Am 25. Mai sind alle wahlberechtigten Bürger in den 28 EU-Mitgliedsstaaten aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlen zum Europäischen Parlament könnten dieses Mal aber spannender werden als sonst, da die Drei-Prozent-Sperrklausel in Deutschland im Februar 2014 durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde.Bereits 2011 hatten die Richter schon die Fünf-Prozent-Hürde gesenkt. Auf europäischer Ebene herrscht bei den Sperrklauseln ein großes Durcheinander. Einige Staaten haben höhere, andere wiederum niedrigere und wieder andere gar keine Hürden bei den EU-Wahlen. Das bedeutet zugleich, dass am 26. Mai das Europäische Parlament mit seinen derzeit sieben Fraktionen und 766 Abgeordneten, von denen 31 keiner Fraktion angehören,noch vielfältiger sein wird.
Hoffen auf steigende Wahlbeteiligung
Auf der anderen Seite könnte die Entscheidung der Karlsruher Richter die zuletzt sehr geringe Wahlbeteiligung möglicherweise nach oben korrigieren. Vor dem Hintergrund, dass die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen in den letzten Jahrzehntenstetig gesunken ist, wäre dies ein positives Signal. 1979 nahmen noch 63 Prozent der EU-Bürger an den Wahlen teil.1994 fiel dieser Wert schon auf knapp 57 Prozent. 1999 gingen nur noch fast 50 Prozent der Stimmberechtigten zur Wahl. Bei den vorletzten EU-Wahlen viel der Wert auf 45,6 Prozent. Schließlich haben 2009 nur noch 43 Prozent des Wahlvolks ihr demokratisches Recht wahrgenommen.
Nationale und regionale Wahlen beliebter
Die Wahlen für die nationalen, regionalen oder lokalen Parlamente scheinen attraktiver für die EU-Bürger zu sein. Auch in Deutschland liegt die Wahlbeteiligung bei Bundestags- und Landtagswahlen weit höher. Zuletzt lag die Beteiligung zu den Bundestagswahlen (2013) bei 71,5 Prozent. Am 25. Mai werden in zehn deutschen Bundesländern auch Kommunalvertretungen gewählt.
Große Parteien vs. kleine Parteien
Am 25. Mai zählt jede Stimme. Das bedeutet natürlich nicht, dass diese in der Vergangenheit nicht gezählt hätten. Aber: Stimmen, die bei einem Votum nicht die Sperrklausel erreichten, wurden bis jetzt immer den großen Parteien zugeschlagen. Diese Praktik ändert sich nun. Es wird keine verlorenen Stimmen mehr geben, oder zumindest wesentlich weniger. Bereits 0,6 oder 0,7{29198b972399c81ed5054510dfa220ef2abbd08e78f3050c7d7070df681d4040} könnten für ein Mandat ausreichen. Und die großen Parteien werden nicht mehr die großen Profiteure dieser Wahlen sein.
Andererseits können die kleinen Parteien davon ausgehen, dass ihre Chancen, ins Parlament einzurücken, sinken, je höher die Wahlbeteiligung ausfällt.Kritiker sprechen schon jetzt von „Zersplitterung“ oder „Ausdehnung von Partikularinteressen“. Ferner werden Befürchtungen geäußert, dass so die Arbeit des Parlaments behindert werden könnte und es schwieriger werde, Koalitionen zu konstituieren. Keine Frage: Die Kompromiss- und Konsensbereitschaft der Parlamentarier wird sich erhöhen müssen.So wird es beispielsweise eine neue Herausforderung, sich auf gemeinsame Kommissare und einen gemeinsamen Kommissionspräsidenten zu einigen. Falls „Einzelkämpfer“ nach Brüssel ziehen, werden diese lernen müssen, sich in parlamentarischen Fraktionen zusammenzuschließen und sich der Fraktionsdisziplin unterzuordnen.
Mehr deutsche Parteien im Europaparlament
Wären die letzten Wahlen zum Europaparlament (2009) bereits ohne die Sperrklausel abgehalten worden, hätten die etablierten, deutschen Parteien hypothetisch mit Sitzverlusten rechnen müssen. Nach dem neuen Stimmverfahren hätten CDU/CSU drei Abgeordnete weniger zu verbuchen. Auch die SPD und die Grünen hätten je zwei Sitze verloren. Die FDP hätte einen Stuhl weniger. Bei der Linkspartei hätte die Sperrklausel keine Konsequenzen auf die Sitzverteilung gehabt. Demgegenüber hätten die Freien Wähler 2009 zwei Sitze, die Republikaner, die Tierschutzpartei, die Familienpartei, die Piratenpartei, die Rentnerpartei sowie die ÖDP jeweilseinen Sitz im Europäischen Parlament erobern können. Am 26. Mai werden aller Voraussicht nach viele dieser Parteien ins Parlament einziehen. Besonders die euroskeptische „Alternative für Deutschland“ (AfD) hofft auf einen Erfolg. Wenn man bedenkt, dass viele Menschen, die aufgrund der Sperrklausel ihre Stimme 2009 einer großen Partei geliehen haben, dieses Mal eine kleinere Partei wählen dürften, könnte die Anzahl deutscher Parteien in Straßburg noch größer werden.
Prognosen: CDU/CSU, FDP und Grüne mit Stimmverlusten, alle anderen Parteien legen zu
Die Meinungsforscher haben in den letzten Wochen alle Hände voll zu tun. So läge die CDU/CSU derzeit (Stand: 25.04., Institut: INSA) bei 36 Prozent. Das wäre im Gegensatz zu den Europaparlamentswahlen von 2009 ein Verlust von knapp zwei Prozentpunkten. Die Sozialdemokraten kämen demnach auf 28 Prozent. Gegenüber der Stimmabgabe vor fünf Jahren ein Plus von knapp sieben Prozent. Die Grünen verlören einen Prozentpunkt und könnten am 25. Mai auf 11 Prozent blicken. Die FDP müsste wohl erneut mit dramatischen Stimmverlusten rechnen: Nur noch vier Prozent für die Liberalen. Das würde ein Minus von sieben Prozent bedeuten. Die Linke würde 1,5 Prozent dazugewinnen und käme nun auf neun Prozent. Die AfD würde mit erstmals sieben Prozentpunkten einen Achtungserfolg erzielen. Alle anderen Parteien befinden sich derzeit laut Umfragen verschiedener Institute zwischen sechs und sieben Prozent.
Positionen zum EU-Beitritt der Türkei
Bei der Frage des Beitritts der Türkei in die Europäische Union vertreten die Parteien unterschiedliche Meinungen. Die AfD ist zum Beispiel für die „Ablehnung der Aufnahme der Türkei aus geographischen, kulturellen und historischen Gründen“. Die CDU/CSU lehnt eine Vollmitgliedschaft ebenso strikt ab, unterstützt jedoch eine „strategische Zusammenarbeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen“. Die FDP favorisiert einen ergebnisoffenen Prozess ohne „Rabatte“. Die SPD spricht sich nach wie vor für eine Weiterführung der Beitrittsverhandlungen aus. Die Grünen versprechen in ihrem Wahlprogrammentwurf eine „glaubwürdige Beitrittsperspektive“ mit dem Ziel des Beitritts der Türkei „durch faire und transparente Beitrittsverhandlungen“.
Übrigens ist seit dem 28.4. der Wahl-o-Mat der Bundeszentrale für Politische Bildung als Entscheidungshilfe online.