Fortsetzung vom 22.01.13 (…)
Das historische Versagen des deutschen Konservatismus
Es sah für eine Weile so aus, als hätte der deutsche Konservatismus aus seinen Fehlern gelernt. Vor allem die Politiker der gemäßigten bürgerlichen Parteien wollten ursprünglich wenig mit den völkischen und totalitären Träumen der elitär auftretenden „Konservativen Revolution“ zu tun haben. Sie hatten jedoch längst deren Narrative verinnerlicht, als sie sich 1933 nach dem Reichstagsbrand aus Angst vor dem Kommunismus dazu hinreißen ließen, durch ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz der Diktatur den Weg zu ebnen.
Die Adenauer-CDU nach 1945 wollte sich bewusst von jenem Konservatismusverständnis absetzen, das am Ende in die völkisch-nationalistische Falle geführt hatte, und suchte neben der Aussöhnung mit Frankreich vor allem die Westbindung und damit einen Schulterschluss mit den USA. Das Versagen der Konservativen im Vorfeld der nationalsozialistischen Machtübernahme und die dunkle Vergangenheit mehrerer Funktionsträger der Nachkriegs-CDU machten sie jedoch erpressbar. Dazu ging die durch Sozialisten und Nationalisten gesäte Saat des Antiamerikanismus, der Religionsfeindlichkeit und des Antisemitismus weiter auf.
Die Volksgemeinschaftsideologie lebte weiter, nur diesmal im Namen der „Aufklärung“, der „Emanzipation“, des Pazifismus und der „Ökologie“. Dass die 68er-Generation die Adenauer-Politik wegen deren zaghafter Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit kritisierte, war in erster Linie ein PR-technischer Schachzug, der helfen sollte, eine moralische Überlegenheit behaupten und Andersdenkende stigmatisieren zu können. Eine Abkehr von den geistigen Grundlagen, auf denen auch der Nationalsozialismus aufbaute, war in keiner Weise mit ihr verbunden. Neben dem Hass auf die USA und den Kapitalismus, dem Antisemitismus, der in Form „antiimperialistischer“ Kritik an Israel zunehmend wieder hoffähig wurde, der Technologiefeindlichkeit und Angstpolitik (Atomkraft, „Überbevölkerung“ usw.) unter der Ägide des Naturkults war auch die Überzeugung, dass der Staat namens „der Gesellschaft“ das Gute, Wahre und Schöne definieren und im Wege des Schulzwangs an Kinder weitergeben sollte, die man notfalls gegen abweichende Vorstellungen ihrer Eltern schützen müsste, ungebrochen populär. Dass unter den ersten Funktionären der Grünen nicht wenige fanatische Altnazis (wie Werner Vogel, Werner Haverkamp, Luise Rinser, Baldur Springmann oder Herbert Gruhl) waren, war kein Betriebsunfall.
Warum haben sich Konservative nicht stärker gewehrt und nicht aufbegehrt, als der Staat seine Macht auf Kosten des elterlichen Erziehungsrechts, der Religions- und der Gewissensfreiheit stetig ausweitete – so wie es etwa in den USA regelmäßig der Fall ist, wo 2012 Religionsgemeinschaften und Fernsehsender massiv gegen verpflichtende Bezahlung von Verhütungsmitteln im Rahmen von Obamacare die Stimme erhoben oder so jetzt gerade massiver Widerstand gegen geplante zentralstaatliche Eingriffe ins Waffenrecht laut wird?
„Linke Hegemonie“ als Ausrede
An der „linken Medienmacht“ infolge des „Marsches durch die Institutionen“, auf die stets hingewiesen wird, kann es nicht allein gelegen haben. Niemand hätte die gutverdienenden Leistungsträger und Erben daran gehindert, den bestehenden Medien alternative entgegenzusetzen – so wie in den USA Fox News oder in der Türkei „Zaman“ durch privates Engagement zum Erfolg gekommen waren. Vielmehr waren es die Konservativen selbst, die von sich aus den etatistischen, kollektivistischen und ökologistischen Konsens angenommen und sogar von sich aus forciert haben. Und heute sind sie zum Teil selbst dessen am stärksten eifernde Protagonisten.
Und es ist billig, den Ruck zum Kollektivismus damit erklären zu wollen, dass 1990 durch die Wiedervereinigung gleich 16 Millionen Menschen zur damaligen Bevölkerung hinzukamen, die auch durch 40 Jahre DDR durch den Staat kollektivistisch, atheistisch und uniformistisch erzogen worden waren.
Hessen liegt beispielsweise nicht im Osten. Knapp 70{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} der Bevölkerung gehören dort immer noch einer christlichen Religionsgemeinschaft an, zumindest nominell. Wirtschaftlich steht das Land anständig da, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, eine diverse Gesellschaft, in der freie Individuen, Familie, Communities ihre Potenziale entfalten könnten, hätte die Chance, auf einem solchen Fundament aufzubauen.
Stattdessen aber bemüht sich vor allem die dortige CDU, vor allem gegenüber Minderheiten durch eine staatsdirigistische Politik der Brachialassimilation zu profilieren, die man eher vor 1990 in der Ostzone vermutet hätte.
Nach der berüchtigten Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft war die Hessen-CDU in den letzten Jahren unter anderem durch die revisionistischen Geschichtsauffassungen ihrer Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach und die Einführung eines Einbürgerungstests aufgefallen, der weniger mit dem Bemühen zu tun hatte, Zuwanderer zur Beschäftigung mit der Geschichte und dem politischen System Deutschlands anzuhalten, sondern vielmehr damit, ihnen zu signalisieren, dass man ihnen misstraut und für Störfaktoren hält. Bis September 2012 leistete man sich mit Hans-Jürgen Irmer einen bildungspolitischen Sprecher, dessen Rhetorik gegen Muslime inhaltlich kaum von jener zu unterscheiden war, die man von NPD-Granden wie Jürgen Gansel oder Udo Pastörs kennt.
Volkspädagogische Verbotskultur
Im Eifer ihrer Politik der Gleichmacherei macht man nicht mal vor Einheimischen Halt – beispielsweise christlichen Homeschoolingeltern, die sich zutrauen, ihre Kinder zu Hause effizienter unterrichten zu können als in einer staatlichen Schule. Wie so gut wie alle in Deutschland bekannt gewordenen Fälle solcher Homeschoolingeltern zeigen, hatten diese sich auch alles andere als überschätzt – die Leistungen der Kinder waren stets weit überdurchschnittlich. Und in den USA gilt es als klassisches Elternrecht, Kinder in Eigenregie zu bilden.
Endgültig schießt jedoch die CDU in der 33.000-Seelen-Stadt Dietzenbach in Landkreis Offenbach den Vogel ab. Dass die Partei dort bei den Kommunalwahlen 2011 Verluste in Höhe von mehr als 12{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} zu verzeichnen hatte, scheint bei einigen ihrer Mandatsträger endgültig die Entschlossenheit zum politischen Amoklauf beflügelt zu haben.
Eine antifaschistische „AG Recherche“ hat kürzlich in einem Dossier dokumentiert, wie in diesem Ortsverband CDU-Funktionäre in Presseerklärungen und über soziale Netzwerke Inhalte verbreiten und Thesen zum Besten geben, die in einer Weise von Islamhass, Fremdenfeindlichkeit und sekundärem Antisemitismus zeugen, dass für den unbefangenen Leser der Eindruck entstehen muss, die Dietzenbacher Union wäre entweder ein Fall für den Verfassungsschutz oder für die neurologische Fachklinik.
Die Intensität der volkspädagogischen Verbotskultur, die der CDU Dietzenbach vorschwebt und die vom Verbot von Kopftüchern über Moscheen bis hin zur Beschneidung reicht, würde vermutlich selbst die Grünen vor Neid erblassen und wie libertäre Small-Government-Advokaten erscheinen lassen.
Es ist demnach auch nur folgerichtig, dass im Dezember 2012 ein Mann der gefeierte Stargast des Verbandes war, an dessen Lippen kürzlich auch die Teilnehmer des „Kongresses christlicher Führungskräfte“ hingen.
„Wem Deutschland nicht religiös genug ist und die moralischen Werte zu verkommen, der kann in ein anderes beliebiges Land gehen“, polterte Berlin-Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky an jenem Tag unter dem donnernden Applaus der Christdemokraten in Dietzenbach – offenbar eine Reminiszenz an den mittelalterlichen Grundsatz „Cuius regio, eius religio“. Und da will noch jemand sagen, Deutsche würden ihre Traditionen über Bord werfen?
Konservatives Stockholm-Syndrom
Es stellt sich für viele die Frage, woher es kommt, dass selbsternannte Konservative, sogar solche, die sich als entschieden christlich bezeichnen würden, sich bereitwillig zum Faktotum steinzeitsozialistischer und latent rassistischer Eugeniker wie Sarrazin oder Buschkowsky machen, die Zwangskitas für Einjährige fordern, Menschen vorschreiben wollen, wen sie zu heiraten haben (denn anders würde dem von Buschkowsky angesprochenen Thema „Importbräute“ praktisch ja nicht zu Leibe gerückt werden können), die Erziehung verstaatlichen wollen, schulischen Sexualkundeunterricht, gegen den vor wenigen Jahrzehnten Christen und CDU-Politiker noch selbst Sturm gelaufen waren, zum Gesslerhut erheben und das eindeutige, unmissverständliche Ziel verfolgen, Religion aus dem öffentlichen Leben zu verbannen.
Eine mögliche Erklärung wäre eine Art „Stockholm-Syndrom“ – Konservative haben sich so sehr daran gewöhnt, in die Defensive gedrängt zu werden, dass sie mit Fortdauer der Zeit die Denkweise der Sozialisten verinnerlicht haben und nunmehr von Zuwanderern verlangen, sich auch an diesen herrschaftsgebundenen Diskurs anzupassen. Dass aus den Konservativen als der ursprünglichen Gegenbewegung zum blutleeren Rationalismus und zur Hässlichkeit der Moderne mittlerweile eine Kampfeinheit der Vulgäraufklärung wurde, wäre in diesem Fall einem Akt der Kapitulation zu verdanken.
Die andere wäre das „33“-Syndrom – so wie damals die gezielt geschürte Angst vor dem Kommunismus ausreichte, um die Konservativen zur Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz zu bewegen, reicht heute der Appell an die Angst vor dem Islam, um sie dazu zu bringen, selbst die verheerendsten etatistischen Anmaßungen bereitwillig zu schlucken, solange man nur deutlich macht, dass sie sich in erster Linie gegen Zuwanderer richten.
Die nächstliegende Erklärung aber dürfte sein, dass es –ähnlich wie einst Anhänger des betont sozialistischen NSDAP-Flügels eine „antikapitalistische Sehnsucht des deutschen Volkes“ beschworen – etwas gibt, was man als antipluralistische Sehnsucht deutscher Konservativer bezeichnen könnte, die sich hinter der Beschwörung einer „Leitkultur“ und der Denunziation von „Parallelgesellschaften“ verbirgt. Es wäre nichts anderes als die Anknüpfung an die Vorstellung der ethnisch homogenen, gedanklich gleichgerichteten, Individualrechte und eigene Bedürfnisse hinter den Willen der „Gesellschaft“, als deren organisierter Wille der Staat auftritt, zurückstellenden „Volksgemeinschaft“, die Konflikte und Differenzen durch Appelle an den gemeinsamen Willen begradigt.
Und die auf alles, was ihren Vorgaben entgegenläuft, mit autoritärer Repression und Ausgrenzung antwortet…