Weihnachten in Syrien – ein Fest, das traditionell für Frieden, Hoffnung und Liebe steht. Doch unter der Führung von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) wird es zu einem höchst kontroversen Ereignis, das mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt. Während die neue Regierung christliche Prozessionen schützt und sich als Anwalt der Toleranz inszeniert, tauchen Berichte über Tötungen, Folterungen und gezielte Gewalt gegen religiöse Minderheiten auf. Ein echter Wandel oder bloß die glänzende Oberfläche einer dunklen Realität?

Ein Weihnachtsbaum als Symbol – und als Rauchwolke

Beginnen wir mit der symbolischen Szene eines brennenden Weihnachtsbaums in der christlich geprägten Stadt Suqaylabiyah. Offiziell verurteilte die HTS diesen Vorfall und ließ den Baum schnell ersetzen. Doch während man sich vor Ort auf friedliche Weihnachten vorbereitet, berichten Christen und Aleviten in anderen Teilen Syriens von systematischen Angriffen. Zerstörte Heiligtümer, verschleppte Einwohner und brutale Übergriffe prägen das Bild, das sich abseits der öffentlichen Inszenierung der neuen Machthaber abzeichnet.

Man könnte zynisch sagen: Die HTS hat den PR-Leitfaden perfektioniert. Ein Weihnachtsbaum hier, ein lächelnder Gouverneur dort – und schon sieht die Welt eine neue, reformierte Organisation. Doch was steckt wirklich dahinter?

Worte der Toleranz, Taten der Gewalt

Maher Marwan, der neue Gouverneur von Damaskus und Mitglied der HTS, ließ sich an Heiligabend im christlichen Viertel Bab Tuma feiern. Er schüttelte Hände, lächelte für die Kameras und präsentierte sich als Botschafter des Friedens. Gleichzeitig berichten Menschenrechtsorganisationen von Folter und willkürlichen Hinrichtungen in Gebieten unter HTS-Kontrolle. Besonders Aleviten scheinen weiterhin Zielscheiben religiös motivierter Angriffe zu sein.

In Homs zerstörten Angreifer ein bedeutendes Heiligtum der Aleviten. Die darauffolgenden Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen – laut Berichten unter Duldung oder sogar Beteiligung lokaler HTS-Milizen. Die Botschaft ist eindeutig: Religiöse Minderheiten mögen Teil der neuen syrischen Realität sein, aber sie bleiben Bürger zweiter Klasse.

Die Frage nach dem Wandel

Es wäre unfair, die Bemühungen der HTS komplett zu ignorieren. Der Schutz christlicher Prozessionen, das Engagement für öffentliche Weihnachtsfeiern und die betonte Unterstützung religiöser Vielfalt sind Schritte in die richtige Richtung. Doch sie scheinen mehr inszenierte PR zu sein als Ausdruck eines echten Wandels. Wie ernst können solche Gesten genommen werden, wenn gleichzeitig Folterkeller weiterbetrieben und religiöse Minderheiten terrorisiert werden?

Die Diskrepanz zwischen dem öffentlich gezeigten Bild und der gelebten Realität ist erschütternd. Christen, die sich in Aleppo über geschmückte Kirchen und offene Gottesdienste freuen, wissen, dass diese Freiheiten fragil sind. Sie hängen vom Wohlwollen einer Regierung ab, die ihre eigene Geschichte der Intoleranz noch nicht überwunden hat.

Zwischen Hoffnung und Heuchelei

Das syrische Weihnachtsfest 2024 bleibt ein Balanceakt zwischen Hoffnung und Heuchelei. Die HTS versucht, sich als Beschützer einer neuen, inklusiveren Gesellschaft zu präsentieren. Doch die Schatten der Vergangenheit – und der Gegenwart – werfen einen langen und dunklen Schleier über diese Inszenierung.

Was bleibt, ist die Frage: Kann eine Organisation, die für Jahre des Schreckens verantwortlich war, wirklich Wandel herbeiführen? Oder sind die Weihnachtsbäume, Prozessionen und freundlichen Gesten nur der Zuckerguss auf einem Kuchen, der innen längst verdorben ist?

Für die Menschen in Syrien bleibt wenig Raum für Optimismus. Und doch – selbst unter den schwierigsten Umständen haben Christen und Aleviten immer wieder gezeigt, dass sie bereit sind, für ihren Glauben und ihre Freiheit zu kämpfen. Vielleicht liegt die wahre Hoffnung nicht bei der HTS, sondern bei den Menschen, die trotz allem an das Gute glauben.

Ein Land sucht Frieden, eine Regierung sucht Legitimation – und ein Weihnachtsbaum brennt. Weihnachten in Syrien war noch nie so komplex.

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Als Integrationsblogger gründete ich 2010 diesen Blog, inspiriert durch die Sarrazin-Debatte. Geboren 1977 in Dortmund als Kind türkischer Einwanderer, durchlebte ich vielfältige Rollen: vom neugierigen Sohn zum engagierten Schüler, Breakdancer, Kickboxer, Kaufmann bis hin zu Bildungsleiter und Familienvater von drei Töchtern.Dieser Blog ist mein persönliches Projekt, um Gedanken und Erlebnisse zu teilen, mit dem Ziel, gesellschaftliche Diversität widerzuspiegeln. Als "Integrationsblogger" biete ich Einblicke in Debatten aus meiner Perspektive. Jeder Beitrag lädt zum Dialog und gemeinsamen Wachsen ein.Ich ermutige euch, Teil dieser Austausch- und Inspirationsquelle zu werden. Eure Anregungen, Lob und Kritik bereichern den Blog. Viel Freude beim Lesen und Entdecken!

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