Die Integrationsdebatte ist so alt wie das Phänomen der Migration selbst.* Wer darf sich im „eigenen“ Land niederlassen? Wie viele Menschen sollen es sein? Welche Rechte haben sie? Und weshalb? In den letzten Monaten ist der alte Streit zwischen einer versöhnlichen Position der kulturellen Vielfalt und einer konservativen Position der Wahrung nationaler Sicherheitsinteressen in Schweden wieder losgebrochen. Anlass ist das REVA-Projekt.

Die Initiative zur „effizienteren Durchführung von Ausweisungsprozessen“ wurde 2011 auf Grundlage einer Regierungsdirektive gegründet und zunächst in der Pilotgemeinde Malmö-Stadt eingesetzt. Bis 2014 soll sie nun aber auf das ganze Land ausgeweitet werden. Wörtlich übersetzt steht REVA für „Rechtssicherheit und effizientere Durchführung“ (rättsäkerhet och effektivt verkställningsarbete). Das Konzept beinhaltet eine Zusammenarbeit von Polizei, Grenzschutz und Einwanderungsbehörde. Bekannt geworden ist es durch die „inneren Ausländerkontrollen“. Bei diesen Ausweisprüfungen an öffentlichen Orten handelt es sich um gezielte Hetzjagden auf versteckt lebende Flüchtlinge, die bereits einen Abschiebungsbescheid erhalten haben. Als Kriterien für die Kontrollen wurden offiziell Hautfarbe und andere Merkmale der äußeren Erscheinung angegeben.

Andere Dimensionen des REVA-Projektes umfassen eine effizientere Organisation der schwedischen Einwandererbehörde, des Migrationswerkes. Diese diene letztendlich in erster Linie den Asylbewerbern selbst, indem sie Wartezeiten verkürze.

„Provision“ für erfolgreiche Abschiebungen

Beachtenswert ist, dass das schwedische Migrationswerk pro abgeschobenen Flüchtling eine Pauschale in Höhe von 4550 SEK aus dem Rückkehrfonds der EU erhält. Das sind umgerechnet etwa 530 Euro. Die Anzahl der illegalen Einwanderer beträgt in Schweden laut der Datensammlungsbank Migrationsinfo.se jährlich etwa 10 000 bis 50 000. Darunter sind ca. 2–3000 Kinder.

Im Vergleich zu 2010 ist die Anzahl der „inneren Ausländerkontrollen“ 2012 um 9000 angestiegen.

Das allgemeine Echo lautet: „diskriminierend“ und „rassistisch“. In diesem Zusammenhang muss unbedingt auch der öffentliche Brief des Schriftstellers Jonas-Hassen Khemiri erwähnt werden, der im Februar bei “Dagens Nyheter” erschien. In dieser poetischen Streitschrift an die Justizministerin Beatrice Ask geht es um die kollektive Verdächtigung von schwedischen Mitbürgern mit ausländischem Aussehen. Bei neun von zehn Fällen „erwischen” die REVA-Kontrolleure nämlich Menschen, die legal in Schweden leben.

In der Vergangenheit wurden die Passkontrollen oft im Rahmen von Fahrkartenkontrollen in der U-Bahn durchgeführt. Damit ist mittlerweile Schluss. Die Hetzjagd in Stockholmer U-Bahnen wurde aufgrund der öffentlichen Reaktion im März eingestellt.

Mit etwas Pech beim Weg aus dem Krankenhaus aufgegriffen

Bisher galten Schulen, Krankenhäuser, Freiwilligenzentralen und Plätze der öffentlichen Religionsausübung als sogenannte Freizonen. Nun fürchten viele illegale Einwanderer, selbst dort aufgegriffen zu werden. Die Zahl der ausgewiesenen illegalen Einwanderer hat sich z.B. in Malmö im ersten Jahr nach der Einführung des REVA-Projektes um 25{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} gesteigert. Die Polizei selbst formuliert es so, dass sie „in der Regel keine Kontrollen in Kirchen, Herbergen, Krankenhäusern und Schulen durchführt“.  Sicher gäbe es aber durchaus einmal einen Anlass für die Polizei, sich vor dem Krankenhaus aufzuhalten. Es ist daher schwierig, generelle „Freizonen“ für illegale Einwanderer zu benennen.

Freibrief für Rassisten und Denunzianten

Ein anderes Risiko, das mit dem REVA-Projekt einhergeht, ist das Problem der Willkür. Welche Menschen sind es, die die Polizei mit Informationen über illegale Einwanderer versorgen? Der Dachverband schwedischer Flüchtlingsorganisationen, FARR, kritisiert, dass es nicht logisch sei, sich auf die Hinweise von Privatpersonen zu verlassen, die nicht zwingend den grundliegenden ethischen Gesetzen folgen. Stattdessen erteile man populistischen Kräften im Land geradezu einen Auftrag, nach „unschwedischen Gesichtern” zu suchen.

Im Zuge der Debatte um REVA ist seit dem Februar 2013 bereits viel geschehen. Der vielleicht größte Gewinn ist die breite Aufmerksamkeit, die das Thema “Asylrecht” genossen hat. In allen größeren Städten Schwedens wurden Demonstrationen, Kampagnen  und Aktionen organisiert und ein gewaltiges Medienecho schilderte jeden Tag neuen Seiten der Debatte (die deutsche Reaktion beschränkte sich dabei auf einen Artikel in der TAZ). Wie bereits erwähnt, wurde die Hetzjagd in Stockholmer U-Bahnen eingestellt. Die Polizei hat ihren Ton etwas verändert: „Kontrollen dürfen nicht länger nur auf der Basis des Aussehens stattfinden” heißt es auf der Homepage im Mai 2013.

Mittlerweile hat sich die Anspannung etwas gelegt. Der Alltag hat Schweden wieder eingeholt. Zuletzt wurde die Öffentlichkeit damit besänftigt, dass illegale Einwanderer subventionierte Zahnpflege bekommen. Ein Recht, dass nicht einmal schwedische Bürger genießen. Teils stellt sich jedoch die Frage, ob die „Papierlosen” sich überhaupt zum Zahnarzt trauen, teils mutet diese Änderung wie ein Tropfen auf den heißen Stein an.

Unterdessen läuft das REVA-Projekt in abgemildertem Modus weiter…

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*Bei Aristoteles konnten z.B. im eigenen Lande wohnende Ausländer niemals das Wahlrecht erwerben.

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Bühnenpoetin, lyrische Erstveröffentlichung in „500gramm, Vol. 6“, studiert Politikwissenschaft und Deutsche Gegenwartsliteratur an der Universität Göteborg. Mareen wurde 1989 in Bremen geboren. 2010 kam sie als Austauschstudentin nach Schweden und lebt seitdem in Göteborg, Westschweden. Sie engagiert sich für humanistische Projekte wie den Verein Teepalig Waisenkinder Ghana e.V. und das Clandestino Institut. Aufgrund der eigenen Migrationserfahrung intressiert sie sich für die inneren Prozesse der Migration und ihre äußeren Rahmenbedingungen. Sie ist überzeugt von einer menschlichen Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinaus und davon, dass die Frage nach kultureller Identität und Integration in Europa neu gestellt werden muss.

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