Zwischen Selbstinszenierung und Business-Class-Moral
Manche Menschen steigen auf. Andere heben ab. Und einige lassen beim Abheben gleich die ganze Bodenhaftung zurück. Sie steigen nicht nur die Karriereleiter hoch – sie verwandeln sich gleich selbst in eine Corporate Identity. Die Biografie? Ein Image. Die Herkunft? Ein Pitch. Die Haltung? Eine PDF-Folie mit eingebautem Hashtag.
Früher waren Begriffe wie „Arbeiterkind“, „Bildungsaufsteiger“ oder „interkulturelle Brücke“ Ausdruck eines inneren Wegs. Heute klingen sie wie LinkedIn-Zutaten für ein virales Erfolgsrezept.
Und es gibt sie wirklich, diese Typen: Die mit leicht geneigtem Kopf und halb geschlossenen Augen auf einem Podium stehen, als würden sie sich selbst beim Denken zusehen. Dazu ein Satz wie: „Meine Wurzeln haben mich geprägt – aber sie haben mich nicht begrenzt.“ Applaus. Visitenkartenwechsel. Selfies mit Geschäftsführern. Zack, der nächste TEDx-Talk ist schon gebucht.
Aber zurück zur Realität.
Denn während da jemand charmant den „Spagat zwischen Herkunft und Hightech“ erklärt, leisten andere längst die eigentliche Arbeit – ganz ohne Mikrofon. Und ohne Business-Class.
Vom Zitieren zur Zirkusnummer
Ich sehe sie oft: Projektseiten mit wohlklingenden Schlagwörtern, Hochglanzbildern und Zitaten großer Denker. Es geht um Teilhabe, Sichtbarkeit, neue Perspektiven. Es klingt, als wäre Vielfalt endlich angekommen – mittendrin, nicht nur am Rand. Und doch: Wer genauer hinschaut, merkt schnell, dass Vielfalt oft nur dann Platz bekommt, wenn sie keine Reibung erzeugt.
Es ist der Unterschied zwischen Haltung und Hochglanz. Denn während sich manche auf Bühnen mit ihrer Herkunft schmücken, ohne je wieder in den Straßen ihrer Biografie unterwegs gewesen zu sein, leisten andere längst die eigentliche Arbeit: Sie organisieren Nachhilfe für Geflüchtete, dolmetschen bei Behördengängen, kämpfen in Stadtteilinitiativen gegen soziale Spaltung oder stemmen ganze Jugendprojekte – oft neben dem Job, der Familie, dem Alltag. Sie halten ihre Communities zusammen, vermitteln, moderieren, motivieren – und wenn nötig, machen sie eben auch noch die Vereins-Website im Backend klar.
Das ist das Rückgrat einer Gesellschaft, die oft lieber über Engagement redet, als es wirklich zu fördern. Doch auf Podien sitzen andere. Nämlich die, deren Biografie besser zum Zeitgeist passt, und deren Lebenslauf sich sauber ins Karrierenetzwerk einfügt. Vielfalt ist dann nicht mehr Anliegen – sie ist Verkaufsargument.
Keine Haltung ohne Haftung
Natürlich, nicht jeder, der aufgestiegen ist, hat unterwegs seinen Kompass verloren. Es gibt auch die, die sich erinnern. Die zurückgeben. Die nicht nur von Vielfalt reden, sondern sie leben – auch dann, wenn kein Publikum klatscht. Aber die Lautesten sind oft nicht die Echtesten. Und die Glänzenden nicht die Tragfähigsten.
Herkunft ist kein PR-Gadget. Sie ist ein Teil von uns – im Guten wie im Unbequemen. Wer sie benutzt wie einen Sticker auf dem Laptop, verpasst ihre eigentliche Kraft: Verbindung, Kontext, Verantwortung.
Ich bin müde vom Hochglanzpathos. Von klug designten Aufstiegsgeschichten mit Dramaturgie aus dem Präsentationsbaukasten. Was ich sehen will, sind Menschen, die nicht nur Herkunft erzählen, sondern sie tragen – auch dann, wenn sie stört.
Wenn wir aus unserer Geschichte nur noch Kapital schlagen, haben wir sie längst verraten. Dann wird Integration zum Geschäftsmodell. Und die Community? Zum Background für die Bühne.
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