Es war einmal in einem Jahr, das viele vermutlich längst vergessen haben – 1925. Bob Minor, ein amerikanischer Künstler mit scharfer Feder und noch schärferem Blick, zeichnete einen Cartoon, der heute wieder erstaunlich aktuell erscheint. Die Szenerie: Drei muskulöse Männer mit den Namen „China“, „Indien“ und „Afrika“ stehen bedrohlich über einer zusammengekauerten Truppe kleiner, schwitzender Imperialisten, angeführt von einem besonders nervösen Vertreter des „US-Imperialismus“. Damals war das Ganze wohl eher eine dystopische Warnung oder eine revolutionäre Wunschvorstellung, je nach Perspektive. Heute könnte man es als prophetische Vision lesen – oder als Anleitung für eine geopolitische Komödie mit einem Hauch von Tragik.
Muskelmasse gegen Papiertiger
Der Cartoon zeigt uns ein Bild, das im Jahr 1925 noch als Absurdität durchgegangen wäre. China? Ein globaler Riese? Damals hatten die meisten Menschen im Westen wahrscheinlich nur zwei Assoziationen zu China: Teeporzellan und Opiumkrieg. Indien? Ach, das war die Perle der britischen Krone, also eine Art königlicher Garten mit Curryduft. Und Afrika? Ja, das war der Ort, wo man Rohstoffe abzapfen und Abenteuerromane ansiedeln konnte. Dass diese Regionen irgendwann einmal die Großmächte herausfordern könnten, hätte damals kaum jemand für möglich gehalten. Und doch: Hier stehen sie nun, mit breiten Schultern und breitem Grinsen, bereit, das geopolitische Spielfeld aufzumischen.
Die ehemaligen Muskelprotze des Westens hingegen wirken im Cartoon wie die Antihelden eines schlechten Broadway-Musicals. Der „US-Imperialismus“ schwitzt, seine Freunde – die europäischen Imperialisten – kauern noch kleiner neben ihm. Es ist fast so, als hätte sich der Spieß umgedreht. Der einstige Goliath steht plötzlich ohne Steinschleuder da. Oder besser gesagt: mit einer Schleuder, aber ohne Steine, weil die Rohstoffe mittlerweile woandershin fließen.
Die Geschichte des Kolonialismus: Ein Fitnessprogramm für andere
Was macht diese Situation so ironisch? Nun, die ehemaligen Kolonialmächte haben mit ihrem imperialistischen Fitnessprogramm genau die Muskelmasse geschaffen, die sie heute ins Schwitzen bringt. Erst hat man China mit Opiumkriegen und ungleichen Verträgen geplagt, nur um dann zuzusehen, wie es sich dank wirtschaftlicher Revolution zum globalen Wirtschaftspowerhouse hochtrainiert. Indien hat man Jahrhunderte lang ausgebeutet, um dann festzustellen, dass es eine Bevölkerung hat, die die IT-Welt regiert und bald mehr Menschen zählt als jede andere Nation. Und Afrika? Jahrzehnte von Ausbeutung und Neokolonialismus haben vielleicht nicht direkt Muskeln, aber einen enormen Widerstandswillen geschaffen – ganz zu schweigen von der strategischen Bedeutung für Ressourcen und Handel.
Die neue Weltordnung: Weder friedlich noch fair
Natürlich ist das geopolitische Muskelspiel keine einfache Angelegenheit. Die großen Muskelmänner des Südens und Ostens mögen breitschultrig auftreten, aber sie sind keineswegs altruistische Helden. China baut Straßen und Brücken in Afrika – und verschuldet dabei gleich ganze Staaten. Indien predigt Demokratie, ist aber zu Hause oft erstaunlich autokratisch. Und Afrika? Die verschiedenen Länder versuchen, ihre Rolle neu zu definieren, sind aber immer noch Spielball externer Interessen.
Und was macht der „US-Imperialismus“? Er rennt hektisch auf und ab, schwingt seine Peitsche, während seine Muskeln schwinden. Mal gibt es Sanktionen, mal militärische Drohgebärden, mal moralische Belehrungen – alles schön verpackt unter dem Banner der Demokratie. Doch die Welt kauft das Theaterstück immer weniger ab. Der große Papiertiger des 20. Jahrhunderts sieht plötzlich aus wie ein Karton, der bei Regen in sich zusammenfällt.
Das Lachen der Muskelmänner
Und hier liegt der eigentliche Clou: Die einst Unterdrückten lachen. Sie lachen über das Gerangel der ehemaligen Imperialisten, die sich verzweifelt an ihre alte Weltordnung klammern. Sie lachen über die Heuchelei der Sanktionen, die Doppelmoral der „westlichen Wertegemeinschaft“ und die immer hilfloser wirkenden Versuche, die globale Agenda zu dominieren.
Doch das Lachen könnte täuschen. Die Muskelmänner haben ihre eigenen Probleme. Ein Muskel ist nämlich nichts ohne ein gutes Gehirn, und hier zeigt sich, dass auch die neuen Kräfte nicht frei von Korruption, Gier und Machtmissbrauch sind. Vielleicht ist das die bittere Pointe dieses geopolitischen Schauspiels: Am Ende bleiben alle Gefangene ihrer eigenen Vergangenheit.
Ware stärke liegt nicht in Muskeln
Bob Minors Cartoon mag fast ein Jahrhundert alt sein, doch er zeigt eine Lektion, die heute wichtiger denn je ist: Die Machtverhältnisse der Welt sind nicht in Stein gemeißelt. Und während die Muskelmänner auftreten, um ihre Ansprüche geltend zu machen, sollten wir nicht vergessen, dass wahre Stärke nicht nur in Muskeln, sondern auch in Moral und Menschlichkeit liegt. Aber wer braucht schon Moral, wenn man genug Bizeps hat?