Foto: Zaman-Online

„Es ist eine Frage der demokratischen Selbstachtung einer ganzen Gesellschaft, ob wir sicherstellen, dass künftig die Kernversprechen eines Rechtsstaates glaubwürdig geäußert werden“,

wurde der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy in der Gesprächsreihe „Main Deutschland“ deutlich, in deren Rahmen der Politiker auf Einladung der World Media Group auftrat.

Wie nicht anders zu erwarten war, war das Interesse an der Veranstaltung überdurchschnittlich groß. Die vielen gespannten und fragenden Blicke waren nach vorne gerichtet, es ging den Menschen darum, Informationen aus erster Hand zu erhalten. Informationen, die in Aussicht stellen würden, dass etwas in Bewegung wäre. Denn abseits aller noch so abstruser Entwicklungen herrschte Klarheit über eine Tatsache: Aus rechtsextremen Motiven heraus wurden Menschen Opfer von Verbrechen. Sie wurden Opfer einer Mordserie, die über ein Jahrzehnt ungelöst blieb, weil die Sicherheitsbehörden unzählige Male versagt hatten.

Sebastian Edathy war sich bewusst über das zerrüttete Vertrauen vieler Menschen in die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie, als er seine Ausführungen mit der Frage begann, warum der Rechtsstaat und seine Institutionen als Garanten für das Wohlergehen aller Mitglieder der Gesellschaft so scheitern konnten und weshalb ihnen in weiterer Folge die objektive und professionelle Aufklärung misslang.

Akribisch strukturiert setzte er seinen Vortrag fort. Und er wich dabei unbequemen Fragen nicht aus. Sie bewegten ihn sichtlich selbst.

„Hätte es aufgrund der Straftaten nicht eine Möglichkeit zur Spurenfindung gegeben um auf den NSU zu stoßen?“

Oder:

„Warum führte die Kenntnis über das Abtauchen des Trios während der Fahndungen nicht zum erwünschten Erfolg?

Anhand dieser Fragestellungen ging er die einzelnen Faktoren durch, die zu der verheerenden Ansammlung der uns wohlbekannten Pannen in den Sicherheitsbehörden führten.

Seine kompetente und durchdachte Erscheinung brachte mich zum wiederholten Erstaunen darüber, wie im Gegensatz dazu über Jahre hinweg die verantwortlichen staatlichen Institutionen so eigensinnig agieren und trotz aller vorhandenen Indizien die Existenz der rechtsextremen Wirklichkeit übersehen konnten.

Für Sebastian Edathy liegt das Kernproblem auf der Hand:

„Am schwierigsten zu überwinden ist nicht das strukturelle, sondern das Mentalitätsproblem.“

Und dieses sollte ein gesellschaftlich weitreichendes Problem sein, welches er im Laufe des Abends noch mit mehreren weiteren Beispielen aus den einzelnen Phasen der Akteneinsicht und dem Prozess ihrer Anforderung illustrieren sollte.

„Es entspricht der türkischen Mentalität, der Polizei gegenüber nicht immer die Wahrheit zu sagen“

hieß es etwa im Aktenvermerk eines Polizeibeamten. Dass es ein Mentalitätsproblem gibt, stimmt, aber es ist in den deutschen Behörden zu finden. Und es ist eines, das sich in Denk- und Handlungsmustern äußert, die dazu führten, dass Täter außer Acht gelassen, Opfer zu Tätern deklariert und somit im doppelten Sinne zu Opfern gemacht worden wären.

Bis zu diesem Punkt war alles kein Neuland. Bei den Zuhörern breitete sich mittlerweile eine abgestumpfte Frustration aus. Die anschließenden Fragen aus der Zuhörerschaft zeigen, dass man weniger über die Fakten und Hergang der Ereignisse selbst hören wollte und stattdessen mehr über die weitere Vorgehensweise, um auf diesem Wege Hoffnung schöpfen zu können, dass zukunftsorientierte Maßnahmen ergriffen werden, durch die sich derartige „Pannen“ vermeiden lassen – und ob diese nun systemisch waren, wird sich hoffentlich im Untersuchungsbericht zeigen.

Wir sollten uns darüber bewusst sein, dass der Untersuchungsausschuss mit seinen Handlungsempfehlungen lediglich eine Basis schaffen wird,  die sich nur dann in Richtung einer sich mit ihren Entscheidungen und Handlungen bewährenden Demokratie entwickeln kann, wenn wir als Gesellschaft ohne Ausnahme zielstrebig und kooperativ an der Umsetzung arbeiten. Die Politisierung und die Betrachtung des Themas als Medientrend für sich allein führen nicht zur erforderlichen Sensibilisierung der Gesellschaft. Rechtsextremistisches Gedankengut ist längst in der Mitte unserer Gesellschaft angelangt und die Zwickauer Terrorzelle ist nicht mehr als ein durch Zufall an die Öffentlichkeit geratener Teil der Grundproblematik.

Verständlicherweise stellt sich in vielen Köpfen die Frage: „Was ist nach den Wahlen?“

Mehmet Harmanci, Stadtverordneter für Offenbach, spricht von einer „Bringschuld für die neue Regierung“. Harmanci, , wartet gespannt auf die vollendete Arbeit des Ausschusses und erhofft sich mehr politischen Druck statt einer ausschließlichen Handlungsempfehlung. Druck, um strukturelle Veränderungen in Gang zu setzen. Restaurierung statt Fehlbesetzungen, strukturelle Veränderungen statt Aktionismus.

Eines wurde aber an jenem Abend allen deutlich:

„Wir haben kein Problem mit menschlicher Vielfalt sondern mit menschlicher Einfalt“.

Mit diesen Worten beendete Sebastian Edathy seine Rede. Worte, die zeigen, dass die Aufklärung der Taten der Terrorgruppe NSU lediglich die Spitze des Eisberges darstellen. Das diesen zu Grunde liegende Problem hingegen muss an der Wurzel gepackt werden.

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Studiert Soziologie an der Universität Mainz. Ist Initiatorin der Facebook-Gruppe: Rechtsextreme Gewalt und Übergriffe. Vorsitzende der Hochschulgruppe MOSAIC und schreibr zurzeit Ihre Abschlussarbeit in Organisationssoziologie.

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