Am Freitag erschoss ein 20-jähriger Amokläufer in Newtown/Connecticut (USA) 27 Menschen, davon 20 Kinder, und sich selbst. Es war die schlimmste Bluttat an einer Bildungseinrichtung seit dem Massaker an der Virginia Tech Universität 2007. “Unsere Herzen sind heute gebrochen für die Eltern und Großeltern, Schwestern und Brüder dieser kleinen Kinder und für die Familien der Erwachsenen, die umgekommen sind. Und sie sind gebrochen für die Eltern der Überlebenden, denn so gesegnet sie damit sind, ihre Kinder heute Abend wieder zu Hause zu haben, so sehr wissen sie, dass die Unschuld ihrer Kinder zu früh von ihnen gerissen wurde und dass es keine Worte gibt, um dieses Leid zu lindern“
So drückte US-Präsident Barack Obama in einer kurzen, tränenerstickten Ansprache am Freitag in Washington vor der Presse aus, was die Amerikaner bewegt und seither nicht mehr zur Ruhe kommen lässt.
Repräsentantenhaus-Sprecher John Boehner hatte namens der Republikaner die wöchentliche Pressekonferenz abgesagt, um dem Präsidenten eine Adresse im Namen der gesamten Nation zu ermöglichen. „Unser Land hat so etwas zu oft durchleben müssen“, so Obama weiter. Er erinnerte an ähnliche Vorfälle in Oregon, in einem Sikh-Tempel in Wisconsin, in einem Kino in Aurora oder eine Straßenecke in Chicago und mahnte: „Diese Gegenden sind unsere Gegenden und diese Kinder sind unsere Kinder. Und wir werden unabhängig davon, wo wir politisch stehen, zusammenkommen und sinnvolle Maßnahmen ergreifen müssen, um mehr dieser Tragödien zu verhindern.“
Am Freitag hatte der 20-jährige Sohn einer Lehrerin der Sandy Hook Grundschule in Newtown, Connecticut, erst im gemeinsamen Wohnhaus seine Mutter erschossen, fuhr danach in ihrem Auto mit mindestens drei auf seine Mutter registrierte Feuerwaffen zur Schule, an der diese Aushilfslehrerin gewesen sein soll (wie ABC berichtete, WSJ aber anzweifelte), verschaffte sich gewaltsam Zutritt zur eigentlich vorschriftsmäßig gesicherten Lehranstalt und erschoss dort weitere 26 Personen und sich selbst.
Unter den Getöteten waren 20 Kinder im Alter von 5 bis 10 Jahren. Darüber hinaus wurden die Schulleiterin und fünf Lehrer, Opfer des Amokläufers. Eine davon war die 27-jährige Victoria Soto, die, nachdem sie die ersten Gewehrschüsse hörte, ihre Kinder anwies, sich in den Wandschränken und Spinden zu verstecken. Als der Amokläufer sie im Klassenraum stellte, erzählte sie diesem, die Kinder befänden sich in der Turnhalle. Daraufhin wurde sie erschossen.
„Da draußen sind böse Menschen, wir warten hier auf die Guten“
Ihre Kollegin Kaitlin Roig überlebte und auch sie wird in die Geschichte der Kleinstadt als Heldin eingehen: Sie verbarrikadierte sich zusammen mit ihren Schülern in einem Waschraum und hatte zuvor noch ein Bücherregal vor dessen Türe platziert. Sie schaffte es, die Kinder zu vollständig ruhigem Verharren im Versteck zu bewegen, indem sie ihnen deutlich machte: „Da draußen sind böse Menschen, wir warten hier auf die Guten“. Auf diese Weise rettete sie 14 Kindern das Leben. Am Abend des Tages, an dem der Amoklauf stattfand, versammelten sich Hunderte Menschen in und um die St. Rose-von-Lima-Kirche für alle 28 Getöteten. Menschen hielten Hände, entzündeten Kerzen und sangen „Stille Nacht“.
Es sind noch viele Fragen offen und viele werden unbeantwortet bleiben. Bevor die Ermittler in der Lage waren, sich ein abschließendes Bild über die Lage zu verschaffen, wurde irrtümlich Ryan, der in New Jersey lebende 24-jährige Bruder des Amokläufers Adam Lanza als Verdächtiger gemeldet. Wenig später konnte der wahre Täter jedoch identifiziert werden, der sich noch auf dem Schulgelände das Leben genommen hatte.
Adam Lanza galt als stiller, zurückgezogener und hochbegabter Schüler, der wenig Kontakt zu seinen Mitschülern pflegte und es sogar vermied, für die Jahresberichte fotografiert zu werden. Er pflegte nicht einmal einen facebook- oder Twitter-Account. Seine Eltern ließen sich 2009 scheiden, als er 17 war. Den Eltern wurde durch das Gericht die Teilnahme an einem „Elternschafts-Erziehungsprogramm“ aufgetragen. Bekannte hatten den Eindruck, Adam „ging es offensichtlich nicht gut“, er hätte „bedrückt“ gewirkt und seine Mutter hätte zu übertriebenem Ehrgeiz geneigt.
Die Opfer der Bluttat waren neben der Mutter des Täters, Nancy Lanza: Charlotte Bacon, 6; Daniel Barden, 7; Rachel Davino, 29; Olivia Engel, 6; Josephine Gay, 7; Ana M. Marquez-Greene, 6; Dylan Hockley, 6; Dawn Hocksprung, 47; Madeline F. Hsu, 6; Catherine V Hubbard, 6; Chase Kowalski, 7; Jesse Lewis, 6; James Mattioli, 6; Grace McDonnell, 7; Anne Marie Murphy, 52; Emile Parker, 6; Jack Pinto, 6; Noah Pozner, 6; Caroline Previdi, 6; Jessica Rekos, 6; Avielle Richman, 6; Lauren Russeau, 30; Mary Sherlach, 56; Victoria Soto, 27; Benjamin Wheeler, 6; Allison N. Wyatt, 6.
Die Bluttat hat unter den meisten Amerikanern so tiefe Spuren hinterlassen, dass sich die relevanten politischen Kräfte mit Statements zurückhalten und die Trauer um die Opfer in den Vordergrund stellen. Anders in Europa und dabei vor allem in Deutschland, wo – den Vorgaben der US-Verfassung und den eigenen Erfahrungen von Erfurt und Winnenden zum Trotz – viele eine Verschärfung der Waffengesetze für die einzig gebotene Maßnahme halten. Dass vier von fünf Gewalttaten in den USA in Staaten begangen werden, die den Waffenbesitz gesetzlich reguliert haben, stört dabei nicht.
Amerikaner wollen jetzt Ursachenforschung statt Aktionismus
In den USA wird hingegen eher überlegt, wie den Ursachen für den Hass und die angestauten Aggressionen entgegengewirkt werden kann, die immer wieder gerade junge Menschen, die als Außenseiter an ihren Schulen galten und spezifische Eigenheiten aufwiesen, zu solchen Taten treiben. Neben der Frage, wie es einer Schule gelingen kann, eine Kultur des Respekts und der Inklusion aufzubauen, kommen dabei auch die potenziell schädlichen Einflüsse von Gewaltdarstellungen in Filmen, Videos oder Computerspielen zur Sprache. Auch die Versuche fanatischer Atheisten, Religion aus den Schulen zu verbannen, wurden in diesem Zusammenhang kritisiert.
Wie es in der US-amerikanischen Bevölkerung aber tatsächlich denkt, hat ein lang gedienter amerikanischer Armeeveteran auf seiner facebook-Pinnwand zum Ausdruck gebracht:
Es ist völlig unerheblich, welche politischen Überzeugungen der Schütze hatte, welche Waffen er benutzte; das alles ist irrelevant. Worum es wirklich geht, ist, was jemanden dazu bringt, eine solche Tat zu begehen – und das Traurige ist, wir werden es möglicherweise nie wissen. Rechnet damit, dass es Leute geben wird, die das Blut dieser Kinder für politische Zwecke missbrauchen wollen – etwas anderes können die Feinde der Freiheit nicht. Aber meine freiheitsliebenden Freunde sollten sich darüber im Klaren sein, dass heute nicht der Tag für „Bewaffnet alle Lehrer“ oder „Waffenfreie Zonen töten“ ist. Seid besser als die Schreihälse. Respektiert die Toten. Trauert. Seid Menschen. Und umarmt Eure Kinder, als gäbe es kein Morgen mehr. Denn für viele Familien in Connecticut wird es keines mehr geben.
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