Während wir uns darauf vorbereiten, das alte Jahr mit Raketen und Böllern in die ewigen Jagdgründe zu schicken, hängt über unseren Städten eine unsichtbare, aber umso bedrohlichere Präsenz: Feinstaub. Nein, das ist nicht der Name einer neuen Netflix-Serie über Umweltaktivisten, sondern die tatsächliche Luft, die wir gerade einatmen. Sie ist angereichert mit allem, was man in einem guten Cocktail nicht finden möchte – Partikel aus Autos, Heizungen und, bald auch wieder ganz frisch, unserem geliebten Feuerwerk.

Die aktuelle Wetterlage, die uns alle in der Behaglichkeit eines Winters ohne Wintereinbruch schwelgen lässt, trägt eine bittere Ironie in sich. Die sogenannte Inversionslage, bei der wärmere Luftschichten wie ein Deckel auf den kälteren Schichten liegen, sorgt dafür, dass unser täglicher Schadstoffausstoß keinen Ausweg findet. Die Städte im Süden Deutschlands – München, Würzburg, Kempten – führen die unrühmliche Feinstaub-Bestenliste an. Herzlichen Glückwunsch an die Gewinner, ihr Preis ist schlechte Luft, Atemwegsprobleme und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Applaus!

Doch statt über Ursachen und Lösungen zu sprechen, tun wir, was wir am besten können: ignorieren. Schließlich kommt Silvester, der Höhepunkt des kollektiven Luftverpestens. Millionen Euro geben wir aus, um ein paar Sekunden Licht und Krach zu erzeugen, während wir uns gegenseitig auf die Schulter klopfen und dabei stolz „Frohes neues Jahr!“ ins graue Nichts rufen. Und dann wundern wir uns, wenn der Jahreswechsel mit einem deftigen Feinstaub-Overkill beginnt, der die ohnehin schlechte Luftqualität auf neue Rekordwerte treibt.

Feuerwerk: Der Höhepunkt des kollektiven Wahnsinns

Die Daten sprechen eine klare Sprache: In der Silvesternacht wird in Deutschland so viel Feinstaub produziert wie sonst in zwei Monaten Verkehr. Zwei Monate! Und das in einem Land, in dem wir uns über jedes Gramm CO₂ im Autoverkehr den Kopf zerbrechen. Aber keine Sorge, wir kompensieren das durch moralisch einwandfreie Kaffeekapseln und Bio-Gurken, die wir in Stofftaschen nach Hause tragen, während die Luft draußen an eine Straßenecke in Neu-Delhi erinnert.

Würde man das Silvesterfeuerwerk nicht kennen und es heute als neue Tradition vorschlagen, wäre der Aufschrei gewaltig. „Ihr wollt Millionen Menschen in Smog hüllen, während Krankenhäuser sich auf einen Ansturm von Verbrennungsopfern vorbereiten? Klingt toll, wo kann ich unterschreiben?“ Doch da diese Tradition schon seit Jahrhunderten besteht, wird sie mit den üblichen Argumenten verteidigt: Kultur! Spaß! Freiheit! Vielleicht sollten wir auch das Rauchen in Restaurants und das Abladen von Müll in Flüssen als „kulturelle Errungenschaften“ zurückfordern.

Ironischerweise: Wir könnten es besser wissen

Das Umweltbundesamt mahnt, Wissenschaftler warnen, Ärzte schlagen Alarm – und was machen wir? Zünden Wunderkerzen an und hoffen, dass sich der Wind nach Mitternacht schon richten wird. Aber Moment, der bewegt sich gerade nicht, weil die Inversionswetterlage alle Partikel schön brav in Bodennähe hält. Eine logistische Meisterleistung der Natur, für die wir nicht einmal Eintritt zahlen müssen.

Dabei könnten wir ganz einfach handeln: Ein Verbot privater Feuerwerke wäre ein Anfang, aber das ruft sofort den Freiheitsschrei hervor. „Was? Kein Feuerwerk? Wollen Sie uns unsere Traditionen wegnehmen?“ Ja, genau, denn es gibt tatsächlich Dinge, die wichtiger sind als der kurzfristige Spaß daran, Raketen in die Luft zu schießen. Wie wäre es mit Gesundheit, Klimaschutz oder der Möglichkeit, Silvester ohne Gasmaske zu feiern?

Ein Atemzug Hoffnung?

Es gibt Städte, die bereits handeln. Berlin und Hamburg setzen zunehmend auf zentrale Feuerwerksveranstaltungen, die den privaten Wahnsinn eindämmen sollen. Aber wie immer bleibt das ein Tropfen auf den heißen Stein – oder eher ein Feinstaubpartikel in der trüben Luft. Letztlich wird sich erst etwas ändern, wenn wir kollektiv den Mut haben, uns von liebgewonnenen Traditionen zu verabschieden, die mehr Schaden als Nutzen bringen.

Bis dahin bleibt uns nur die Erkenntnis: Wir können noch so viele Vorsätze fassen, Silvester ist der Moment, in dem wir kollektiv scheitern. Also stoßen wir doch einfach darauf an – mit einem Glas Sekt, einem saftigen Hustenanfall und dem stillen Versprechen, nächstes Jahr alles anders zu machen. Vielleicht.

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Als Integrationsblogger gründete ich 2010 diesen Blog, inspiriert durch die Sarrazin-Debatte. Geboren 1977 in Dortmund als Kind türkischer Einwanderer, durchlebte ich vielfältige Rollen: vom neugierigen Sohn zum engagierten Schüler, Breakdancer, Kickboxer, Kaufmann bis hin zu Bildungsleiter und Familienvater von drei Töchtern.Dieser Blog ist mein persönliches Projekt, um Gedanken und Erlebnisse zu teilen, mit dem Ziel, gesellschaftliche Diversität widerzuspiegeln. Als "Integrationsblogger" biete ich Einblicke in Debatten aus meiner Perspektive. Jeder Beitrag lädt zum Dialog und gemeinsamen Wachsen ein.Ich ermutige euch, Teil dieser Austausch- und Inspirationsquelle zu werden. Eure Anregungen, Lob und Kritik bereichern den Blog. Viel Freude beim Lesen und Entdecken!

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