Facebookgeflüster

In dieser Rubrik wollen wir künftig aktuelle Stellungnahmen mit Genehmigung unserer Kolumnisten dokumentieren oder auch zu Artikeln zusammenfassen, die diese auf Facebook äußern.

Den Anfang wird dabei Kamuran Sezer machen, der sich über die innenpolitische Situation in der Türkei und die bevorstehenden Wahlen Gedanken gemacht hat.

Dieser Artikel ist ein Novum: Der Inhalt, den Sie gleich lesen werden, sind die Worte von Kamuran Sezer und trotzdem ist er nicht der Urheber des Artikels. Mit seiner Erlaubnis haben wir zwei Postings aus seinem Profil auf Facebook zu diesem Artikel zusammengefasst. Kamuran Sezer, der sich seit Wochen zu den Ereignissen in der Türkei äußert, will seinen Standpunkt zunächst nur als Facebook-Posting verkünden.

Der türkische Ministerpräsident behauptet, dass die Hizmet-Bewegung im türkischen Staat „Parallelstrukturen“ geschaffen habe, die Einfluss über die Justiz hat und über eine Korruptionsaffäre, die nicht existiere, versucht hat, die türkische Regierung zu stürzen. Dabei wurde auch sein Sohn Bilal ins Visier der Ermittlungen genommen. Seitdem befindet sich die Türkei in einer Staatskrise, die ausschließlich mit politischen Mitteln bestritten wird.

Statt „Parallelstrukturen“ möchte ich eine „Parallelwelt“ konstruieren, wie diese Ereignisse von Erdogan auch anders hätten begegnet werden können:

Nachdem bekannt geworden war, dass nicht nur Söhne seiner Minister, sondern auch sein eigener Sohn Ziel der Ermittlungen sind, hätte er öffentlich Stellung beziehen können, dass er zwar die Arbeit der Justiz respektiert, aber von der Unschuld seines Sohnes überzeugt sei, der zudem entschieden habe, seine Anwälte damit zu beauftragen, Rechtsmittel gegen die Justiz einzusetzen. Die Anwälte des Sohnes hätten auch gegen Beamte Dienstaufsichtsbeschwerden einlegen können. Gleichzeitig hätte Erdoğan anführen können, dass er seine entsprechenden Minister und den Geheimdienst beauftragt habe, die Vorfälle rund um Razzien zu überprüfen, inwiefern sie durch Dritte beeinflusst werden. Dabei hätte er dieses Thema auch im Parlament erörtern können.

So hatte Erdoğan sowohl den Rechtsstaat als auch den Parlamentarismus stärken können.

Aber wie sagte Steinbrück?- Hätte, hätte, Fahrradkette!

Erdoğan agiert wie ein Kleinstadtbürgermeister

In der wirklichen Welt hat Erdoğan entschieden, wie ein Elefant im Porzellanladen zu poltern. Er vermeidet nicht den Eindruck, dass er die ganzen Vorgänge als eine Majestätsbeleidigung versteht. Er, der Diener des Volkes, der U-Bahn, Fabrikanlagen, Autobahnen usw. bauen lässt, kann einem Trugschluss nicht unterliegen. Er irrt sich nie. Der, der behauptet, dass derjenige, der Mitleid empfindet, am Ende selbst bemitleidet wird. Der Angriff als die bessere Verteidigung bezeichnet. Die Lüge, oder anders formuliert: unbelegte Behauptungen, als legitimes Mittel versteht. Stattdessen hat er sich entschieden, mit dem Finger auf andere zu zeigen und sie als Attentäter und Bänden zu kriminalisieren. Statt aufzuklären nutzt er lieber seine Macht dazu, 5000 Staatsanwälte, Polizisten und Richter versetzen zu lassen – ohne Angaben von Gründen. Stattdessen hat er sich entschieden, eine repressive Atmosphäre aufzubauen, in der Menschen vorziehen, lieber zu schweigen. Er hätte sich wie ein wahrer Staatsmann verhalten können, der diese Krise nutzt, um die türkische Demokratie zu stärken und noch mehr Anhänger zu gewinnen. Stattdessen verhält er sich wie ein unbegabter Bürgermeister einer Kleinstadt, der seine Unfähigkeit und Uneinsichtigkeit mit seiner Macht wettmachen möchte.

Oden auf den Premierminister

Ab heute beginnt in der Türkei der heiße Wahlkampf bei den Kommunalwahlen. Dieses Mal allerdings haben diese Wahlen starke Signalwirkung für das gesamte Land und werden über die weitere politische Stellung der Ministerpräsidenten entscheiden. Der Wahlkampf der AKP strebt folgende Wirkungen und Ziele an:

1. Der Ministerpräsident steht im Fokus der Wahlkampfstrategie. Einerseits soll die Popularität eine wichtige Triebkraft zur Mobilisierung von Wählerstimmen sein. Andererseits zeigen erste Kampagnen auf, dass der Ministerpräsident (surreal) überhöht wird. Er wird in Liedern und Gedichten besungen und gelobt und in einem Fall gar in die Nähe von Propheten gerückt, von dem das Schicksal des Landes abhängt. Diese Überhöhung dürfte auf den Effekt abzielen, den Korruptionsskandal klein und marginal wirken zu lassen.

Bozkurtlar başarılı?

2. Die Inhalte der Wahlkampfstrategie weisen darauf hin, dass die AKP den größten Gegner in der MHP, den türkischen Nationalisten, sieht, die in den Umfragen an Boden gewonnen haben. Ein weiterer Grund für diese Sorgen dürfte das enge Netzwerk der MHP und Vororganisationen in den Städten sein. (Mich würde es nicht wundern, wenn die MHP die CHP als zweite Kraft ablöst.) Daher greift auch die AKP in ihren Kampagnen auf Symbole, Wahlkampftraditionen und Persönlichkeiten der Nationalisten zurück – es fehlt lediglich noch die Guttenbergung des Wolfsgrußes.

3. Die AKP legt in der Kommunikation großen Wert auf die Erfolge in der Stadtentwicklung und im Bau städtischer Infrastruktur, die die Lebensqualität der Menschen sichtbar und spürbar verbessert haben. Auf diese Perzeption durch die Bürgerinnen und Bürger scheint die AKP zu zählen, um sich als effektiver „Diener“ des Volks zu präsentieren.

Türkei: Einseitige Konzentration auf Milli-Görüş-Stammpublikum

4. Und das überrascht mich doch ein wenig: Die AKP konzentriert sich ausschließlich auf eine Wählergruppe, die ich als religiös bis ultrareligiös beschreiben würde. Das ist insofern überraschend, als ich glaube, dass diese soziale Gruppe kleiner ist als man denkt. Ja, über die Landflucht seit den 1970er-Jahren ist eine religiöse Schicht in den Städten entstanden, derErdoğan seinen politischen Erfolg zu verdanken hat. Aber die nachfolgende Generation dieser Gruppe, aus der durch auf Grund des mit der Verstädterung verbundenen Lebenswandels eine deutlich heterogenere Gruppe entstanden ist, dürfte auch in ihren Parteipräferenzen heterogen sein. Daher bin ich mir nicht sicher, ob es klug ist, dass die AKP andere urbane Milieus vernachlässigt. Um diese religiöse Gruppe zu bedienen, wird Erdoğan wahrscheinlich unterschwellig den Antisemitismus und Antiamerikanismus bedienen. Dies wiederum würde die anderen sozialen Gruppen abschrecken, zumal Erdoğan nach den Gezi-Park-Protesten und dem Verzicht auf Umsetzung des Demokratiepakets – gelinde gesagt – einen sehr schwierigen Stand hat. Ich bin gespannt, ob die Verengung auf diese Gruppe ausreichen wird, um das Ergebnis der letzten Kommunalwahlen zu erreichen oder gar zu übertreffen.

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