Nach Jahren der Stagnation drückt Ankara bei der Demokratisierung des Landes wieder aufs Tempo und verbessert die Minderheitenrechte durch ein Maßnahmenpaket.
Vor mittlerweile zwei Wochen, am 30. September 2013, hat der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan seine lange erwarteten Reformmaßnahmen, auch als „Demokratiepaket“ bezeichnet, verkündet.
Kernelemente waren unter anderem die weitgehende Abschaffung eines 90 Jahre alten Gesetzes, das Frauen im öffentlichen Dienst oder auf dem Arbeitsplatz das Tragen des Kopftuches verbot und eine Verbesserung der Rechtsstellung ethnischer Minderheiten. Diese Maßnahmen, die unter anderem den türkisch-kurdischen Friedensprozess stärken sollen, beinhalten unter anderem das Ende des Verbots der Verwendung der Buchstaben „q“, „w“ und „x“, die es im Türkischen nicht gibt, ebenso wie die Erlaubnis des Kurdischen als Unterrichtssprache an Privatschulen. Darüber hinaus erhielten Dörfer ihre alten kurdischen Namen zurück und Wahlen können künftig auch in anderen Sprachen als Türkisch ausgeschrieben und protokolliert werden.Auch der nationalistische Eid, der unter anderem das Bekenntnis „Ich bin ein Türke“ beinhaltete, und der jede Woche von Schülern geschworen werden musste, wird als feindselige Maßnahme gegenüber Minderheiten in der Türkei abgeschafft.
Während die Europäische Union und türkische Liberale vorsichtige Zustimmung zu den Reformen äußern, die Premierminister Erdoğan angekündigt hat, äußern einige Politiker Unsicherheit. Die Mitvorsitzende der prokurdischen „Partei für Frieden und Demokratie“ (BDP), Gultan Kışanak, wird von Reuters mit der Äußerung zitiert, die Maßnahmen würden nicht weit genug reichen, um die immer noch bestehenden Hindernisse im Friedensprozess beseitigen zu können.
Im Westen wird das Paket auch des Öfteren als Versuch des Premierministers gesehen, nach seinen Reaktionen auf die regierungsfeindlichen Proteste des Frühsommers, die von Politikern und liberalen Medien in Europa als unangemessen betrachtet worden waren, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Auch in diesem Zusammenhang gibt es Bedenkenträger, die sich mit Blick auf die Reformen zu Wort melden.
MdEP Andrew Duff von den Britischen Liberaldemokraten im Europaparlament betonte, das Paket wäre zwar begrüßenswert, aber „nicht der große Sprung vorwärts, den die Europäische Union und türkische Liberale sich erhofft hatten“.
Der Präsident der Sozialdemokratischen Fraktion im EP, Hannes Swoboda, kommentierte das Paket mit den Worten: „Die Qualität eines Puddings zeigt sich beim Essen“. Er bedauerte, dass das Paket keine klaren zeitlichen Vorgaben beinhalte, welche geholfen hätte, die Maßnahmen umzusetzen.
Manche halten das Paket auch für eine bloße wahlkampftaktische Maßnahme Erdoğans mit Blick auf den bevorstehenden Wahlmarathon. Dagegen spricht die Ankündigung des Premierministers selbst, der sagte: „Das ist nicht das erste Demokratiepaket und es wird nicht das letzte sein.“
Dies nährt Hoffnung darauf, dass das Paket ein erster Schritt zur Wiederbeschleunigung des Demokratieprozesses im Land sein werde. Auch wenn man abwarten muss, wie sich die Maßnahmen im Detail bewähren, stellt das Paket ohne Zweifel zumindest einen symbolischen Impuls in Richtung mehr Demokratie und der Abkehr von strikten nationalistisch geprägten Regelungen aus den Jahrzehnten davor dar.
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