Von D.C.

„Die Leute in meinem Alter hätten an einem Freitagabend auch locker feiern gehen können – stattdessen sind 300 von ihnen zu uns in die Aula gekommen und haben sich mit Integration auseinander gesetzt.“ – Hüdaverdi Güngör aus Bottrop ist gerade mal 18 Jahre alt und kann sich schon mit vielen „Titeln“ schmücken: Diskussionsveranstalter, Parteigründer, Social-Media-Aktivist und Schauspieler.

Der Schüler ist Sohn eines türkischstämmigen Schauspielers und Fernsehproduktionsleiters. Dadurch war er bereits als Kind in diversen Produktionen in Nebenrollen zu sehen – u.a. Alarm für Cobra 11, Rennschwein Rudi Rüssel, Ladykracher, aber auch die WDR-Produktion Schurkenstück. Seine dadurch entstandenen Kontakte zu Prominenten mit Migrationshintergrund wollte Hüdaverdi Güngör als er 16 war dazu nutzen, das Thema Integration seiner Generation anders zu vermitteln: Keine politischen Sonntagsredner, sondern ECHTE Vorbilder mit WAHREN Geschichten – und das ganze mit leichtem „Pop-Anstrich“. Güngör organisierte mit Hilfe der Deutschlandstiftung – die er „einfach mal dreist angerufen“ hatte – Themenabende unter dem Motto „Geh deinen Weg“. Mit dabei waren z.B.: Schauspieler Aykut Kayacik („Soloalbum“, „Was tun, wenn’s brennt?“), der über seine Erfahrungen als „Migrant“ in der Filmbranche sprach; Soziologe Suat Yilmaz (Westfälische Hochschule Gelsenkirchen), der über seine Arbeit als erster „Schüler-Talentscout“ an einer deutschen Hochschule berichtete; oder Osman Uygur, der seinen Weg vom Türsteher in ein „seriöses“ Leben“ schilderte. Hunderte Jugendliche waren bei den Geh deinen Weg-Veranstaltungen dabei.

Die Veranstaltungen verschafften ihm nicht nur in Bottrop Bekanntheit, weshalb ihn mehrere Parteien als Mitglied werben wollten. Dort fand er sich in keiner wieder. Auch eine Mitgliedschaft im Integrationsrat der Stadt, lehnte er ab: “Warum soll ich mich nur mit Problemen meiner Herkunft beschäftigen und nicht mit denen der ganzen Stadt?! Das wäre doch keine Integration.” Hüdaverdi Güngör wollte die Themen, die ihn bewegen anders angehen und gründete mit anderen Gleichaltrigen aus Bottrop im März die Partei „Die Verfassungsschüler“ – vergleichbar mit der Jugendpartei „PETO“ in Mohnheim. Damit trat Güngör als Vorsitzender sehr kurzfristig bei der Kommunalwahl an. Keiner der insgesamt 13 Kandidaten erlangte zwar einen Sitz im Bottroper Stadtrat, aber in der öffentlichen Wahrnehmung waren die Verfassungsschüler angekommen, einmal dank Facebook und auch aufgrund größerer medialer Präsenz. Inzwischen arbeiten die Verfassungsschüler daran, sich landesweit aufzustellen.

Die Illusion der türkischstämmigen Jugendlichen

In sozialen Netzwerken diskutiert Hüdaverdi Güngör leidenschaftlich mit Gleichaltrigen: „Ich kenne so viele türkischstämmige Jugendliche. Sie sind hier geboren, träumen aber von einem Leben in der Türkei. Das ist eine Illusion – in Deutschland haben sie mehr Chancen als dort.“ Er sieht die Mission seiner Generation darin, Brücken zu bauen: „Wir sind die Generation, die die Kultur der Eltern und die Kultur der Deutschen verstehen und zwischen ihnen vermitteln können.“ Für seine Integrationsarbeit wird Güngör in Bottrop demnächst mit einem Preis für Zivilcourage und Engagement ausgezeichnet.

Hüdaverdi Güngör liebt das Rampenlicht. Er hat aber auch Etwas zu sagen. Er macht sich Gedanken über seine Generation, den Frust vieler türkischstämmiger Jugendlicher hier und über seine „beiden“ Kulturen. Er sieht die Politik Erdogans kritisch, sieht in der Türkei aber auch keine schlagkräftige Opposition. Deutsche Integrationspolitik hält er für wenig nachhaltig. Der junge Mann erzählt pointiert und überzeugend. Man würde ihn nicht unbedingt für 18 halten!

Zwei Stunden Gespräch mit ihm über seinen Werdegang, seine Projekte und seine Gedanken vergingen für mich wie im Flug.

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