vielleicht im Ton zugespitzt, aber genau dafür gibt’s sie. Und wir? Wir sollten aufhören, Integrationspolitik wie eine Casting-Show zu behandeln, in der der lauteste Erlöser automatisch gewinnt. Saubere Arbeit erkennt man nicht am Pathos, sondern daran, ob sie Kritik überlebt.




