Ist es denn nur reiner Zufall, dass Larry, das Logo von Twitter (engl. für Zwitschern), ein Vogel, wahrscheinlich eine Taube, ist? Symbolträchtig ist jedenfalls die weiße Taube, denn sie steht weltweit für den Frieden, wobei es den Gründern von Twitter wahrscheinlich weniger um die Friedenssymbolik als um das Bild einer Nachrichten transportierenden (Brief-)Taube ging, die eine ähnliche Funktion ausfüllt wie bei Harry Potter die Eule.

Nun stellt sich die Frage nach dem Warum hinsichtlich der von einem türkischen Gericht angeordneten Twitter-Sperre. Diese Antwort setzt sich zusammen aus zwei unterschiedlichen, jedoch einander ergänzenden Entwicklungen. Anlass ist ein Rechtsstreit zur Wahrung des Persönlichkeitsrechts einer Klägerin, und Twitter hat in der Türkei keine Niederlassung. Es geht der Regierung aber nicht nur um den Rechtsschutz. Dass der Dienst in der Türkei bis auf weiteres auf Eis liegt, kommt der Regierung nur allzu gelegen.

Der eine eigentliche Grund für die Abschaltung ist, dass soziale Netzwerke seit jeher als Kommunikationsplattform dienen und der politische Diskurs sich sukzessive auch auf diese neue Plattform ausgedehnt hat. Nicht nur das politische „Alltagsgeschäft“ wird dort angesprochen, erörtert und diskutiert; es kann auch als Organisationsinstrument eingesetzt werden, wie es beispielsweise die Oppositionellen während des Arabischen Frühlings getan haben. Ähnliches passierte bis vor kurzem auch in der Türkei. Menschen, die einander bis dato nicht mal kannten, haben sich über Facebook, Twitter & Co. abgesprochen, miteinander über die neuesten Entwicklungen diskutiert und auch die Demonstrationen zentral auf diesen Wegen organisiert. Dies war und ist dem türkischen Ministerpräsidenten ein Dorn im Auge. Dies hat er selbst auch ganz offen angesprochen hat bei seiner Wahlkampfveranstaltung in Bursa am 20. März. Wie auch bei den Gezi-Protesten sprach er von einer internationalen Verschwörung gegen die Türkei und  betonte die Macht der Türkei, die sich gegen diese Verschwörung zu helfen wisse.

Die nahenden Kommunalwahlen am 30. März

Die Kommunalwahlen am kommenden Sonntag sind keine gewöhnlichen Wahlen mehr, es geht um viel mehr als nur die Bestimmung der neuen Oberbürgermeister der Städte und örtlichen Regierungen in den Provinzen der Türkei. Unter den neuen Umständen ist es eine Wahl zwischen den beiden herrschenden politischen Ideologien und Überzeugungen in der Türkei, der autoritär-konservativen Politik Erdoğans und der republikanisch-liberalen Politik der CHP. Der asymmetrische Vergleich ist bewusst gewählt, da Ministerpräsident Erdoğan in der AKP eine so herausgehobene Stellung und zentrierte Macht besitzt wie sonst keiner der anderen drei Parteivorsitzenden – egal ob in der CHP, der MHP oder der BDP.

Ein weiterer politischer Akteur (wider Willen), der in unkonventioneller Weise zum Thema der türkischen Innenpolitik wurde, und von dessen Lehren jene Medien inspiriert sind, die kurz vor dem Jahreswechsel durch Veröffentlichung über die Korruptionsaffäre Furore machten, ist der Imam Fethullah Gülen und die von ihm inspirierte Hizmet-Bewegung. Zwar lebt Fethullah Gülen selbst nicht mehr in der Türkei, sondern in den USA, seine Anhänger sollen jedoch, zumindest behaupten dies seine Gegner, in verschiedenen staatlichen Institutionen der Türkei wie der Polizei und der Justiz überproportional stark vertreten sein. Galten Gülen und Erdoğan lange Zeit als Weggefährten bei der Neuausrichtung der Türkei, hat die Ankündigung Erdoğans, Nachhilfeinstitute und Privatschulen schließen lassen zu wollen, einen tiefen Keil zwischen die Anhänger der Lehren Gülens und die Regierungspartei getrieben, da ein nicht unerheblicher Teil der betroffenen Schulen von Personen betrieben wird, die der Hizmet nahe stehen.

Die Regierung beschuldigt die Hizmet-Bewegung nun, Erdoğan und der AKP durch Veröffentlichungen von geheimen Audiomitschnitten von Gesprächen zwischen dem Regierungschef und seinem Sohn Bilal, aber auch Telefonate mit Ministern und hohen Funktionären bei Fernsehsendern und der Justiz, einen Denkzettel verpassen zu wollen. Beweise für eine Beteiligung von Angehörigen der Hizmet-Bewegung gibt es bis dato keine.

Nur in vier Ländern ist Twitter abgeschaltet

Dies ist jedoch der zweite Grund für Erdoğans kompromissloses und aggressives Handeln gegen alle, die ihm gegenüber nicht loyal sind. Twitter wurde zwar nicht wegen Fethullah Gülen und seiner Bewegung abgeschaltet, strategisch befindet sich Erdoğan jedoch in einem „Zwei-Fronten-Krieg“, in dem er sukzessive gegen beide verfeindete Gruppen vorgehen muss. Durch das Vorgehen gegen Twitter hat er insbesondere jene Menschen ins Visier genommen, die seit Ende Mai 2013 im Rahmen der Gezi-Proteste auf die Straßen gegangen waren gegen Erdoğans immer autoritärer werdende Politik, gegen die von ihnen behauptete Verkürzung ihrer persönlichen Freiheiten und gegen das Eingreifen des Staates in die Privatsphäre der Menschen.

Nun warten alle gespannt auf die Kommunalwahlen, wo sich zeigen wird, wie die türkische Gesellschaft die Ereignisse der letzten Jahre bewertet und ob die AKP ein etwa vergleichbares Ergebnis von etwa 50 Prozent erreichen wird wie bei dem letzten Parlamentswahlen – die Benchmark auf kommunaler Ebene liegt mit 39{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} da schon niedriger. Das Twitter-Aus ist nur ein Ereignis in einer Reihe von vielen einschneidenden Ereignissen der letzten Jahre, jedoch sollte man sich vergegenwärtigen, dass die Türkei nun neben dem Iran, Nordkorea und China das vierte Land ist, in dem der Dienst auf Eis liegt.

Am Sonntag wird sich herausstellen, wer zuletzt „zwitschert“ – Erdogan oder seine Widersacher. Bis dahin heißt die Devise: „Wer zuletzt zwitschert, zwitschert am besten“.  

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22 Jahre, 6. Semester VWL an der Universität Mannheim, Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung, Sprecher der BDAS-HSG Mannheim und weiteres Engagement im gesellschaftlichen und (hochschul-)politischen Bereich.

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