Es gibt gute Gründe, Eliten zu misstrauen. Auch im Staat, auch in der Justiz, auch unter politischen Entscheidungsträgern. Und das auch in Deutschland.

Es gibt aber auch gute Gründe,  dem „gesunden Volksempfinden“ zu misstrauen, das sich manchmal nur in den Kommentarspalten von Medien Luft macht und manchmal auch in den redaktionellen Inhalten. Es gibt gute Gründe, jenen zu misstrauen, die aus Prinzip jedem, der ein öffentliches Amt ausübt, nur die düstersten Absichten unterstellen und hinter jeder Entscheidung ein Komplott dunkler Mächte wittern – jenen, die Hochstapler wie Edward Snowden zum Messias erklären, Elendsgestalten wie „Pussy Riot“ zu Helden verklären oder Nationalisten wie Nawalny bzw. die Ergenekon-Generäle zu Märtyrern machen.

Obrigkeitliches Handeln kritisch zu hinterfragen macht Sinn. Auch in einem freiheitlich verfassten Gemeinwesen gibt es, trotz vorhandener Kontrolleinrichtungen und Kontrollmöglichkeiten, die dem einzelnen Rechtsträger, der parlamentarischen Opposition, Verbänden, Interessengruppen oder Medien zur Verfügung stehen, festgefahrene Strukturen, interessengesteuerte Handlungen, faule Kompromisse oder politisch beeinflusste Entscheidungen, die zum Teil sogar in die Nähe der Vetternwirtschaft oder Korruption gehen können.

Dies ist sogar im großem Stil möglich, beispielsweise im Zusammenhang mit der herrschenden Energiepolitik, wo die Bundesregierung nicht nur die Solar- und Windbranche üppig am Markt vorbei subventioniert, sondern auch zweifelhafte Forschungsinstitute mit Aufträgen versorgt, die durch alarmistische Prognosen die Angst vor einem angeblich „menschengemachten“ Klimawandel schüren sollen. Für jeden, der zwei und zwei addiert, wird deutlich, dass diese Politik den Zweck verfolgt, Deutschland in Form der erneuerbaren Energien eine Weltmarktnische zu verschaffen, innerhalb derer man dauerhaft die uneingeschränkte Führerschaft einnehmen kann – was im Fall fossiler Energieträger mangels Voraussetzungen nicht möglich wäre. In einem solchen Fall geht es um viel Geld, das bereits geflossen ist und immer noch fließt – und um Gesichtswahrung.

Würde sich aber auch im heutigen Deutschland, jahrelang unbemerkt von der Öffentlichkeit und vor den Augen der Medien, eine Situation zutragen können, dass mehrere staatliche und nichtstaatliche Akteure, von bayerischen Regierungspolitikern über Banken bis hin zu Beamten, Staatsanwälten und Gerichten, gezielt und bewusst zusammenwirken, um eine einzelne Person, die einen vermeintlichen oder tatsächlichen Skandal zur Sprache bringen möchte, zum Schweigen zu bringen?

DDR: Psychiatrie politisch missbraucht

In totalitären Regimen wie der DDR wurde die Psychiatrie tatsächlich gezielt für politische Zwecke instrumentalisiert. Die kommunistische Staatsideologie galt als die oberste Stufe in der linearen Geschichtsbetrachtung, als höchste Entwicklung des Humanismus, als alternativlose Konsequenz aus dem wissenschaftlichen Weltbild und der europäischen Aufklärung. Ein rational denkender und psychisch gesunder Mensch konnte nach dieser Vorstellung gar nicht anders als die Politik der SED, welche die Weisheit des Kollektivs verkörperte, nachzuvollziehen. Wer dies dennoch nicht tat, konnte nur entweder böse Absichten haben oder mentale Mängel aufweisen (die Bezeichnung anders Denkender als „Religioten“ durch fundamentalistische Atheisten geht auf dieses Denken zurück). Und im letzteren Fall tat der sozialistische Staat dem Betreffenden sogar einen Gefallen, ihn zu seinem eigenen Wohle einer psychiatrischen Heilbehandlung zu unterziehen. Auf diese Weise endeten unzählige Oppositionelle in der DDR in der „Verfahrpsychiatrie“ – nicht wenige, die tatsächlich im Vorfeld durch „Zersetzungsmaßnahmen“ seelisch zermürbt worden waren.

Aber das war DDR – gegenüber Gustl Mollath wurde im Freistaat Bayern 2006 eine Unterbringung angeordnet. Wie kam es aber dazu?

Die Vorgeschichte: Im November 2002 wird Mollath von seiner Frau wegen Körperverletzung angezeigt. Er soll sie im August 2001 ohne Grund geschlagen, gebissen, getreten und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Mollath bestreitet die Vorwürfe. Es stellt sich zweifellos die Frage, warum erst nach mehr als einem Jahr die Tat zur Anzeige gebracht wurde. Der Gedanke an einen „Rosenkrieg“ liegt nahe.

2003 erhebt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Nürnberg beginnt im November, wird später ausgesetzt und beginnt im April 2004 neu. Das Gericht beschließt später erstmals eine Unterbringung Mollaths.

Im Dezember 2004 erstattet Mollath Strafanzeige gegen seine Frau, weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank und 24 Kunden wegen Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäften. In der Zeit vom Silvestertag des Jahres 2004 bis Februar 2005 werden zahlreiche Autoreifen von Personen zerstochen – „Spiegel online“ nennt die Zahl 129  – deren Namen Mollath zuvor in seiner Anzeige und in diversen Schriftstücken im Zusammenhang mit den von ihm erhobenen Schwarzgeldvorwürfen benannt haben soll. Die Reifen wurden dem kürzlich aufgehobenen Urteil vom 08.08.2006 zufolge auf eine Weise zerstochen, welche die Luft erst beim Fahren entweichen lasse – es habe also Gefahr für Leib und Leben bestanden.

Im darauf folgenden Februar wird die Anzeige von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Die Angaben seien zu unkonkret für ein Ermittlungsverfahren. Mollaths Darlegungen in seinen Schriftsätzen sind auffällig. Er setzt Ultimaten, sinniert über Verschwörungen, die bis in die Rüstungsindustrie hinein reichen sollen und schildert seine Frau als Schlüsselfigur in einem Komplott, das von den Rotariern bis zum Gerichtsvollzieher reicht.

Im Juni 2005 muss Mollath zur Begutachtung ins Bezirkskrankenhaus Erlangen, kommt aber wieder frei. Im Februar 2005 wird er in das Bezirkskrankenhaus Bayreuth eingewiesen. Dort bringt er fünf Wochen zu. Im August 2006 bescheinigt ein Gutachter ihm eine wahnhafte psychische Störung und paranoide Symptome.

Freispruch 2003 nur wegen Schuldunfähigkeit

Das Landgericht Nürnberg spricht Mollath wegen Schuldunfähigkeit von der Anklage aus dem Jahre 2003 frei – was nicht bedeutet, dass es damit feststellt, er habe die ihm zur Last gelegten Taten nicht begangen. Gustl Mollath wird deshalb weder zu einer Gefängnis- oder Geldstrafe verurteilt, das Gericht ordnet jedoch seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.

Im Laufe des Jahres 2012 entdeckten Netzaktivisten den Fall Mollath für sich. Der Untergebrachte wurde zum Märtyrer der Bankenkritik verklärt, der seine unerschrockene Aufklärungstätigkeit über die Machenschaften der Banken und deren Verbindung in die Politik mit seiner Freiheit bezahlen musste. Wer sich selbst ein Bild anhand von Originaldokumenten machen möchte, findet zahlreiche davon auf der von einem Unterstützernetzwerk betriebenen Seite http://www.gustl-for-help.de/.

Am Ende erklärte sich die bayerische Justizministerin bereit, den Fall neu aufrollen zu lassen.

Gustl Mollath war bis zu seiner Freilassung vor wenigen Tagen im Bezirkskrankenhaus Bayreuth untergebracht. Das Strafverfahren, im Zuge dessen Mollath beschuldigt wurde, seine Frau misshandelt und Autoreifen zerstochen zu haben, wird wieder aufgenommen. Das OLG Nürnberg korrigierte damit eine Entscheidung des Landgerichts Regensburg, das vor knapp zwei Wochen die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Mollath als unzulässig abgelehnt hatte. Das OLG ordnete nun die Wiederaufnahme an und verfügte, dass diese an einer anderen Kammer des Landgerichts Regensburg stattfinden muss. Mit der Anordnung der Wiederaufnahme sei das Urteil gegen Mollath aus dem Jahr 2006 nicht mehr rechtskräftig. Damit entfalle auch die Grundlage für dessen Unterbringung, teilte das Gericht mit.

Ob Gustl Mollath tatsächlich die ihm zur Last gelegten Taten begangen hat oder nicht, muss noch einmal im Zuge eines Gerichtsverfahrens geklärt werden. Ob er eine Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt hat oder immer noch darstellt, ist ebenfalls ungeklärt. Unregelmäßigkeiten im Geschäftsgebaren der Hypo-Vereinsbank konnten nachgewiesen werden, wenn auch bei weitem nicht in dem Ausmaß, das Mollath beschrieben hatte.

Wir sind also im Grunde, wenn man es genau nimmt, so klug als je zuvor. Was jedoch, je mehr man die Fakten betrachtet und sich die Hintergründe vergegenwärtigt, als sehr unwahrscheinlich erscheint, ist, dass es tatsächlich eine große Verschwörung gegeben haben könnte, um Gustl Mollath zum Schweigen zu bringen.

Konformismus in Behörden und in der Öffentlichkeit

Es könnte natürlich sein, dass einzelne Staatsanwälte, Richter oder Gerichtsgutachter mit einer inneren Voreingenommenheit an den Fall herangegangen sind. Das ist im gerichtlichen Alltag sogar eher die Regel als die Ausnahme, insbesondere sobald tatsächlich eine Anklage eingebracht wird. Selbst dann ist aber dem einen oder anderen bewusst, dass eine bloße Vermutung, ein Angeklagter habe eine Tat begangen, nicht für eine Verurteilung oder die Anordnung einer Maßnahme ausreichen kann. Die Beweise müssen so stichhaltig sein, dass ein Urteil einer Überprüfung durch die nächsthöhere Instanz standhalten kann – und die Richter in der Berufungsinstanz sind in aller Regel zu ehrgeizig, um im Zweifel nicht ein Haar in der Suppe zu finden und den Erstrichtern zeigen zu können, warum diese im Unterschied zu ihnen eben nur in der ersten Instanz richten, als dass sie bereit wären, sich an einer Verschwörung gegen eine Einzelperson zu beteiligen, deren öffentliche Bedeutung sich in Grenzen hält. 

Außerdem sind die Vorschriften hinsichtlich der Überprüfung angeordneter Einweisungen in die Psychiatrie so rigide, dass in regelmäßigen Abständen immer wieder neue Ärzte und Gutachter mit dem Fall befasst sind und somit die Möglichkeit, dass einer davon das Ende der Gemeingefährlichkeit feststellt, sich vergrößert.

Befremdlich ist an diesem Fall vor allem der Konformismus, der sich in einer breiten Öffentlichkeit einstellt, sobald gewisse Buzzwords fallen. Ähnlich, wie bei manchem Zeitgenossen Begriffe wie „Islam“, „Türkei“ oder „Erdoğan“ zu einem pawlowschen Reflex führen, der jedwede Fähigkeit zur Reflexion auszuschalten scheint, so sind für andere die „Banken“ zum Synonym für das Böse schlechthin geworden. Und wenn zu diesem Ressentiment noch eine tiefgreifende innere Entfremdung zur Politik und zu staatlichen Institutionen dazukommt, dann kann kaum eine Verschwörungstheorie mehr als zu abstrus erscheinen, um nicht noch geglaubt zu werden.

Denn immer wieder bestätigt sich im Zeitalter der Sozialen Medien: Man glaubt ohnehin nur das, was man glauben will. Verschwörungstheoretiker und halbseidene Publikationen wie „Compact“, „Recentr“ oder „Infokrieg“ nehmen sich der Sache an. Dann kommen vielleicht noch die unvermeidlichen „Piraten“ oder sonstige randständige Formationen. Und wenn die politisch-weltanschauliche Attitüde hinter der Empörung stimmt, handeln die so genannten „Qualitätsmedien“ in Deutschland nicht anders als die Bilderberger- und Echsenmenschen-Enthüllungsorgane – man artikuliert das „gesunde Volksempfinden“, wie man nicht zuletzt an der Gezi-Berichterstattung sehen konnte.

So wird es möglich, dass zweifelhafte Persönlichkeiten  wie Marco W., Edward Snowden oder Gustl Mollath zu Helden stilisiert werden, während demokratische Institutionen pauschal der Korruption, der Verschwörungsneigung oder der Verfolgung fremder Interessen geziehen werden. Wenn dann auch noch rechtsstaatliche Schritte auf medialen oder öffentlichen Druck gestützt werden, ist die Gefahr nicht gering, dass sich das Gemeinwesen dem Mob Rule annähert.

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Jg. 1973, ist allein erziehender Vater, freiberuflicher Lektor, Lerncoach und Kommunikationsdienstleister. In diesem Rahmen ist er unter anderem Redakteur beim "Deutsch-Türkischen Journal", Betreuer der Wirtschaftsblogs "Wirtschaft Global" und der "Blickpunkt"-Reihe aus dem Hause der ADMG Publishing Ltd. (Saigon). Er lebt in Bernburg/Saale.

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