Auch im Tod wollen viele Muslime, die jahrzehntelang in Deutschland gelebt hatten, ihrer letzten irdischen Heimat verbunden bleiben. Dadurch wird auch der Bedarf an muslimischen Friedhöfen und Grabfeldern größer. Viele Bundesländer, so etwa Nordrhein-Westfalen, schaffen daher auch die Grundlagen für eine Erleichterung der Organisation und Durchführung muslimischer Bestattungen.
So sollen künftig auch Religionsgemeinschaften oder religiöse Vereine die Errichtung und den Betrieb kommunaler Friedhöfe übernehmen können. Dazu müssten die Religionsgemeinschaften oder religiöse Vereine unter anderem einen „dauerhaften Betrieb“ sicherstellen, hieß es beispielsweise im Gesetzesentwurf der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei.
Erdoğan Karakaya, Initiator der „Initiative Kabir“, die sich um muslimische Grabstätten kümmert, stand den Integrationsbloggern für ein Interview zur Verfügung.
Herr Karakaya, Sie befassen sich mit muslimischer Bestattungskultur und muslimischen Grabfeldern. Können Sie ein wenig von sich erzählen?
Ich bin momentan Doktorand an der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Bereich der islamischen Studien am Lehrstuhl von Prof. Dr. Bekim Agai. Von Haus aus bin ich Islamwissenschaftler. Ansonsten arbeite ich freiberuflich als Autor, Redakteur, Übersetzer und Lektor für ein paar (Online-)Zeitschriften und Verlage. Ich bin verheiratet und frischgebackener Vater.
Wie kamen Sie auf die Idee sich mit muslimischen Grabfeldern zu beschäftigen?
Ich hatte die Möglichkeit bekommen, mich in meiner Magisterarbeit mit der Transformation von muslimischen Bestattungsritualen in Deutschland zu beschäftigen. Für diese Arbeit war es unabdingbar, dass ich mich gleichsam mit der Geschichte, Beschaffenheit und Diskussion um die muslimischen Grabfelder auseinandersetzen musste. In keiner der mir vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten konnte ich genau erfahren, wie viele muslimische Grabfelder tatsächlich in Deutschland existieren. Ich empfand die Schätzungen als bloße Spekulationen, die nicht vollends recherchiert worden waren. Mir kam die Idee, selbst eine Online-Plattform zu schaffen, die jedem Interessierten die Möglichkeit bietet, sich zum Thema der muslimischen Grabfelder zu informieren, einen Blick auf die dort dokumentierten Fotos zu werfen oder mich bei Fragen anzuschreiben.
Gibt es besondere Merkmale muslimischer Grabfelder?
Zunächst haben Musliminnen und Muslime gewisse Idealvorstellungen von Gräbern. Diese sind eben mit einem Kopfstein gekennzeichnet und das Höchste der Gefühle ist der Name der verstorbenen Person auf einem Holzbrett. Ich glaube, das dieses Bild größtenteils daraus resultiert, dass Muslime sich die heutigen Gräber im Gebiet von Mekka und Medina ansehen und diese als wahrhaft islamisch wahrnehmen, eben weil sie ja in Mekka und Medina sind.Abgesehen davon sollten muslimische Grabfelder nach Mekka ausgerichtet sein und eine Doppelbelegung sollte vermieden werden. Jedoch ist diese Praxis in Ballungsgebieten kaum durchführbar.
Wie unterscheiden sich muslimische Gräber von beispielsweise christlichen und jüdischen Gräbern?
Wie vorhin erwähnt, sind muslimische Gräber idealerweise nach Mekka ausgerichtet. Den oder die Unterschiede werden Sie so direkt zumindest bei uns in Deutschland nicht sehen. Nur anhand von Anzeichen, Symbolen wie einem Halbmond, arabischen Schriftzeichen oder einer Aufschrift wie „Ruhuna Fatiha“ auf dem Grabstein, dass also dem Wunsch entsprochen wurde, für die verstorbene Person die erste Sura des Korans zu rezitieren, erkennen Sie die muslimischen Gräber. Es ist aber keine Seltenheit, dass muslimische Grabsteine, wenn sie nicht explizit diese gerade erwähnte Symbolik verwenden, die gleichen Symbole benutzen wie christliche Gräber. Auf diesen Grabsteinen sind beispielsweise ein Olivenstrauch, betende Hände oder die Madonna eingearbeitet. Ganz häufig resultiert diese parallele Verwendung von Symbolen oft aus sehr simplen Gründen, wie das beispielsweise derselbe Steinmetz beauftragt wurde.
Ist der Bedarf an muslimischen Grabfeldern in Deutschland abgedeckt?
Ich möchte es Ihnen mal vorrechnen: Nach der letzten Erhebung wissen wir, dass in Deutschland etwa 80 Millionen Menschen leben. Wenn man nun die Zahlen der BAMF-Studie von 2008 heranzieht, dass etwa 4,2 Millionen Muslime in Deutschland leben, können wir sagen, dass etwa 75,8 Millionen Nicht-Muslime in diesem Land leben. Für diese Menschen existieren in ganz Deutschland etwa 32 000 Friedhöfe. Für die muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gibt es etwa 200-250 muslimische Grabfelder. Wie Sie erahnen können, existiert eine extreme Unterpräsenz von muslimischen Grabfeldern in Deutschland. Jedoch haben die Kommunen, in denen Muslime leben, erkannt, dass sie neue Möglichkeiten für Ihre muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger schaffen müssen.
Wie ist die Tendenz in Deutschland? Lassen Muslime ihre Verstorbenen lieber hier beerdigen oder in ihren Herkunftsländern?
Bis dato haben sich mehr Menschen nach dem Tod in die sogenannten Herkunftsländer überführen lassen. Das hat aber sehr viele Faktoren. Die meisten der Rückgeführten sind türkeistämmige Musliminnen und Muslime, denen eine andere „islamische Infrastruktur“ in Deutschland zur Verfügung steht als anderen Muslimen. Ihnen wird es sehr einfach gemacht, in die Türkei überführt zu werden. Jedoch betraf dies häufig Menschen der ersten Generation, die eine starke emotionale Verbindung zum eigenen Geburtsland hatten und haben. Aber ich persönlich kenne genug Menschen der ersten Generation, die sich in Deutschland bestatten ließen, weil sie sagten, dass Kinder und Enkelkinder in diesem Land leben und sie sich ihnen auch nach dem Tod nah fühlen wollten. Ganz klar kann man aber sagen, dass sich immer mehr Menschen für die Bestattung in Deutschland entscheiden. Ihnen wird bewusst, dass ihre Verwandten, Angehörige und Freunde ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben und dass die Herkunftsländer ihnen fremd geworden sind. Gleichfalls war es schlicht und ergreifend bis dato unfair von den Kommunen, keine muslimischen Grabfelder zu errichten, obwohl Muslime Teil ihrer Bevölkerung sind. Dadurch haben sie ihren muslimischen Staatsbürgern ein Menschenrecht vorenthalten.
Worauf muss man in Deutschland achten, wenn man als Muslim seine Angehörigen beerdigt?
Zunächst sollten Sie sich vergewissern, dass in der Nähe ein muslimisches Grabfeld existiert, das auch die Bestattung dieses Angehörigen zulässt. Denn oft erteilen die Kommunen das Recht der Bestattung nur den eigenen Einwohnern. Danach sollten Sie ein Bestattungsunternehmen beauftragen, das zunächst den Leichnam abholt und sich danach um Formalitäten kümmert. Wenn Sie muslimische Experten hinsichtlich der Rituale, wie einen Imam, zu Rate ziehen wollen, sollte das früh geschehen. Dann haben Sie meist 24-48 Stunden Zeit, um Freunde und Bekannte von dem Tod zu benachrichtigen, damit jene am Totengebet und an der Bestattung teilnehmen können. Später können Sie sich Grabsteine aussuchen und jemand Professionellen beauftragen, der diesen Grabstein anbringt. Darüber hinaus müssen Sie damit rechnen, dass Ihnen Kosten entstehen wie die Pacht des Grabs, für den Grabstein und für das Bestattungsunternehmen.
Inwiefern darf man in Deutschland nach islamischer Norm beerdigt werden?
Wie Sie sicherlich mitbekommen haben, gibt es Öffnungen des Bestattungsrechts in den Bundesländern Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Explizit wurde in diesen Ländern die Sargpflicht abgeschafft. Das bedeutet, dass Menschen, deren Religion die Bestattung nur in einem Tuch vorsieht, wie dies im Judentum und im Islam der Fall ist, können nun gemäß dieser religiösen Norm bestattet werden. Ansonsten mussten sich die Angehörigen dieser Religionen den Friedhofsverordnungen anpassen und mit einem Sarg beerdigt werden. Allerdings hatte die islamische Theologie schon längst auf den Umstand reagiert, das nicht alle Normen eingehalten werden können, indem sie Auslegungsmöglichkeiten geschaffen haben, die die Bestattung im Sarg als alternative islam-konforme Bestattung erlaubt.
Ist der Verstorbene für immer dort begraben oder wird dieser nach einer Zeit aus diesem Grab rausgeholt? Wie kann ich mir das vorstellen?
Ganz weit verbreitet ist der Glaube, das es ewige Gräber gibt, stark ausgeprägt. Hingegen sehen wir, dass in Ballungsgebieten von Ländern mit mehrheitlich muslimischen Einwohnern, Doppelbelegungen beziehungsweise Mehrfachbelegungen angewendet werden. Dabei stützt sich diese Praxis auf muslimische Rechtsauslegungen, die Mehrfachbelegungen erlauben, wenn keine Überreste der vorherigen verstorbenen Person zu finden sind. Falls jedoch der Verwesungsprozess noch nicht vollends fortgeschritten ist, sodass Gebeine übrig sind, so sollten diese tiefer begraben werden, damit eine Neubelegung möglich ist.
Wir danken Ihnen für das notwendige und informative Gespräch über muslimische Grabfelder in Deutschland und wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Initiative, Herr Karakaya.