Anlässlich des 50jährigen Anwerberabkommens haben sich am 02.11.2011 der Ministerpräsidenten Erdoğan und die Bundeskanzlerin Merkel in Berlin getroffen und ihre Reden gehalten. Zu diesem Anlass gab die Kanzlerin ein Interview, mit der Jurastudentin Semiramis Kilisli das auf eine gemeinsame Zukunft hoffen lässt.
Ich persönlich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann Migranten zum ersten mal aufgefordert wurden, die deutsche Sprache zu erlernen, da sie eines der wichtigsten Voraussetzungen für Integration in der deutschen Gesellschaft ist. Seit dieser Zeit müssen einige Jahre verstrichen sein und es scheint als hat sich seit dem nichts geändert. Die ganze Integrationsdebatte kann man drehen und wenden wie man will, es sind immer die gleichen Argumente: Sprache, Bildung und Anpassung um die es geht. So die Bundeskanzlerin in einem Interview anlässlich des 50jährigen Anwerberabkommens:
„Ich glaube, dass wir viele sehr gut integrierte türkischstämmige Menschen haben, aber dass wir auch noch durchaus Probleme haben. Wann ist jemand gut integriert? Ich würde sagen: Wenn er die Sprache sehr, sehr gut beherrscht, wenn er auch möglichst gut in der Schule alles gelernt hat, damit er einen Beruf erlernen kann, damit er auch in Deutschland Karriere machen kann, also richtig teilhaben kann am Leben. Aber zur Integration gehört ja auch noch mehr. Ich wünschte mir zum Beispiel auch, dass alle Deutschen türkischstämmige Bekannte haben und umgekehrt alle Türkischstämmigen in Deutschland auch deutsche Bekannte haben. Und da, glaube ich, gibt es – gerade vielleicht bei den älteren Generationen – doch noch Probleme: dass man eigentlich in den Wohngebieten mehr Menschen kennt, die aus der gleichen Herkunft kommen, und dass viele Deutsche auch gar keine türkischstämmigen Bekannten haben. Und hier wünschte ich mir noch mehr Kontakte untereinander“.
Aus dieser Aussage können sich Migranten folgende Aufforderung mitnehmen:
- Deutschkenntnisse erwerben
- Eine solide Schulausbildung, die mit einer Berufsausbildung abschließt
- Einen guten Kontakt zur deutschen Gesellschaft pflegen.
Ich denke, dass die meisten Migranten, ob neu oder schon lange in Deutschland, diese Aufforderung ohne Bedenken unterscheiben würden. Sicherlich muss hier noch einiges aufgeholt werden. Vor allem stehen die Eltern in der Pflicht ihren Kindern eine solide Basis für ihre Schulausbildung zu schaffen.
Im weiteren Verlauf des Interviews fordert die Bundeskanzlerin auch die deutsche Gesellschaft auf, offener mit Migranten umzugehen und nicht mit zweierlei Maß zu messen, wenn es um die Vergabe von Arbeitsplätzen geht.
Also ich glaube, wenn wir über Integration sprechen, müssen wir sowieso sagen, dass alle offen dafür sein müssen: Die, die einen Migrationshintergrund haben, aber auch die Deutschen müssen offen sein und nicht schon bei Bewerbungsschreiben, wenn der Name vielleicht nach einem Migrationshintergrund aussieht, das gleich mal aussortieren; und so etwas gibt es auch, dafür haben wir leider auch Anzeichen.
Auch daraus kann man für die deutsche Gesellschaft folgendes ableiten:
- Seit offener mit Migranten
- Macht bei der Auswahl der Bewerber keine Unterschiede nach Herkunft, sondern nach der Qualifikation
Ich finde die Aussagen der Bundeskanzlerin sehr gut, zumal Sie positive Zeichen setzt und umschreibt, wie Integration auszusehen hat und was man dafür tun kann, um als integriert zu gelten. Es ist sehr erfreulich, dass die Aussagen diesmal keine auf Religion fußenden Beurteilungen enthalten. Auf diesen Aussagen kann man eine zukunftsfähige pluralistische Gesellschaft aufbauen in der jeder mit jedem offen umgeht.
Vor allem finde ich die Aufforderung der Kanzlerin an die 3.Generation sehr wichtig, denn sie ist es, die in Deutschland am meisten verwurzelt ist. Es wäre daher sehr schön, wenn die deutsche Gesellschaft das auch langsam akzeptieren könnte und offener damit umgeht.
Eine Aufforderung der Kanzlerin an die dritte Generation und an die Deutschen ist meines Erachtens, die Basis für eine gemeinsame Zukunft.
Ich erwarte eigentlich in der dritten Generation, dass die Frage ‚Kann ich deutsch oder nicht deutsch?‘ keine Rolle mehr spielen dürfte. Ich erwarte, dass die jungen Migranten sich offen für unser Land mit einbringen, dass sie an allen Stellen mitarbeiten – ob das jetzt im politischen oderim gesellschaftlichen Raum ist. Ich wünschte mir, dass auch die Vereinigungen nicht immer so getrennt sind – eine Wirtschaftsvereinigung für die türkischstämmigen Unternehmer und eine für die klassischen deutschen Unternehmer –, sondern dass es zumindest zwischen diesen Vereinigungen noch viel mehr Kontakte gibt. Denn irgendwann, in der vierten, fünften, sechsten Generation, sollte man ja auch mal gar nicht mehr als erstes danach fragen: Gibt es einen Migrationshintergrund – ja oder nein?
Für die 3.Generation gilt also:
- Mehr Engagement für Deutschland
- Keine getrennten Vereinigungen mehr oder
- Zumindest mehr Kontakt zwischen Vereinigungen
Aus diesem Interview sind viele Hausaufgaben sowohl für Migranten, aber auch für Deutsche zu entnehmen. Es ist deshalb sehr wichtig, diese Hausaufgaben auch umzusetzen, ansonsten sind das nur Lippenbekenntnisse, die wir seit bereits 50 Jahren immer wieder ansprechen aber nicht in die Tat umsetzen.
Es ist deshalb meines Erachtens sehr wichtig, sich nicht mehr auf versteifte Debatten zu konzentrieren, sondern auf Projekte, die ein gemeinsames Miteinander fördern.
Um jedoch gemeinsame Projekte auch gemeinsam zu bestreiten muss eine oft betonte Willkommens-Kultur herrschen, die in der Praxis Anklang findet, d. h. im Umgang miteinander. Vielleicht müssen wir noch lernen miteinander umzugehen ohne den Anderen in einer von uns selbst definierten Schublade sehen zu wollen.
Es kann nicht sein, das Integration soweit reichen muss, dass man fast assimiliert ist. Niemand kann von einem Menschen verlangen, dass er seine Herkunft vergisst oder verleugnet und sich total verstellt. Es ist daher wichtig, die Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Dies kann nur dann geschehen, wenn man über seinen eigenen Schatten springt und die Kultur, die religiöse Überzeugung und die Lebensweise des anderen zu verstehen versucht.
„Man darf seine und soll seine kulturelle Identität nicht vergessen, es geht um Integration und nicht ums Vergessen der Herkunft“.
(Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel)
Migranten oder mittlerweile Deutsche mit Migrationshintergrund sollten endlich aufhören sich in der Opferrolle zu wälzen. Es macht sicherlich Spaß jeden zweiten Tag über das Thema schreiben zu können, jedoch darf man nicht vergessen, dass es auch noch andere wichtige Themen in Deutschland gibt über die es sich zu schreiben, zu lesen oder zu reden lohnt.
Mitgestalten heißt mitreden, mitmachen und mitwirken. Wie soll das gehen, wenn man sich in einer Jammerkultur wohl fühlt? Keine Mehrheitsgesellschaft läuft hinter einer Minderheitsgesellschaft, die ihre Argumente nur noch darauf aufbaut über das Land zu schimpfen in dem es lebt. Daher ist es wichtig, sich jeden Tag zu fragen: Welchen Beitrag leiste ich für die Gesellschaft in der ich lebe?