von Marco Buschmann*
Vor kurzem hörte ich von einem türkischen Sprichwort. Ins Deutsche übersetzt lautet es in etwa wie folgt: Wer das Zwitschern verbietet, kann doch nicht verhindern, dass der Frühling kommt. Der Frühling – das ist seit dem berühmten „Prager Frühling“ das Symbol für den Wunsch nach Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie. Zwitschern ist, seitdem es den Nachrichtendienst Twitter (englisch für Zwitschern) gibt, das Symbol dafür, seine eigene Meinung im Internet zu verbreiten. Wenn nun der türkische Ministerpräsident versucht, dem Wunsch nach mehr Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie in seinem Land damit begegnen zu können, indem er den Internetdienst Twitter verbietet, zeigt er, dass er die alte Weisheit des türkischen Sprichwortes nicht kennt oder missachtet. Auch wer eine Zeitung verbietet, wird den Menschen nicht den Wunsch nach Wahrheit, Meinung und Austausch austreiben können. Frühling wird es eben trotzdem.
Das wirkt umso tragischer, als dass die Türkei zu einem strahlenden Symbol hätte werden können: Wirtschaftlicher Fortschritt trifft auf eine zwar zaghafte, aber doch wahrnehmbare demokratische Entwicklung in einem Land mit muslimisch geprägter Kultur. Die Türkei war eine Zeit lang auf dem Weg, das Beispiel zu werden, an dem sich viele Länder mit demokratischen Revolutionen etwa in Nordafrika hätten orientieren können. Bei vielen meiner Freunde, deren Wurzel in der Türkei liegen, konnte ich den Stolz spüren, den sie dabei empfanden. Statt dass die Türkei dort aber für Demokratie und Rechtsstaat wirbt, greift der türkische Ministerpräsident nun selbst zu Maßnahmen der alten Diktatoren, die die Menschen in diesem Ländern vertrieben haben. Denn Twitter war eine der Plattformen, auf denen sich die jungen Menschen verabredet haben, um Machthaber wie Mubarak zu stürzen. Nun merke ich bei meinen Freunden die Scham, obwohl sie doch nichts dafür können.
Auch für viele West-Europäer war die Türkei ein Symbol. Hier sollte sich zeigen, dass Religion und Kultur eines Landes die Menschen Europas nicht trennen muss. Hier sollte sich das großartige Motto bewähren: Europas Stärke ist seine Vielfalt. Es sollte sich zeigen, dass individuelle Freiheit, Demokratie, Wohlstand und Fortschritt keine exklusiven Werte der christlichen oder der westlichen Welt sind, sondern dass sie allen Menschen offenstehen und in allen Kulturen gelebt werden können – eben auch in einem Land mit muslimisch geprägter Kultur und Geschichte.
Steilvorlage für Türkei-Ausgrenzer in der EU
Doch dieses Symbol kann kein Land sein, dessen Regierung Meinungsfreiheit im Internet einschränkt, Plattformen des Austauschs verbietet und Journalisten inhaftiert. So spielt eine solche Regierung dem konservativen Denken in die Hände, das meint, Europa sei ein „christlicher Club“, weil Islam und Demokratie oder Islam und Marktwirtschaft unvereinbar seien und daher ein Land mit muslimisch geprägter Kultur nicht in die Europäische Union gehöre.
Wenn doch der türkische Ministerpräsident nur wüsste, wie sehr er seinem Land schadet. Wenn doch der türkische Ministerpräsident nur wüsste, welche fantastischen Chancen er für die Rolle seines Landes in der Welt verspielt! Statt im Frühling den Boten eines reichen Sommers zu sehen, möchte er, dass sein Land im Winter verharrt. Doch das ist ein Ding der Unmöglichkeit. So wenig wie die Zeit still steht, so wenig lassen sich die Jahreszeiten aufhalten. Und was ist schon der Lauf der Jahreszeiten gegen den unbändigen Wunsch der Menschen nach Freiheit und Selbstbestimmung?Nirgendwo auf der Welt lassen sich die Menschen dauerhaft den Mund verbieten – sei es auf Marktplätzen oder im Internet. Der Frühling wird kommen – auch nach Ankara.
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* Geschäftsführer der Freien Demokratischen Partei
für Politik, Kommunikation und Kampagne / Rechtsanwalt