Es gibt Geschichten, die klingen zu schön, um wahr zu sein. Und dann gibt es die von Muhammad Aziz, dem vielleicht einzigen Buchhändler der Welt, der in einem Land mit einer Analphabetenrate von 26 % mehr Bücher verkauft als der durchschnittliche Influencer Kalorien aus grünem Matcha-Tee trinkt. Wenn Sie jetzt denken, das klingt nach einem romantischen Heldenepos à la „Der Mann, der gegen die Windmühlen kämpfte“ – herzlichen Glückwunsch, Sie liegen richtig! Aziz verkauft nicht nur Bücher. Er verkauft die Idee, dass Wissen mächtiger ist als jede Kreditkarte. Und, oh ja: Er tut das seit Jahrzehnten – und das unter einem Dach aus Staub, Träumen und Pappe.
Die Kunst des Nicht-Klaustrophobisch-Werdens
Eine der besten Anekdoten über Aziz ist die: Er lässt die Bücher vor seiner Tür einfach unbeaufsichtigt liegen. Klauen? Ach, bitte! Laut ihm stiehlt niemand, der nicht lesen kann. Und wer lesen kann, klaut nicht. Eine Weltanschauung, die so naiv wie genial ist. Vielleicht sollte man ihn als Berater für Einzelhandelssicherheit engagieren. Es würde zumindest weniger Überwachungskameras bedeuten.
Aber zurück zur eigentlichen Frage: Wie, in Gottes Namen, hält sich ein Buchladen, wenn viele Kunden nicht einmal wissen, dass Bücher von links nach rechts gelesen werden? Aziz erklärt das mit einer Mischung aus Philosophie, Pragmatismus und purem Trotz. „Ich habe über 4.000 Bücher gelesen. Das heißt, ich habe 4.000 Leben gelebt.“ Allein dieser Satz würde ihn zur perfekten Hauptfigur in einem Roman machen. Aziz liest sechs bis acht Stunden am Tag – er stoppt nur fürs Essen, Beten und Rauchen. Und manchmal, wenn es gar nicht anders geht, bedient er auch Kunden. Verrückt, nicht wahr? Vielleicht sollten wir alle ein wenig Aziz sein.
Marokko: Wo das Buchlesen (noch) kein Volkssport ist
Ein Land, in dem Bildung für viele ein Luxus bleibt, ist für Aziz so etwas wie ein düsteres Spielfeld. Die Ironie ist natürlich unverkennbar: Marokko hat eine reiche literarische Tradition, doch moderne Leser sind rar gesät. Wer braucht schon Dostojewski, wenn Instagram uns täglich „Content“ serviert, der so gehaltvoll ist wie Instant-Nudeln? Vielleicht ist das Aziz‘ geheime Superkraft: Er verkauft keine Bücher, sondern Geschichten, die sich nicht in 280 Zeichen zusammenfassen lassen.
Doch Aziz‘ Mission ist mehr als nur ein wirtschaftlicher Überlebenskampf. Er hat verstanden, dass Bücher keine schnellen Antworten geben. Sie stellen Fragen, die wehtun. Und genau das brauchen wir. In einer Welt, in der die Aufmerksamkeitsspanne kürzer ist als ein TikTok-Video, ist es fast rebellisch, sich in die Seiten eines Buches zu vergraben. Und wenn Aziz etwas beweist, dann das: Lesen ist ein Akt des Widerstands. Gegen Dummheit, Ignoranz und die Langeweile einer Welt, die glaubt, alles sei nur einen Klick entfernt.
Lesen als Lebensform
Natürlich könnten wir jetzt lamentieren, dass Aziz‘ Lebenswerk eine Metapher für die globale Krise der Bildung ist. Aber das wäre zu einfach. Denn Aziz macht uns deutlich: Das Problem liegt nicht im Zugang zu Büchern – es liegt in uns. Lesen verlangt Zeit, Hingabe und manchmal auch die Bereitschaft, das eigene Weltbild in Frage zu stellen. Kein Wunder also, dass wir uns lieber von Katzenvideos berieseln lassen. Sie tun nicht weh. Bücher dagegen schon.
Und so bleibt Muhammad Aziz ein Don Quijote, der in einer Welt kämpft, die längst verlernt hat, die Schönheit und die Macht der Worte zu erkennen. Vielleicht kaufen die Menschen bei ihm keine Bücher, weil sie Leser sind. Vielleicht kaufen sie Bücher, weil sie hoffen, es eines Tages zu werden. Und das, liebe Leser, ist vielleicht die größte Ironie von allen. Denn während wir uns in unserer digitalen Blase verlieren, zeigt uns ein Mann in Rabat, dass Bücher uns nicht nur retten können – sie können uns auch wiederfinden.
Also, wann haben Sie das letzte Mal ein Buch gelesen? Und nein, die Instagram-Bildunterschrift zählt nicht.