Wenn es um religiöse Bewegungen mit politischen Zielen geht, hat die Welt klare Favoriten – zumindest sprachlich. „Islamistisch“ ist ein Begriff, der so allgegenwärtig ist wie Kaffee am Morgen. „Christlichistisch“? Das klingt schon eher nach einer akademischen Debatte, die niemand hören will. Und jüdische Ideologien? Die scheinen in einer Sprachfalle zu sitzen, die sich irgendwo zwischen Tabu und blinder Fleck befindet. Willkommen in der Welt der asymmetrischen Begriffe, in der die Religion nicht das Problem ist, sondern die Politik, die wir darum spinnen.
„Islamistisch“: Der Alleskleber für alles Fremde
Beginnen wir mit dem Star des Programms: „Islamistisch“. Kaum ein anderer Begriff hat es geschafft, so schnell so viel Misstrauen auszulösen. Sobald das Wort fällt, ist die Botschaft klar: Hier geht es um Extremismus, Terrorismus, und um eine vermeintliche Bedrohung „unserer Werte“. Die Definition? Flexibel wie ein Turnschuh. Eine Gruppe, die den Islam politisch umsetzen will? Islamistisch. Eine Gruppe, die Gewalt anwendet, um diese Ziele zu erreichen? Ebenfalls islamistisch. Eine Gruppe, die einfach nur gegen die westliche Politik protestiert? Warum nicht auch islamistisch.
Dass dabei lokale Konflikte, soziale Ungerechtigkeit oder Kolonialgeschichte oft ausgeblendet werden, scheint niemanden zu stören. Es ist schließlich einfacher, alles in eine Schublade zu werfen, als die mühsame Arbeit der Differenzierung zu leisten. „Islamistisch“ ist mehr Schlagwort als Begriff – ein universeller Schlüssel für die Tür zum kulturellen Alarmismus.
Christlich? Nationalistisch? Oder einfach ein bisschen radikal?
Schauen wir uns nun die andere Seite der Medaille an. Christliche Bewegungen mit politischer Agenda gibt es zuhauf: Von Evangelikalen in den USA, die Abtreibungsrechte kippen wollen, bis hin zu europäischen Parteien, die das „christliche Abendland“ vor Migranten retten möchten. Es gibt sogar Gruppen, die offen von einem Staat nach biblischen Gesetzen träumen. Und dennoch wird hier selten mit Begriffen gearbeitet, die die politische Dimension dieser Bewegungen klar benennen. „Christlichistisch“? Das klingt zu unbequem, zu nah an der eigenen Haustür. Stattdessen werden diese Gruppen als „traditionell“ oder „konservativ“ verharmlost, wenn sie nicht gleich als „Spinner“ abgetan werden.
Der Unterschied in der Wahrnehmung ist frappierend. Während islamische Bewegungen sofort mit dem Makel der Radikalität belegt werden, haben christliche Ideologien oft den Vorteil der kulturellen Nähe. Sie sind „unsere“ Religion, der wir historisch verpflichtet sind – oder zumindest glauben, es zu sein. Doch diese Doppelmoral ist gefährlich. Denn auch christliche Bewegungen können Gewalt rechtfertigen, ausschließen und spalten – sei es im Namen Gottes, des Kreuzes oder der Bibel.
Jüdische Ideologien: Tabu oder absichtliche Ignoranz?
Und dann ist da noch die stille Ecke im Raum: jüdische Ideologien. Auch im Judentum gibt es Bewegungen, die Religion und Politik auf gefährliche Weise vermengen. Vom religiösen Zionismus, der das Westjordanland als göttlich versprochenes Land reklamiert, bis hin zu radikalen Siedlergruppen, die Gewalt gegen Palästinenser als göttlichen Auftrag sehen. Ultraorthodoxe Haredim, die ein Leben nach der Halacha fordern, sind ebenfalls politisch aktiv – oft mit erheblichem Einfluss auf die israelische Politik.
Doch hier wird die Sprache noch vorsichtiger. Der Begriff „Extremismus“ wird selten verwendet, stattdessen ist von „Spannungen“ die Rede. Ein Begriff wie „jüdischistisch“? Undenkbar. Kritik an radikalen jüdischen Bewegungen könnte als antisemitisch aufgefasst werden, was die Diskussion so kompliziert macht, dass sie meist gar nicht erst stattfindet. Doch auch hier zeigt sich: Wenn wir Extremismus nur dort benennen, wo es politisch bequem ist, bleiben wir inkonsequent.
Das eigentliche Problem: Ideologie, nicht Religion
Was diese drei Beispiele zeigen, ist simpel: Extremismus ist keine Frage der Religion, sondern der Ideologie. Egal, ob es sich um islamische, christliche oder jüdische Gruppen handelt – das Muster bleibt gleich. Es beginnt mit einer wortwörtlichen Interpretation heiliger Texte, geht über den Wunsch, die Gesellschaft nach diesen Prinzipien zu ordnen, und endet nicht selten mit der Rechtfertigung von Gewalt. Doch anstatt die Ideologie ins Zentrum zu rücken, lassen wir uns von religiösen Begriffen blenden.
Zeit für sprachliche Ehrlichkeit
Was wäre, wenn wir Begriffe wie „christlichistisch“ oder „jüdischistisch“ genauso selbstverständlich verwenden würden wie „islamistisch“? Nicht, um Religionen zu stigmatisieren, sondern um politische Bewegungen klar zu benennen. Es geht darum, Machtstrukturen offenzulegen und Doppelmoral zu vermeiden. Denn solange wir die eine Religion unter Dauerbeobachtung stellen und die anderen mit Samthandschuhen anfassen, bleiben wir blind für die tatsächlichen Dynamiken.
Schluss mit der Doppelmoral
Extremismus ist universell, auch wenn er sich gerne religiös tarnt. Ob Kreuz, Halbmond oder Davidstern – das Problem ist nicht die Religion, sondern die Ideologie, die sich ihrer bedient. Wer hier Unterschiede macht, fördert Polarisierung und verzerrt die Debatte. Es ist an der Zeit, mit präziser Sprache und konsequenter Kritik zu arbeiten. Denn solange wir weiterhin Begriffe vermeiden, aus Angst, jemandem auf die Füße zu treten, werden wir der Realität nicht gerecht – und noch weniger den Opfern dieser Ideologien.