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Manche Bücher werden geschrieben, um die wahren Geschichten aus der Realität in Form von Buchstaben, Wörtern, Sätzen zu verewigen und manche Bücher werden gelesen, um die Geschichten aus der Fiktion der Autoren in Form von Buchstaben, Wörter, Sätze als wahre Geschichte in der Realität zu leben.
Die Realität ist fast für jeden Menschen ein Ort des Negativen und der Mensch hat im Laufe der Geschichte immer wieder versucht, einen anderen Ort, eine andere Zeit in seiner Fantasie zu kreieren, um in seinen Gedanken und für seine Ideen einen Zufluchtsort zu schaffen. El Dorado, Utopia, Der Sonnenstaat waren fantastische Landschaften in der Fantasie utopischer Autoren, weil die Realität alleine nicht ausreichte. Die Realität reichte nicht aus, um ihre grenzenlosen Gedanken der Gerechtigkeit, der Schönheit auszuleben, so griffen Männer wie Thomas Morus nach erfundenen Welten, wo Menschen in Glück und Freiheit und Gerechtigkeit und Wohlstand lebten. Ein natürliches Syndrom, eine ontologische Bestimmung für den Homo Faber, dessen Seele einen kleinen Mikroteil des absolut Gerechten, des absolut Freien darstellt. Literatur ist in dieser Hinsicht wichtig. Der Kampf mit den Wörtern, der in einer kompletten Zähmung der Buchstaben enden sollte, kann gar nicht weggedacht werden aus der Determination des menschlichen Geschlechts.
Identität statt Anpassung
Ein anderes Problem liegt uns lokalen, bundesweiten Problemfällen vor. Die Integration. Oder anders gesagt, der Crash-Kurs für Ausländer in jenen Zeiten, wo die Wirtschaft nicht mehr so funktioniert wie in den Zeiten, als der Gastarbeiter nur das Vokabular der Baustelle oder der Fabrik verinnerlichen musste und deutsche Wörter, die über diese Grenze hinausgingen, nicht erforderlich waren, um diesen mit defizitären Sprachkenntnissen ausgestatteten einfachen Typ des Arbeiters zu akzeptieren. Es wird etwas von uns verlangt. Eine Anpassung. Die Anpassung unserer Kultur, unserer Religion, unserer Sprache an die hiesige Landschaft der so genannten „Aufklärung“. Ein Versuch, unsere im heutigen Wüstenstaat Saudi-Arabien geborene Religion zu „europäisieren“. Die anatolische Sitte den deutschen Gesetzen anzupassen. Die deutsche Sprache in Wort und Schrift zu beherrschen. Viele kennen diese Erwartungen seitens der Mehrheitsgesellschaft.
Doch die hauptsächliche Frage sollte doch darin bestehen, wer wir sind. Welche Identität haben wir zu präsentieren? Haben wir überhaupt eine eigenständige Identität?
Die Migranten der dritten und zum Teil vierten Generation tragen eine historische Aufgabe. Sie haben die Gelegenheit, den stabilen Boden für ein dauerhaftes Haus der Migrantenkultur und -identität zu legen. Sie besitzen Macht über die deutsche Sprache, Macht über die eigene, zu Hause gesprochene Sprache. Unsere Eltern kamen zum Arbeiten nach Deutschland, wir haben die Aufgabe, einen weiteren Stein zu legen, einen guten, einen eleganten, einen poetischen.
Ohne Literatur, ohne Kino, ohne Musik der besonderen Klasse werden wir nicht die Möglichkeit haben, einen eigenen Fluss der Zivilisation ins große Meer der Gesellschaft münden zu lassen, der dann sein Gewässer in den universellen Ozean führen wird, damit das Schöne und Gute aus unseren Reihen sich vereint mit dem Schönen und Guten der Lateinamerikaner, der Schwarzen, der Jamaikaner und aller anderen Nationen. Ein lahmer Prozess der Integration passt uns nur an. Eine Grenzüberschreitung zum Positiven muss stattfinden.
Unsere Geschichten erzählen
Ein Versuch der Bildung einer positiven Parallelgesellschaft mit ihrer Kunst, ihrer Literatur, ihrem Kino, ihrem Theater und vielen anderen Facetten. Eine Anpassung ist das subtile Mitteilen, dass die Probleme beseitigt werden. Die Probleme und Problemfälle, die wir mittransportiert haben. Das Temperament, die Religion, den Ehrenkodex, die Ethik- und Moralvorstellungen, die des Öfteren auf unterschiedlichen gemeinsamen Nennern basieren als die hiesigen, oder zumindest deren heutige.
Wir müssen die migrantischen Geschichten, mal voller Humor, mal mit dem Touch der Melancholie, aufrichtig und ohne jegliche Mission zu Wort und Schrift und Bild bringen. Künstler müssen Bilder aus migrantischen Familien zeichnen und malen, um den Respekt gegenüber ihren Eltern zu erweisen, um an eine neue Ära der Migration zu appellieren: Eine Ära der Kreativität, eine Ära des Mitredens, nicht nur um der Akzeptanz willen, sondern auch als eine intellektuelle Auflehnung gegen Verhältnisse, die uns nicht passen. Eine Musik zu kreieren, die schön ist, die hörbar ist, die die Seele trifft und die eine eigene Identität präsentiert. Schwarze Sklaven haben es mit Blues, Jazz, Soul geschafft, sich in einer Art und Weise zu äußern, die kunstvoll, melodisch das Herz berührte und von sich sprechen ließ.
Wir lesen zu wenig, geben uns zu viel mit Politik ab und sprechen zu oft in Dialogveranstaltungen. Wir müssen aber die Grenze der Politik überschreiten. Politik ist Fernsehen, Kunst sind die Bücher, Kunst sind die Lieder, die sich im Gedächtnis des Volkes verewigen.
Bildung ist auch Herzensbildung
Politik spaltet und Kunst verbindet. Kunst verneint und lehnt die aufgesetzte Aufrichtigkeit ab, die zum Alltag des politischen Integrationsprozesses gehört. Das Selbstbewusstsein steigert sich mit der Bildung und mit Bildung ist nicht die schulische gemeint, nicht das Studieren, sondern die Herzensbildung. Politik ist wie das Studieren. Das Gesehene, das nackt Wahrgenommene, die eigenständig erworbene Kultur durch Literatur ist das Unterbewusstsein. Wenn Studium Physik ist, ist Literatur Metaphysik. Wir müssen die Welt von Dostojewski, von Sartre, von Camus, von Hugo und anderen großen Persönlichkeiten in unsere Gedächtnisse schwimmen lassen, damit wir imstande sind, selbst die Metaphysik neu zu schreiben. Die eigenen Gedanken, die gegenwärtigen Umstände miteinbeziehen. Neue Geschichten, neue Romane basierend auf dem Erbe der okzidentalischen und auch der orientalischen Literatur müssen wir den nächsten Generationen schenken. Etwas, was über die Grenzen geht, über das Sichtbare, über die mageren, leeren und dumpfen Slogans, über die Physik.
Eine magere Hip-Hop-Kultur hat nicht die Kraft einer spürbaren, in der Hand schmelzenden Geschichte mit starken Buchstaben, mit starken Sätzen, mit dem starken Humor eines Aziz Nesin. Wir müssen weiter und tiefer denken als es von uns erwartet wird. Die Weisheit, die Ruhe, die Geduld Anatoliens als Hilfe benutzen, um die Phänomene der postmodernen Kultur analysieren zu können. Wir haben viel. Sehr viel Potenzial, sehr viele Instrumente, sehr viele Katalysatoren, doch geben uns mit sehr wenig zufrieden.
Mit Folkloreeinlagen, um den örtlichen Politikern zu gefallen, denen wir blaue Augen beim Besuch in der Moschee schenken, um das schlechte Omen aus seiner Umgebung mit Aberglauben wegzujagen. Dem Politiker gefällt das, da die Rollen bei diesem Theater getauscht werden. Nicht das Volk, in diesem Falle die türkische Moscheecommunity, fordert, sondern der Politiker, da die Türken zögern, den Mann der örtlichen Partei in irgendeiner Weise zu kritisieren.
Frei sein von den tagespolitischen Debatten
Es ist Angst. Eine Form der Angst, die uns Einwanderer keinen Zentimeter weiterbringt. Als Jugend, als dritte Generation mit mehr Mumm sind wir dazu verpflichtet, anders vorzugehen als unsere Vorgänger. Wie gesagt, eine tiefsinnigere Herangehensweise kann uns helfen, einen historischen Baustein in die Geschichte der Einwandererkultur Deutschlands zu setzen, ohne gegenwärtige, tägliche, mediale, demagogische Debatten zu betrachten, die wie Silvesterknaller für nur kurze Zeit laut sind und deren Reste am nächsten Tag von der Müllabfuhr gesäubert werden.
Wir dürfen keinen Müll produzieren. Wir müssen Kunst kreieren, schön, poetisch und elegant. Geschichten schreiben, die manchmal hart, manchmal aggressiv, manchmal humorvoll, manchmal so sanft und lang sind wie die Haare der Rapunzel oder das Bildnis des Dorian Gray, manchmal tragisch, manchmal gottergeben. Bilder zeichnen mit ähnlichen Attributen. Wir beginnen zunächst, erlebte, wahre Geschehnisse in Wort und Bild zu vergeschichtlichen, die wahren Geschichten aus der Realität in Form von Buchstaben, Wörter, Sätze zu verewigen, um zu zeigen, was erlebt worden ist. Wenn diese Phase eingetreten ist, können wir Geschichten, unserer migrantischen Fantasie entsprungen, in Bücher packen, aus unserer Vorstellung von einer Idee, aus unserem Glauben an die Gerechtigkeit und das Glück. Und diese werden dann künftig von manchen gelesen werden, mit dem Ziel, die Geschichten aus der Fiktion der Autoren in Form von Buchstaben, Wörtern, Sätzen als wahre Geschichte in der Realität zu leben. So werden wir eine Identität gezeigt und geschafft haben, mit der Kraft unserer Hände und unserer Gedanken eine Welt aus der Erde herauszuholen.
Vielleicht wird das nicht geschehen, doch die menschliche Hoffnung bleibt, solange der Mensch lebt, solange er irrt, solange er strebt.
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