Wer die NATO infrage stellt, hat entweder einen strategischen Plan – oder eine merkwürdige Vorstellung von politischer Realität. Tino Chrupalla, seines Zeichens Parteichef der AfD, hat jüngst wieder bewiesen, dass ihm an der richtigen Stelle der Realitätssinn flöten gegangen ist. Die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO? Zweifelhaft. Den Krieg in der Ukraine? Hat Russland längst gewonnen. Der politische Kompass zeigt hier eindeutig nach Moskau.
Doch was steckt dahinter? Ein naives Missverständnis internationaler Politik? Ein hilfloser Versuch, sich als „Mann des Friedens“ zu inszenieren? Oder schlicht ein politisches Wunschkonzert für die Freunde in Russland? Wahrscheinlich alles davon – gepaart mit einer Prise Ignoranz und einem Teelöffel Demagogie. Es wird Zeit, die krude Mischung ein wenig zu entwirren.
Russland „hat gewonnen“? Danke, Herr Experte!
Beginnen wir mit der steilen These: „Russland hat diesen Krieg gewonnen.“ Aha. Solche glasklaren Analysen kennt man sonst nur von Zauberkünstlern, die auf halber Strecke erklären, das Kaninchen wäre aus dem Hut gekommen – wenn der Zuschauer nur richtig hingeschaut hätte. Chrupalla scheint in der Zeitkapsel unterwegs zu sein, während der Rest der Welt noch verfolgt, wie sich Frontlinien täglich verschieben und Russland militärische Verluste in den sechsstelligen Bereich quält.
Wer genau hat also gewonnen? Die Soldaten, die nicht mehr nach Hause kommen? Die Bevölkerung, die ihre Zukunft zwischen Korruption und zerbombter Infrastruktur verbringt? Es gehört schon ein besonderer politischer Blickwinkel dazu, in diesem Szenario den Sieger zu erkennen. Chrupalla kann das.
Die NATO als rotes Tuch – oder blau-weiß-rot?
Mit seiner NATO-Skepsis setzt sich Chrupalla gekonnt in Szene – zumindest für die Zielgruppe, die jede westliche Institution reflexartig ablehnt. Dass die NATO aktuell ein Hauptgarant für Frieden in der westlichen Hemisphäre ist, interessiert ihn weniger. Die Argumentation folgt vielmehr dem altbekannten AfD-Drehbuch: Der Westen ist schuld, die USA sind die Puppenspieler, und Russland wäre ja vielleicht gar nicht so schlimm, wenn man ihm nur mal „zuhört“.
Das klingt fast wie ein Kalenderspruch aus der russischen Botschaft. Oder, um es auf Chrupalla-Deutsch zu sagen: „Verhandeln statt verteidigen.“ Dass Russland in seinen Verhandlungen gern mit Panzern vorfährt, während der Westen darüber nachdenkt, ob man vielleicht noch eine Pressemitteilung schreiben sollte – geschenkt. Solche Details passen schlecht in die rhetorische Glitzerwelt eines selbsternannten Friedensbotschafters.
Geopolitik à la Chrupalla – Der Uhu im Nebel
Chrupalla versucht, komplexe geopolitische Realitäten auf das Niveau eines Samstagabend-Biergesprächs zu reduzieren. „Warum streiten wir uns überhaupt mit Russland? Schließlich brauchen wir günstiges Gas!“ Eine weltpolitische Vision, die klingt wie ein Werbeplakat für den nächsten Baumarkt: „Energiepreiskrieg? Wir haben die Lösung!“ Dass geopolitische Konflikte nicht durch Discountpreise und Wunschdenken gelöst werden, bleibt Nebensache.
Denn Chrupalla spielt nicht auf Fakten, sondern auf Stimmungen. Und bei bestimmten Teilen der Bevölkerung verfängt der Trick: NATO? Das klingt nach bösen Amerikanern. Russland? Das klingt nach irgendwie gemütlich und Frieden durch Gasleitungen. Nur ist die Wirklichkeit kein Biergarten, in dem man zur Not einfach ein anderes Fass anschließt.
Chrupallas Balanceakt: Zwischen Politik und Populismus
Natürlich könnte man das alles als bedeutungslose Wahlkampf-Rhetorik abtun – das Problem ist nur: Worte haben Folgen. Wenn ein Parteichef den Krieg Russlands zum „Sieg“ erklärt, dann ist das nicht nur ein politischer Kommentar, sondern eine handfeste Positionierung. Eine Positionierung, die Wladimir Putin vermutlich mit einem Grinsen quittiert.
Die AfD stellt sich damit endgültig an die Seite der „Russland-Versteher“ – mit Chrupalla als Wortführer. Während die Ukraine für ihre Souveränität kämpft, bekommt der Kreml indirekte Schützenhilfe aus Deutschland. Ein schöner Erfolg für eine Partei, die ihre Nähe zu Russland nur so halbherzig abstreitet wie ein Kind, das beim Naschen erwischt wurde.
Ein Russland-Märchen ohne Happy End
Am Ende steht der politische Geist Chrupallas auf wackeligen Beinen. Wer die NATO infrage stellt und Russland als Sieger des Krieges ausruft, positioniert sich nicht als Friedensbringer, sondern als Lautsprecher einer Realitätsverweigerung. Geopolitik ist eben kein Stammtisch-Spruch – und der Krieg kein Spiel, bei dem man einfach die Regeln ändert.
Vielleicht sollte Tino Chrupalla das nächste Mal ein Geschichtsbuch aufschlagen. Oder zumindest eine aktuelle Karte Europas. Da steht nicht „Russland hat gewonnen“. Da steht: „Die Welt ist kompliziert – und manche Dinge lassen sich nicht durch billige Rhetorik lösen.“