Bildquelle: Jasper Goslicki | Attribution-Share Alike 3.0 Unported | Transparent des Vereins „Arbeit Familie Vaterland“ von Henry Nitzsche, parteiloser Bundestagsabgeordneter

Die New York Times berichtet, dass laut US Nachrichtendiensten seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien mindestens 70 amerikanische Staatsbürger unter fragwürdigen Umständen aus den USA nach Syrien gereist sind oder reisen wollten, um eventuell dort zu kämpfen („At least 70 Americans have either traveled to Syria, or tried to, since the civil war started three years ago, according to the intelligence and counterterrorism officials.”). Reuters zufolge seien dagegen schon mindestens 270 deutsche Staatsbürger in Syrien und insgesamt 2000 aus Westeuropa (German authorities know of some 270 of their countrymen currently in Syria and say the real number could be much higher).

Wenn man die gesamte Bevölkerung in Deutschland und USA vergleicht, ist diese Zahl für Deutschland alarmierend. In diesem Zusammenhang müsste man sich fragen, was in Deutschland eigentlich los ist, dass junge Menschen losziehen, um in einem Krieg zu kämpfen, der mit ihnen selbst wenig zu tun haben dürfte.

Vom Wesen der Demokratie

Hierzu sollte man sich anschauen, wie eine Demokratie, und zu einer solchen bekennt sich ja auch Deutschland, funktioniert.

Damit ein Zusammenleben, eine Gesellschaft florieren kann, muss man sich für dieses Zusammenleben auf einige Werte geeinigt haben. In Deutschland sind es unter anderem die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Eine hundertprozentige Demokratie ist zugegeben eine Utopie, die erreichen zu wollen man aber nie aufgeben sollte. Demokratie ist außerdem eine unperfekte Staatsform, aber die beste, die wir kennen. Demokratie bedeutet auch ständige Arbeit. Damit sie funktioniert, muss sie auf Werte wie Gleichberechtigung und Einbeziehung so vieler Menschen wie möglich aufgebaut sein, anstatt auf Exklusion und Diskriminierung.

Es ist nicht immer einfach, die Bedürfnisse des Individuums und der Gesellschaft auszubalancieren. Mitbürger müssen deshalb bereit sein, Kompromisse einzugehen und sich auch dem Wunsch der Mehrheit zu fügen. Damit aber auch tatsächlich die Mehrheit repräsentiert wird, ist Partizipation das A&O einer Demokratie. Grundlagen für die Partizipation sind unter anderem gegenseitiger Respekt, Akzeptanz, Gleichberechtigung und Inklusion. Einiger dieser Werte können chronologisch zuerst fast immer nur von der dominanten Kultur ausgehen. Denn Minoritäten haben vorerst gar nicht erst die dazugehörige Macht, bestimmte Werte für die Gesellschaft setzen. Idealerweise würden viele positive Werte von beiden Seiten ausgehen, aber die dominante Kultur hat nun einmal vorerst eine einflussreichere Position. Nachdem diese von der dominanten Kultur ausgegangen sind, wäre zu erwarten, dass Minoritäten in ähnlicher Weise mit der Entwicklung eigener Werte reagieren; was sie auch mit höchster Wahrscheinlichkeit tun werden, wenn man ihnen mit vielen positiven Werten entgegenkommt: ein Verhältnis, das in Deutschland leider von Anfang an auf falsche Grundlagen gebaut wurde und nun Früchte trägt; verschärft auch durch die wirtschaftliche Aussichtslosigkeit und Zukunftsangst vieler Jugendlicher.

Jugendliche anfällig für Rekrutierung durch Extremisten jeglicher Art

Angesichts der wirtschaftlichen Realitäten, die sich in Zukunft eher noch schlimmer darstellen dürften als besser, ist die Zukunft vieler Jugendlicher gefährdet. Wenn Jugendliche keinen wirklichen Sinn im Leben sehen, denken, keine Zukunft zu haben oder kein Zugehörigkeitsgefühl aufweisen, sind sie anfällig für Rekrutierungen jeglicher Art. Die Details der Ideologien, die bei der Rekrutierung eine Rolle spielen, sind weniger wichtig. Was bei der Rekrutierung verkauft wird, ist das Dazugehören, Sinn haben; unabhängig, davon wie irrational die Zusammenhänge sind. Die Frage ist, was kann die Gesellschaft den Jugendlichen bieten und wie kann sie somit Rekrutierungen für fragwürdige Zwecke entgegenwirken? Genau diese Frage ist zu beantworten, wenn es um Kampf gegen Extremismus geht.

Es gibt zwar viele Länder, die sich mit Demokratie identifizieren, aber wenig gute reale Beispiele. Auch in Deutschland ist die Demokratie aus unterschiedlichen Gründen gefährdet. Angesichts der gegebenen Realitäten – die darauf hindeuten, dass der Extremismus eher zu- als abnimmt – wäre es sinnvoll, lieber heute zu handeln als morgen. Denn es gibt keine einfache Lösungen gegen Extremismus. Das Problem muss langfristig und auf eine progressiv-strategische Art und Weise bekämpft werden.

Landesgrenzen, Loyalität, multiple Identitäten

Technologie hat die Welt sehr verändert. Wir leben immer und immer weniger innerhalb von Landesgrenzen. Stattdessen in einer mehr oder weniger globalen Welt, die sich immer und immer weniger abgrenzen lässt. Durch die vereinfachte Mobilität und Massenkommunikationsmöglichkeiten hat sich vieles gändert. Somit sollte auch über die Ausführungsformen einer Demokratie anders gedacht werden. Viele Menschen vereinigen heutzutage mehrere Herkunftsländer oder Kulturen in sich; Mehrfachstaatsangehörigkeit ist nicht mehr aus der Realität auszudenken. Anstatt mit Nationalismus oder Loyalitäten gegenüber nur einem Land, wie wir sie gekannt haben, werden wir in Zukunft eher mit Ideologien zu tun haben. Alles wird verschwommener und weniger identifizierbar werden. Die Frage ist, sind wir auf so eine Welt vorbereitet?

Extremismus wirbt mit einem Plus an Gemeinschaftlichkeit

In einer organischen, sich ständig neu formenden Welt sollten wir auch unser Denken rund um nationale Sicherheit ändern. Toleranz, Respekt gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen, Gleichberechtigung, Moralität sollten die Tagesordnung dominieren. Was aber nicht heißen soll, dass Werte wie Toleranz keine Grenzen haben sollten. Ganz im Gegenteil, die Aufgabe eines Rechtstaates ist unter anderem dafür zu sorgen, dass die Freiheiten, die ausgelebt werden, nicht in die Freiheiten eines anderen Menschen eingreifen oder diese limitieren. Wenn dies der Fall ist, muss eine Entscheidung getroffen werden. Manchmal werden diese Entscheidungen sehr schwierig werden. In solchen Fällen kann ein Staat davon profitieren, wenn er starke Grundlagen und das Vertrauen seiner Mitbürger hat. Durch Einbeziehung und Gleichberechtigung, Transparenz und Rechtstaatlichkeit kann ein Staat das Vertrauen seiner Mitbürger gewinnen und damit eine starke Grundlage aufbauen. Faire und starke Grundlagen werden in Zukunft wichtiger denn je werden. Denn Benachteiligte unterschiedlichster Art (sozial, wirtschaflich, religiös, ethnisch und die Liste geht weiter) sind nicht mehr so hilflos, wie sie früher mal waren. Sie können sich schnell und einfach formieren, organisieren und gegen jegliche Exklusion kämpfen; was das Gefährliche daran ist, sie können dies auf ihre eigene Art und Weise tun. Hierbei sind sie anfällig für zwielichtige Gestalten, die ihre Vulnerabilität ausnützen wollen. Diese sind dann eventuell  Extremisten, die alles anderes als demokratische Strukturen aufbauen möchten.

Hundertprozentig wird man Rekrutierungen dieser Art nicht verhindern können. Aber trotzdem kann man viel zur Vorbeugung tun, indem man die gesellschaftlichen Grundlagen stärkt. Eine der wichtigsten Anziehungskräfte, die extremistische Gruppen haben, ist die Gemeinschaft. Das hat damals mit dem Nationalsozialismus funktioniert und wird auch in Zukunft mit anderen extremistischen ideologien funktionieren. Somit muss dafür gesorgt werden, dass so viele wie möglich einen Platz in der Gesellschaft haben, wo sie sich wertgeschätzt fühlen. Strukturelle Diskriminerung auf welcher Basis auch immer ist genau das Gegenteil von einer gesunden Gemeinschaft und somit ein Nährboden für den Extremismus.

Diskriminierung, Rassismus, Exklusion—auch Fragen der nationalen Sicherheit

Somit ist die Bekämpfung von Diskriminierung, Rassimus und Exklusion nicht mehr nur eine Frage von Moral und Menschenrechten, sondern auch eine Frage der nationalen Sicherheit. Nationale Sicherheit auf der anderen Seite ist aber nicht beschränkt auf die eigenen Grenzen, sondern umfasst auch andere Länder. Im Falle Syrien zum Beispiel betrifft die Rekrutierung für terroristische Gruppen auch die Sicherheit der USA. Was in Deutschland passiert, ist somit eventuell auch eine Angelegenheit der internationalen Gemeinschaft.

Mit Blick auf die Anzahl der extremistischen Rekrutierungen in Deutschland ist es an der Zeit, sich dieses Problem sehr genau anzuschauen und Maßnahmen zu implementieren, um das Problem so bald und so wirksam wie möglich bekämpfen zu können. Denn einfache, schnelle Methoden gibt es nicht. Die Bekämpfung von Extremismus wird in absehbarer Zukunft eine langfristig zu bearbeitende Agenda bleiben. Und darauf sollte eine Gesellschaft wie Deutschland sehr gut vorbereitet sein.

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Die Verfasserin ist geborene Fürtherin. Sie hat ein Abitur vom Dürer-Gymnasium in Nürnberg; einen Bachelor in Allgemeine Geisteswissenschaften und einen Master in Öffentliche Verwaltung vom Western Michigan University. Sie ist im Jahre 1998 in die USA ausgewandert und lebt seit 2011 wieder in Deutschland. Sie sitzt im Vorstand der internationalen gesellschaft für diversity management (idm). Sie hat ihr eigenes Blog (http://diversitygermany.blogspot.de/) wo sie Artikel über Diversity, Anti-Diskriminierung, Chancengleicheit und ähnliche Themen veröffentlicht.

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